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Lance- oder Puma-Turm für den Maschinenkanonenboxer?

Die Bundeswehr arbeitet seit geraumer Zeit daran, die in den Jägerverbänden und in einem Gebirgsjägerbataillon genutzten Waffenträger Wiesel durch einen schweren Waffenträger auf Basis des Gepanzerten Transportkraftfahrzeugs Boxer zu ersetzen. Diese Waffensysteme sind für die Heeresführung von entscheidender Bedeutung, da damit die Hoffnung verbunden wird, die Jägertruppe in Zukunft als so genannte mittlere Kräfte kategorisieren zu können. Zusammen mit den leichten, luftbeweglichen Kräften (Anteile der Infanterie) sowie den schweren, durchsetzungsfähigen Kräften (Panzergrenadier- und Panzertruppe) sollen die mittleren, selbstverlegefähigen Kräfte das zukünftige Fähigkeitsspektrum des Heeres bilden. Daher wird dieses Beschaffungsvorhaben zu einem der derzeitigen Schwerpunktprojekten des Heeres gezählt, wie der Inspekteur des Heeres in den vergangenen Monaten mehrfach deutlich gemacht hat.

Einige Beobachter betrachten diesen Ansatz allerdings mit einer gewissen Skepsis, da man den alleinigen Austausch der Waffenträger Wiesel durch Maschinenkanonenboxer als unzureichend für die Klassifizierung der Jägerverbände als mittlere Kräfte hält. Denn die Jäger müssen weiterhin abgesessen kämpfen und wären somit einem mechanisierten und teilweise auch einem motorisierten Gegner unterlegen, da die Jägerverbände nur über einen geringen Anteil – 16 Waffenträger pro Bataillon – an duellfähigen Fahrzeugen verfügen würden.

Kritiker dieses Ansatzes argumentieren, dass eine Vollausstattung der Jägertruppe mit solchen Fahrzeugen notwendig wäre, um die Verbände als „echte“ mittlere Kräfte ansehen zu können. Diese würden dann vom Einsatzprofil den motorisierten Schützentruppen des Warschauer Paktes entsprechen und sowohl zum auf- als auch zum abgesessenen Kampf befähigt werden. Diese Um Paspelierung der Jägertruppe ist nach jetzigen Erkenntnissen aber nicht geplant.

Bedarf bei 85 Einheiten

Der aktuelle Gesamtbedarf des Heeres liegt bei 85 Waffensystemen, wie einem im Sommer 2020 abgesetzten Tweet von Generalleutnant Alfons Mais, dem Inspekteur des Heeres, zu entnehmen ist. Das Heer plant derzeit, in einem ersten Schritt 43 schwere Waffenträger für drei Infanteriebataillone sowie Ausbildungseinrichtungen zu beschaffen. „Gemäß derzeitiger Planung soll 2025 mit der Ausbildung an dem Waffensystem begonnen werden und die ersten drei Infanteriebataillone bis 2027 damit ausgestattet werden“, schreibt die Bundeswehr dazu in einem Mitte November erschienen Beitrag auf der Webseite der deutschen Streitkräfte. Beobachter des Programms verweisen darauf, dass es sich um extrem ambitionierte Zeitvorgaben handelt, wenn man bedenkt, dass noch keine Haushaltsmittel für das Projekt allokiert wurden.

Schwerer Waffenträger Infanterie

Aus den jüngsten Veröffentlichungen der Bundeswehr zum Thema „Schwerer Waffenträger Infanterie“, können einige Forderungen an das neue Fahrzeug herausgelesen werden. Aus dem Beitrag geht hervor, dass der schwere Waffenträger „auf Basis des Gepanzerten Transportkraftfahrzeugs Boxers realisiert“ werden soll und „mit einer 30 Millimeter Bordmaschinenkanone und dem Waffensystem MELLS (Mehrrollenfähiges Leichtes Lenkflugkörper-System) ausgestattet werden“ wird. „Die Bordmaschinenkanone ist hierbei baugleich zu der im Schützenpanzer Puma. Weitere Rundumblick-Optroniken sowie Warn- und Beobachtungssysteme vervollständigen den Turm“, heißt es dazu weiter im Bericht.

Zur Anfangsphase des Projektes wurden seitens der deutschen Wehrindustrie zwei Lösungsansätze angeboten: Eine Version des Maschinenkanonenboxers mit einem bemannten Lance-2.0-Turm von Rheinmetall sowie die Version mit dem unbemannten Puma-Turm von Krauss-Maffei Wegmann. Beide Turmvarianten sind mit einer aus dem Schützenpanzer (SPz) Puma bekannten MK30-2-Waffenanlage im Kaliber 30 mm x 173 ausgerüstet.

Das Heer präferierte offenbar die Variante mit dem bemannten Turm. Eine Auswahlentscheidung der Bundeswehr ist wohl noch nicht erfolgt, steht aber nach Informationen aus gut unterrichteten Kreisen in Kürze bevor. Die Kernforderung des Heeres war wohl die Möglichkeit des Kommandanten, auch über Luke arbeiten zu können, was die Führbarkeit erleichtern soll. Darüber hinaus sollte die Möglichkeit vorhanden sein, eine Störungsbeseitigung auch unter Panzerschutz durchzuführen. Ein weiterer Vorteil des Lance-Turmes gegenüber dem Puma-Turm ist seine höhere Munitionskapazität von etwa 250 Patronen im Vergleich zu 200. Rheinmetall bewirbt darüber hinaus die mögliche Killer-Killer-Fähigkeit des Turmes, welche derzeit aber wohl nicht Bestandteil der Bundeswehrforderung an den schweren Waffenträger ist. Diese Eigenschaft würde es dem Kommandanten erlauben, unabhängig vom Richtschützen beobachten und wirken zu können.

Unter dem Strich soll diese Variante des Boxers große Ähnlichkeiten mit dem Radspähpanzer Boxer CRV der australischen Streitkräfte aufweisen, auch wenn der CRV-Boxer über einige nicht in die Bundeswehr eingeführte Systeme, darunter das Maschinengewehr sowie Funk- und Kommunikationstechnik, verfügt. Ob die Übernahme der Australien-Variante ohne Risiken und größere Kosten möglich ist, soll daher die europäische Rüstungsagentur OCCAR mittels einer Studie klären. Deren Ergebnis wurde dem Vernehmen nach ursprünglich bis Ende 2021 erwartet, wird sich aber wohl noch etwas verzögern. In der Zwischenzeit könnte die Bundeswehr zusätzlichen Bedarf an Maschinenkanonenboxern anmelden.

Radschützenpanzer auf Boxer-Basis?

Jüngste Informationen aus dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) lassen sich nämlich so deuten, dass der zahlenmäßige Bedarf des Heers an diesem Waffensystem erheblich steigen könnte.

Gefragt nach seiner Beurteilung, wie die Chancen für die Beschaffung eines 2. Loses des Schützenpanzers Puma stehen, antwortete Oberst Jürgen Schmidt, Abteilungsleiter Kampf im BAAINBw, in der Ausgabe vom Dezember 2021 des Fachmagazins Europäische Sicherheit & Technik, dass der „mit dem System Panzergrenadier VJTF 2023 erreichte Stand und die auf dieser Basis beauftragte Nachrüstung des 1. Loses“ eine „solide Grundlage zur Beauftragung eines 2. Loses“ bilde. Eine Entscheidung hat er für die kommende Legislaturperiode in Aussicht gestellt. Seiner Auffassung nach gibt es dazu keine Alternative, falls „das Deutsche Heer die Fähigkeitsforderungen für einen Fähigkeitsträger für die Panzergrenadiere aufrechterhalten“ will. „Fällt gegebenenfalls eine „leichtere“ Entscheidung, wäre auch eine Radvariante auf Basis des Boxer denkbar. Die Abteilung K realisiert beide Fähigkeitsforderungen“, so Schmidt weiter. Im Klartext bedeutet die Aussage, dass ein „Radschützenpanzer“ auch als Nachfolger für die Marder in Betracht kommen könnte.

Das Heer teilte zum Themenkomplex Schützenpanzer auf Nachfrage mit, dass der SPz Puma gegenwärtig weiterhin als Nachfolgesystem für den SPz Marder vorgesehen sei. Wie ein Sprecher des Kommandos Heer erläuterte, ist eine Entscheidung für oder gegen eine Finanzierung des 2. Loses SPz Puma frühestens im Laufe des zweiten Halbjahres 2022 zu erwarten. Und weiter: „Auf Basis dieser völlig offenen finanzplanerischen Situation lassen sich derzeit aus Sicht des Heeres noch keine abschließenden Aussagen zum Vorhaben ,SPz PUMA 2. Los‘ treffen.“ Im Zusammenhang mit den noch ausstehenden Entscheidungen zum 2. Los werde zudem auch der Themenkomplex „Realisierung des Kräftekontinuums leichte-mittlere-schwere Kräfte“ weiter zu untersuchen sein.

560 Schützenpanzer als Vollausstattung

Für eine Vollausstattung sind nach jetzigen Planungen der Bundeswehr 560 Schützenpanzer vorgesehen. Da die Grenadiertruppe über 350 Schützenpanzer Puma verfügt, ergibt sich ein Delta von 210 Gefechtsfahrzeugen das entweder durch ein 2. Los Puma oder einen Radschützenpanzer geschlossen werden müsste. Bliebe es bei diesen Zahlen und sollte kein 2. Los Puma beschafft werden, würde der Gesamtbedarf an „Maschinenkanonenboxern“ von 85 auf etwa 300 steigen.

Unklar ist aber, ob es am Ende zwei unterschiedliche Varianten des Maschinenkanonenboxers in der Bundeswehr geben könnte. Denkbar wären beispielsweise zwei unterschiedliche Missionsmodule, einmal „Schwerer Waffenträger Infanterie“ mit einem Lance-Turm und ein Missionsmodul für die Panzergrenadiertruppe mit Puma-Turm.

Sollten die Panzergrenadiere tatsächlich mit einem Radschützenpanzer ausgerüstet werden, würde sich die Frage stellen, ob diese einen anderen Turm bekommen sollten als die auf Kette kämpfenden Kameraden.

Die Nutzung des Puma-Turmes böte vermutlich Vorteile in der Logistik und Ausbildung. Da die Grenadiertruppe diese Turmvariante bereits nutzt, existiert eine komplette Trainings- und Ausbildungslandschaft sowohl für die Besatzungen, als auch für das Instandsetzungspersonal. Der Personalaustausch in der Truppengattung könnte so deutlich einfacher erfolgen. Taktische Vorteile wären ebenfalls vorhanden. Da der Feuerkampf oftmals aus teilgedeckten Stellungen erfolgt, wo nur der Turm aus der Stellung herausragt, bietet ein unbemannter Turm mehr Schutz für die Besatzung.

Trend geht zu unbemannten Türmen

Überdies könnte eine Qualifizierung des Missionsmoduls vermutlich schnell erfolgen, da unter Umständen ein großer Teil der Dokumentenlandschaft aus der Puma-Qualifizierung übernommen werden könnte. Turmspezifische Weiterentwicklungen des Schützenpanzers Puma könnten im Anschluss auch recht einfach auf die komplette Fahrzeugflotte der Grenadiertruppe überführt werden.

International scheint der allgemeine Trend dahin zu gehen, Gefechtsfahrzeuge mit unbemannten Türmen auszustatten. Neben den US-Streitkräften – Stryker mit 30-mm-Kanone und der Nachfolger des Schützenpanzers Bradley – entwickeln auch die russischen Streitkräfte unterschiedliche Gefechtsfahrzeugvarianten, vom Kampf- bis zum Radschützenpanzer, mit unbemannten Turmsystemen.

In der Bundeswehr wird die Klärung dieser Frage – bemannter oder unbemannter Turm für den Radschützenpanzer – wohl noch einige Monate auf sich warten lassen. Als erstes muss beantwortet werden, ob ein 2. Los Puma für den Ersatz des Schützenpanzers Marder beschafft werden soll. Krauss-Maffei Wegmann nutzt die Zeit derweil, um die Fähigkeiten des Puma-Turmes zu erweitern. Das Unternehmen demonstrierte im September 2021 vor Beobachtern aus dem In- und Ausland auf dem Truppenübungsplatz Klietz nördlich von Magdeburg den Einsatz eines Puma-Turms zur Drohnenabwehr.

Einsatz gegen Drohnen demonstriert

Um die bei der Vorführung eingesetzten Helikopterdrohnen des Typs Phantom mit vier Probellern aufklären zu können, war der Turm mit einem passiven Radio-Frequency-Sensor der Kasseler Firma Dedrone ausgestattet. Das einem Schuhkarton ähnelnde Gerät war auf einem kleinen Mast auf der linken Seite des Turms angebracht. Der Sensor konnte die mit bloßem Auge kaum zu erfassenden Flugobjekte auf eine Entfernung von 1.500 Metern aufklären. Gezeigt wurde bei der Vorführung, die bei starkem Wind stattfand, auf einem am Rand aufgebauten Bildschirm wie mehrere Drohnen von dem System detektiert wurden. Der Abschuss der sich nähernden Flugobjekte erfolgte dann in einer Entfernung von etwa 250 Metern. Der für die Demonstration verwendete Puma-Turm war auf dem Fahrmodul eines Radpanzers Boxer montiert. Beobachter vermuteten damals, dass dieses Set-Up gewählt wurde, um den anwesenden Vertretern der britischen Streitkräfte und Beschaffungsorganisation die Möglichkeiten des Radpanzers vorzuführen. Großbritannien beschafft mehrere Hundert Boxer.

Nach Angaben von KMW war für die Befähigung des Pumas zur Drohnenabwehr lediglich die Integration des neuen Sensors sowie Anpassungen in der Feuerleitung erforderlich. Dazu wurde ein so genannter Tracker auf Software-Basis integriert. Dieses auf einem Algorithmus basierende Modul soll das typische Flugverhalten und die Eigenschaften von Drohnen erkennen und von anderen Objekten wie etwa Vögeln unterscheiden. Damit erhält der Richtschütze eine wichtige Entscheidungshilfe. Zur Bekämpfung wurde die Standard-Air-Burst-Munition des Schützenpanzers verwendet, wobei typischerweise Tripletten verschossen wurden. Wie es aus Unternehmenskreisen heißt, hat KMW bei vorangegangenen Tests bereits Drohnen auf eine Entfernung von 800 Metern erfolgreich bekämpft. Man traue sich auch den Abschuss auf 1.000 Metern zu. Aufgrund der bei solchen Entfernungen kaum noch mit dem bloßen Auge wahrnehmbaren Drohnen hatte KMW für die Vorführung jedoch die Bekämpfung auf kürzere Distanz gewählt.
wg/lah/15.12.2021

 

 

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