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Bundeswehr arbeitet an „Digitalisierungsautobahn“ bis in die Einsatzgebiete

Lars Hoffmann

Das Verteidigungsministerium will die Bundeswehr in den kommenden Jahren in Sachen Digitalisierung deutlich voranbringen. Dabei soll die gesamte Funktions- und Kommunikationskette von den Standorten in Deutschland bis in die Einsatzräume, beispielsweise an der Ostflanke der NATO, mit moderner Hard- und Software aufgerüstet werden, wie Generalleutnant Michael Vetter, Abteilungsleiter CIT im BMVg, im Interview mit hartpunkt erläutert.

„Für uns ist es wichtig, dass wir ein durchgängiges und interoperables Informations- und Kommunikationssystem als Verbund aufbauen, das hochgradig digitalisiert und sicher ist“, betont der Generalleutnant. „Dieser Informations- und Kommunikationsverbund integriert Kommandobehörden und Truppenteile, aber auch Waffensysteme, Sensoren sowie Effektoren.“

All-Domain Command and Control und Multi-Domain Operations werden ohne diese „digitale Autobahn“ nicht funktionieren, ist Vetter überzeugt. Dabei müsse man von Ende zu Ende denken. „Das fängt bei der IT-Infrastruktur in Deutschland an und endet beim abgesessenen Soldaten mit seinem digitalen Handfunkgerät.“ Seiner Planung zufolge sollen 2030 wesentliche Teile dieser digitalen Autobahn im Betrieb sein. Vetter beschreibt das so: „Was fertig ist, wird ausgerollt.“

Die damit verbundenen Vorhaben sind im Sondervermögen Bundeswehr abgebildet. „Wenn Sie dort im Haushalt in die Titelgruppe 03 hineinschauen, sehen Sie Projekte, die in der Summe eine Funktionskette bilden“, erklärt Vetter.

Bild: Bundeswehr

Beginnt man die Betrachtung der Funktionskette bei der kämpfenden Truppe, ist die Digitalisierung von landbasierten Operationen (D-LBO) der Schwerpunkt. Noch treffe ein modernes Battle Management System bei einem Großteil der Plattformen auf alte Funkgeräte mit geringen Bandbreiten, langen Übertragungszeiten und fehlender Verschlüsselung. „Zukünftig werden Daten, Bilder und Sprache durch moderne Software Defined Radios zumindest dicht an Echtzeit und sicher übertragen. So erhalten wir schneller als bisher ein aktuelles Lagebild, was eigene, verbündete und feindliche Kräfte betrifft.“ Damit wird eine wesentliche Voraussetzung für Multi-Domain Operations geschaffen: Die Zusammenführung von Land-, Luft-, See-, Weltraum- und Cyberstreitkräften sowie die Synchronisierung von Effekten, ob kinetisch durch Waffenwirkung oder durch Effekte im Cyber- und Informationsraum.

Wie der Name sagt, fokussiert D-LBO in erster Linie auf die Landstreitkräfte, d.h., neben dem Heer auch auf die Anteile der Streitkräftebasis, des Sanitätsdienstes und des Cyber- und Informationsraums. In diesem Verbund wird auch die Unterstützung durch Luft- und Seestreitkräfte sichergestellt. Dieser Verbund muss unter den Bedingungen des elektronischen Kampfes bestehen. Das sei eine Erkenntnis aus dem Ukraine-Krieg, so Vetter. „Elektronische Gegenmaßnahmen und Störfestigkeit sind ein wichtiger Punkt. Ein solcher Verbund muss robust, resilient, störsicher und verschlüsselt kommunizieren und agieren können.“

TaWAN LBO

D-LBO deckt die Kommunikation auf der taktischen Ebene, beispielsweise innerhalb einer Brigade, ab. Die Anbindung an höhere Führungsebenen auf Divisionsebene und darüber hinaus erfordert andere Lösungen. Hier setzt das Projekt „Tactical Wide Area Network“ (TaWAN) an. „TaWAN LBO bildet ein Zusammenspiel von verschiedenen, im Verbund zusammenwirkenden Elementen“, sagt Vetter. „Anknüpfungspunkt ist die Brigade.“ Bei TaWAN LBO handelt es sich um einen IP-basierten, verlegefähigen Netzwerkverbund zur Sicherstellung einer sogenannten Federated-Mission-Networking (FMN)–konformen, leistungsfähigen und durchgängigen Informationsübertragung. Als technologische Basis ist im Schwerpunkt Richtfunk vorgesehen. Für die Brigadeebene sind dazu mobile und geschützte Fahrzeuge mit entsprechenden Antennenmasten in der Planung. Ergänzt wird dies im rückwärtigen Raum durch Varianten mit höherer Sendeleistung.

Um die Resilienz weiter zu erhöhen, sollen im Rahmen von TaWAN LBO überdies sogenannte Troposcatter-Systeme eingeführt werden. Hierbei werden die ausgesendeten Wellen an der Troposphäre reflektiert, was längere Übertragungsstrecken ermöglicht als der normale Richtfunk, der eine durchgehende Sichtlinie erfordert.

Zusätzlich treffe man die Vorsorge, zunächst per Provider die Kommunikation durch Satelliten im Bereich Medium Earth Orbit (MEO) und Low Earth Orbit (LEO) zu ergänzen, sagt der Abteilungsleiter CIT. Bekannt geworden sind derartige Konstellationen der breiten Öffentlichkeit durch das Starlink-Netzwerk des US-Unternehmers Elon Musk und dessen Nutzung durch die ukrainischen Streitkräfte. „Ohne den Weltraum wird es in naher Zukunft nicht mehr gehen“, ist Vetter überzeugt.

ZVN als Teil von D-LBO

Darüber hinaus sollen im Einsatzgebiet kleine lokale IT-Netze – etwa für Anlandestellen, Logistikeinrichtungen oder Feldlazarette – aufgebaut werden. Hier gehe es um die Kommunikation innerhalb der aufgelockerten Einrichtungen und um die Verbindung mittels SATCOM nach Deutschland, erläutert Vetter. Eingesetzt würden Lösungen mit einer Mischung aus Tetrapol und 4G-Anwendungen im Rahmen des Projektes „zellulare verlegefähige Netze“ (ZVN). „Dabei sind Übergabepunkte in den taktischen Funk und die Satellitenkommunikation vorgesehen.“

Uranos KI

Die Abteilung CIT befasst sich auch mit dem Thema Künstliche Intelligenz (KI) und startete in diesem Zusammenhang das Projekt Uranos KI. Dabei geht es um die Überwachung großer Räume an der Ostflanke der NATO. „Die Frage ist: wie können wir Sensoren, Effektoren und Führungsinformationssysteme verbinden, um mit weniger Personal große Räume zu überwachen und rechtzeitig Lageinformationen bekommen? Und wie können wir diese Lageinformation einem Effektor zuweisen, um ausgewählte Ziele schnell zu bekämpfen?“, erläutert Vetter das Vorhaben. „Im ersten Schritt geht es darum, Sensorik, Führungsinformation und KI zu verbinden. Es gilt, jetzt Wege zu finden, wie wir das Projekt so beschleunigen, dass wir es auch schon 2026 für die Brigade Litauen nutzen können. Diese Fähigkeit würde dann hochskaliert und in einer zweiten Ausbaustufe erweitert werden. Die digital aufbereiteten Lageinformationen sollen automatisiert an Waffensysteme weitergegeben werden. Damit wird ein KI-unterstützter Bekämpfungsvorgang realisiert, bei dem aber der Mensch immer an entscheidender Stelle „in the loop“ ist. Für uns ist das unverrückbar – nur der Mensch gibt den Feuerbefehl.“

Interoperabilität

Die digitale Vernetzung aller Dimensionen soll natürlich auch im Verbund mit den Verbündeten, insbesondere im Verbund der NATO, funktionieren. Interoperabilität ist somit ein wichtiger Erfolgsfaktor. Sie wird unter anderem dadurch erreicht, dass die Bundeswehr US-Funkgeräte beschafft, die in der NATO weitestgehend als „Quasi-Standard“ verwendet werden. Darüber hinaus beteiligt sich Deutschland an der Entwicklung einer leistungsfähigen, breitbandigen Wellenform, die auf Funkgeräten unterschiedlicher Hersteller verwendet werden kann. ESSOR, so der Projektname, wurde zwischenzeitlich als „NATO-Standardwellenform“ akzeptiert, sagt Vetter. „Damit beschreiten wir einen Weg, auf dem wir als Europäer souverän agieren können.“

Wesentlicher Stellhebel für die Interoperabilität sind IT-Services, also Anwendungen, die in einer Arbeitsteilung mit Partnernationen aus NATO oder EU bereitgestellt und betrieben werden können. Die dazu notwendigen Standards, Schnittstellen und Protokolle werden in der Interoperabilitätsinitiative FMN erarbeitet und festgelegt. Damit werde sichergestellt, dass man bei Chat-Anwendungen, Videokonferenzen- und Sprachübertragung kompatibel sei. „Darunter befinden sich auch Anwendungen beispielsweise für die Luftstreitkräfte, das militärische Nachrichtenwesen, die Landstreitkräfte und die Logistik. Mit den Amerikanern haben wir seit 2020 eine Rahmenvereinbarung, das sogenannte „Cyber IT Engagement Framework“, mit dem wir auch FMN nach vorne bringen und im Verbund mit unseren Verbündeten weiterentwickeln“.

Klassische Satelliten als wichtiges Instrument

Um die Kommunikation mit Dienststellen auf der gesamten Welt zu ermöglichen, spielen Satelliten eine entscheidende Rolle für die Bundeswehr. So soll das gegenwärtig genutzte Gesamtsystem, das im Wesentlichen auf eigenen geostationären Satelliten sowie Bodenstationen basiert, für den Weiterbetrieb bis Ende des Jahrzehnts ertüchtigt und Obsoleszenzen bei den Bodenstationen beseitigt werden. Neben zwei großen Stationen verfügt die Bundeswehr über rund 500 Bodenstationen unterschiedlicher Größen. Zusätzlich werden je nach Bedarf weitere Kapazitäten angemietet.

Im Rahmen des Projektes SATCOMBw Stufe 3 erwartet der General bis Mitte des Jahres den ausverhandelten Vertrag für neue bundeswehreigene Satelliten. Diese zukünftigen GEO-stationären Satelliten der Bundeswehr würden hinsichtlich Leistung, Robustheit und Cyber-Sicherheit einen „Quantensprung“ gegenüber gegenwärtig genutzten Systemen darstellen. „Wir wollen den ersten Satelliten 2028 im Orbit haben. Das ist ein Wettrennen gegen die Zeit“, sagt Vetter.

Neue Rechenzentren in Deutschland

Eine wichtige Rolle im digitalen Informations- und Kommunikationsverbund nehmen Rechenzentren am Standort Deutschland ein, die dringend ertüchtigt werden müssen, so der Abteilungsleiter CIT. Sie stammen zum Teil aus den 70er und 80er Jahren und sind nicht mehr „State of the Art“. „Wir müssen die Rechenzentren dringend erneuern, damit die Bundeswehr cloud-fähig wird.“ Im Sondervermögen seien dafür entsprechende Posten gebildet worden.

Weil die Rechenzentrumsleistungen skalierbar sein müssen und sich die Anforderungen über die Zeit „sehr agil verändern“, werde dieses Vorhaben nicht über das klassische Infrastrukturverfahren zu realisieren sein, erläutert Vetter. „Die BWI GmbH hat den Auftrag erhalten, eine Marktsichtung durchzuführen, Partner zu suchen, um „Rechenzentrum as a Service“ bereitzustellen.“ Neben der Bereitstellung solcher Leistungen als Service betrachte das bundeseigene IT-Unternehmen „einen ganz breiten Lösungskorridor“. Der Bau eigener Rechenzentren ist damit grundsätzlich nicht ausgeschlossen.

Heute habe die BWI bereits Leistungen in einem der modernsten Rechenzentren in Europa angemietet. „Es kann auch sein, dass wir mit einem Partner neue Rechenzentren bauen, die dann von der BWI betrieben werden. Wichtig dabei ist, dass wir souverän bleiben.“

Der General plant, bis Ende des Jahres mit der BWI einen entsprechenden Vertrag zu schließen. „Von diesem Vorgehen erhoffen wir uns eine deutliche Zeitersparnis“, sagt er. Aufgrund der gebotenen Resilienz könne es womöglich auch erforderlich sein, verlegefähige Komponenten für Deutschland zu nutzen, sagt Vetter. So könne man bereits heute Rechenzentren in handelsüblichen Containern kaufen. Der Lösungsraum sei breit definiert.

Software Defined Defence als Handlungslinie der Zukunft

„Software Defined Defence“ (SDD) ist das zentrale Leitprinzip für die Streitkräfteentwicklung der Zukunft. Im Kern hat SDD das Ziel, die enormen Potenziale von Software und damit ihrer Entwicklung und Integration zur Verbesserung der Fähigkeiten von Führungs-, Einsatz- und Waffensystemen systematisch zu nutzen. Hierfür ist die bislang eher rein hardwarezentrierte IT-Architektur schrittweise durch eine stärkere Softwarefokussierung zu ergänzen.

Zentrale Elemente der SDD-Umsetzung sind:

  • Modularität und Erweiterbarkeit
  • Schnelle Entwicklung und Bereitstellung
  • Berücksichtigung Künstlicher Intelligenz (KI)
  • Verbindlicher Entwicklungsrahmen (auch mit und für die Industrie)
  • Prozesse, Organisation und Mindset

Gegenwärtig verfügt die Bundeswehr jedoch nur über eine begrenzte eigene Software-Kompetenz. Das soll sich jedoch in Zukunft ändern. „Wir denken darüber nach, dass wir mit dem Zentrum Digitalisierung im Bereich Cyber- und Informationsraum schrittweise eine Software-Factory aufbauen, um die Fähigkeit schaffen, eigene Software zu entwickeln“, beschreibt Vetter die Planungen. Ohne diese Voraussetzung ist SDD für die Bundeswehr nicht sinnvoll umsetzbar.

Digitalisierungsplattform GB BMVg

Nach Aussage des Generals wird gegenwärtig im Bereich CIT auch das Beschaffungssystem für IT umgebaut. „Wir bezeichnen das als die Digitalisierungsplattform für die Bundeswehr“, beschreibt er den Ansatz. „Wir wollen weg von einer Vielzahl von projektspezifischen Einzellösungen hin zu einem konsolidierten IT-Serviceportfolio aus „State of the Art“- Standardbausteinen.“ Dabei sei die IT der Bundeswehr in neun Cluster aufgeteilt. „Jetzt geht es darum, in jedem dieser Cluster standardisierte, querschnittlich verwendbare und damit skalierbare IT-Services bereitzustellen, auch um weiter anschlussfähig an die NATO zu sein.“

Hat ein Nutzer der Bundeswehr Bedarf an einer neuen IT-Lösung, werde geprüft, welche Bausteine in den Clustern bereits verfügbar seien und eine Lösung unter möglichst weitgehendem Rückgriff auf diese standardisierten und querschnittlichen Services zusammengestellt. „Durch diese Standardisierung und eine übergreifende Systemarchitektur sind wir in der Lage, den Service x durch eine aktuelle technologische Version abzulösen, ohne gleich das ganze System umzubauen. Innovationen kommen dann dem gesamten Portfolio und nicht nur einzelnen Projekten zugute.“ Diese Modularisierung reduziere die Komplexität einzelner Projekte, beschleunige die Fähigkeitsbereitstellung und entlaste den Betrieb enorm durch gezielte Standardisierung.

„Wer nicht digitalisiert – verliert“- gemäß diesem Leitsatz sind nach Aussage von Vetter die beschriebenen Aktivitäten höchst priorisiert und müssen konsequent vorangetrieben werden.

Lars Hoffmann

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