Anzeige

Großbritannien beschafft Radhaubitzen RCH 155

Waldemar Geiger

Anzeige

Die britischen Streitkräfte werden im Rahmen des Programms Mobile Fires Platform die von KNDS Deutschland entwickelte Radhaubitze vom Typ RCH 155 beschaffen. Dies geht aus einer heutigen Meldung des britischen Verteidigungsministeriums hervor.

„Premierminister Rishi Sunak wird heute in Berlin mit Bundeskanzler Olaf Scholz zusammentreffen, um die Zusammenarbeit in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit zu vertiefen“, heißt es in der Mitteilung. In einem ersten Schritt werden das Vereinigte Königreich und Deutschland Pläne für ein gemeinsames Projekt zur Entwicklung von 155-mm-Radartilleriesystemen (RCH 155) bekanntgeben.

Kernbestandteil der RCH 155 ist das sogenannte Artillery Gun Module, welches ein in Serienproduktion befindlicher, vollautomatischer Geschützturm mit einer aus der Panzerhaubitze 2000 bekannten 155 mm/L52-Waffenanlage von Rheinmetall ist. Deutschland hat im Rahmen der militärischen Unterstützungsleistung der Ukraine KNDS mit der Herstellung und Lieferung von 36 Radhaubitzen RCH 155 (AGM auf Boxer) beauftragt. Zudem plant auch die Bundeswehr, über 160 dieser Radhaubitzen zu beschaffen, die Einleitung der Beschaffung wird gut informierten Kreisen zufolge noch in diesem Jahr erwartet.

Das Geschützmodul wurde von KNDS plattformunabhängig konzipiert. Vorausgesetzt, dass die geforderten Ansprüche des Geschützes in puncto Traglast und Stabilität erfüllt werden, kann das AGM theoretisch auf jede denkbare Plattform integriert werden. Gemäß den Aussagen des Herstellers treten beim AGM Rückstoßkräfte von bis zu 60 Tonnen (höchste Ladung) auf. Diese müssen durch die Plattform aufgenommen werden (auch während der Bewegung), ohne dass das Fahrgestell über Gebühr beansprucht wird oder die Präzision darunter leidet.

Vorgängerversionen des Systems wurden bereits vor über zehn Jahren, sowohl auf Basis eines aus dem Raketenartilleriesystem MARS bekannten Kettenfahrgestells, als auch auf einem 8×8-LKW-Fahrgestell von Iveco gezeigt. Das Grundkonzept des modernen Artilleriesystems hat KNDS bereits vor mehreren Jahren entwickelt. Bei der 2021 vorgestellten Haubitze auf Basis des Boxers handelt es sich aber um eine neue Version des Systems. Der maßgebliche optische Unterschied der neuen Version ist ein deutlich niedrigerer Waffenturm. Die niedrigere Silhouette ermöglicht einen einfacheren Bahntransport. Darüber hinaus ist auch eine Lufttransportfähigkeit im A400M – zumindest bei der Boxervariante – gegeben, dazu muss das Geschütz- / Missionsmodul, wie bei den anderen Boxerversionen auch, separat von Fahrzeugmodul transportiert werden.

In der Radhaubitzenvariante ist das AGM so ausgelegt, dass sie im kompletten Wirk- und Richtbereich mit der höchsten Ladung uneingeschränkt schießen kann. Die Fähigkeit zum Feuern aus der Bewegung ist einzigartig auf der Welt und wurde seitens der KNDS-Ingenieure aus der Funktionsweise von Stabilisierungsanlagen, wie sie in Kampf- und Schützenpanzern verwendet werden, abgeleitet. Dabei kalkuliert ein Rechner ständig die aktuelle Lage des Fahrzeuges und des Rohres. Weicht die Rohrrichtung vom errechneten Zielpunkt ab, wird nachgesteuert. Nur wenn die Waffe exakt auf das Ziel gerichtet ist, löst der Rechner den Schuss aus.

Die Besatzung ist dafür verantwortlich, dem System nur dann einen Feuerauftrag zu erteilen, wenn in unmittelbarer Nähe keine Hindernisse sind, die die Flugbahn der Granate behindern könnten. Dabei wird die Besatzung z.B. in der Variante der RCH 155 für die Ukraine durch das von Hensoldt entwickelte 360-Grand-Rundumsichtsystem Setas unterstützt. Setas ermöglicht der Besatzung eine effektive Nahfeldbeobachtung. Hindernisse, Bedrohungen und andere Gefahren können schnell erkannt und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Dies entlastet nicht nur die Besatzung, sondern trägt auch zu deren Überlebensfähigkeit in Duellsituationen bei.

Die Feuergeschwindigkeit des AGM beträgt mehr als acht Schuss pro Minute. In das AGM wurde ein vollautomatisches Ladesystem für Geschosse und modulare Treibladungen integriert. Die Zünder werden im Ladevorgang induktiv programmiert, die Waffenanlage elektrisch gerichtet. Die Kampfbeladung besteht aus maximal 30 bezünderten Geschossen und 144 modularen Treibladungen und damit rund 50 Prozent mehr, als es typische, auf LKW basierte und im Einsatz befindliche Artilleriesysteme haben. Der Feuerkampf wird durch einen Feuerleitrechner mit integriertem Ballistikrechner und Datenfunk-Anbindung zu einem Artillerieführungssystem unterstützt, der auf eine hochgenaue Navigationsanlage, mit oder ohne GPS-Unterstützung, zurückgreift. Der Turm kann ohne Fahrzeugabstützung um 360 Grad gedreht werden. Die Elevation des Rohres von -2,5 bis 65 Grad erlaubt den Feuerkampf sowohl auf große Entfernung als auch im direkten Richten auf nahe Ziele.

Mit einer Waffenstation ausgerüstete AGM verfügen zudem über eine sogenannte Hunter-Killer-Fähigkeit. Diese dient der Selbstverteidigung. Sie ermöglicht es der Besatzung, in Duellsituationen parallel erkannte Ziele zu bekämpfen und weitere, das Fahrzeug bedrohende Ziele aufzuklären. Während das Fahrzeug automatisiert eine vorher aufgeklärte Bedrohung bekämpft, kann der Kommandant bereits weitere Gegner aufklären und die Bekämpfung einleiten. Es sei hier jedoch angemerkt, dass die auf dem Flyer abgebildete Piranha-Radhaubitze mit einer Waffenstation versehen ist, auf den jüngst veröffentlichten Bildern ist das Artilleriesystem hingegen ohne eine Waffenstation zu sehen.

Eine Radhaubitze auf Basis des AGM kommt aufgrund des hohen Automatisierungsgrades mit einer zweiköpfigen Besatzung, dem Kommandanten und dem Kraftfahrer/ Systembediener, aus. In der RCH-155-Variante mit Setas kann der Kommandant über die Optronik der integrierten fernbedienbaren Waffenstation und des Setas potenzielle Ziele und Gefahren im gesamten Sichtbereich aufklären und im Bedarfsfall eine Zielauffassung vornehmen. Ist ein potenzielles Ziel aufgeklärt betätigt der Kommandant auf Knopfdruck den Einsatz der Artilleriekanone, der Rest erfolgt automatisiert. Das System richtet, lädt und feuert selbstständig. Wenn notwendig, kann der Kommandant in der Zwischenzeit mit der Waffenanlage der Waffenstation den Feuerkampf aufnehmen und das Ziel niederhalten, blenden oder weitere Ziele für Folgeschüsse aufklären.

Waldemar Geiger

.i.td-icon-menu-up { display: none; }