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Artilleriebeschaffung – mehr Tempo notwendig

Waldemar Geiger

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Bereits vor Jahren beschlossen, hat die Bundeswehr jüngst damit begonnen, neue Artillerieverbände aufzustellen. In den nächsten zehn Jahren soll die Zahl der Artillerieverbände von vier auf insgesamt 13 Bataillone aufwachsen, so dass zukünftig jede schwere sowie mittlere Brigade samt der darüberliegenden Division über einen eigenständigen Feuerunterstützungsverband verfügen wird. Zudem wird auch ein Artilleriebataillon auf Korpsebene vorgesehen.

Soweit so gut könnte man sagen, wenn man außer Acht lässt, dass die entsprechenden Verbände auch mit Material und Personal ausgestattet werden sollen. Und genau hier liegt der Knackpunkt. Bis jetzt gibt es zwar konkrete Planungen, sowohl neue Radhaubitzen als auch Raketenartilleriesysteme zu beschaffen, Verträge wurden jedoch noch nicht geschlossen. Wie man aus gut unterrichteten Kreisen hört, plant man zudem, im ersten Schritt nur die Lieferung für eine Handvoll Systeme in Auftrag zu geben.

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Angesichts der Tatsache, dass Material und Personal in unzertrennlicher Symbiose koexistieren, hätte man annehmen können, dass die Bundeswehrführung aus den letzten Jahrzehnten gelernt hat, dass ein leerer T-Bereich unweigerlich zu leeren Stuben in den Soldatenunterkünften führt. Bereits dieser Aspekt hätte Anlass genug geben sollen, frühzeitig notwendige Großbestellungen auszulösen und so ein Signal in die Truppe sowie das Bewerberfeld angehender Artilleristen zu senden, dass modernstes Gerät auf die Soldaten wartet, sobald diese das Kasernentor des neu aufgestellten Verbandes betreten. Niemand würde Mitglied in einem Fußballverein werden, der über keine Bälle und keinen Spielplatz verfügt. Genauso gering ist die Motivation von Bewerbern, Soldat in einem Verband zu werden, der nicht über ausreichend einsatzfähiges Wehrmaterial verfügt.

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Genau hier kommt ein anderer Aspekt zum Tragen. Damit die Bundeswehr überhaupt in die Lage versetzt wird, zügig neue Artilleriesysteme zu beschaffen, muss die Bestellung dafür quasi schon gestern in der Industrie eingegangen sein. Denn die Nachfrage nach solchem Wehrmaterial ist immens, wie man am Beispiel von Radhaubitzen gut sehen kann.

So ist beschlossen, dass die von KNDS Deutschland hergestellte Radhaubitze des Typs RCH 155 das neue radgestützte Rohrartilleriesystem der Bundeswehr werden soll. Kernbaugruppen der RCH 155 sind das in den Streitkräften bewährte Boxer-Fahrmodul sowie das unbemannte vollautomatische Artillerie-Geschütz-Modul mit einer L52-Kanone von Rheinmetall. Beides sind Komponenten, die derzeit stark nachgefragt werden.

Insbesondere bei den Rohren könnte die Nachfrage in den kommenden Jahren erheblich steigen. In puncot Rohtechnologie gehört der Düsseldorfer Rüstungskonzern zur absoluten Spitze der Welt. Egal ob 120mm-Panzerrohre oder 155mm-Haubitzenrohre, die Rheinmetall-Produkte setzen weltweit unerreichte Maßstäbe was Präzision und Haltbarkeit angeht. So gibt es kaum ein Rohrartillerievorhaben der westlichen Welt, in dem die Düsseldorfer nicht im Wettbewerb vertreten waren oder sind. Neben Deutschland ist es die Schweiz, Großbritannien und seit der kurzem auch in den USA. Nachdem das US-Heer sein ERCA-Haubitzenvorhaben eingestampft hat, gilt Rheinmetall als ein aussichtsreicher Rohrlieferant für die Kampfwertsteigerung der US-Haubitzen vom Typ Paladin sowie einer neu einzuführenden Radhaubitze.

Gleichzeitig müssen zusätzliche Ersatzrohre für die Bestandsflotten der Panzerhaubitze 2000 in verschiedenen Nutzernationen gefertigt werden. Denn auch wenn die Rohre aus deutscher Produktion als besonders langlebig gelten, nach ein paar tausend Schuss sind auch diese verschlissen und für den Austausch fällig. Dies gilt sowohl für die Haubitzen- als auch für Panzerrohre, die im Übrigen um begrenzte Produktionskapazitäten konkurrieren.

Neben den angesprochenen Rohren gibt es zahlreiche andere Engpasskomponenten, wie beispielsweise Triebwerke, deren Produktion nicht ohne Weiteres von heute auf morgen hochskaliert werden kann. Anhand des Ausbaus der Produktionskapazitäten von Artilleriemunition sieht man sehr anschaulich, wie langwierig so ein Prozess sein kann, selbst für ein vergleichbar standardisiertes und „simples“ Mengenprodukt. Es wäre hilfreich, wenn zuständige Entscheider in Politik und Streitkräften die gebotene Transferleistung aufbringen könnten, die gesammelten Erfahrungen auch auf andere Rüstungsbereiche zu übertragen. Denn sind die Auftragsbücher erstmal voll, wird es schwer, größere Stückzahlen in ausreichend hohem Tempo zu beschaffen.

Gelingt dies nicht, droht sich Geschichte zu wiederholen. Frust in der Truppe über unzureichende Verfügbarkeit von Waffensystemen führt zu sinkender Motivation und Bewerberlage. Tritt dieser Fall ein, wird die Einsatzfähigkeit der neu aufgestellten Verbände noch längere Zeit weiter leiden. Denn wenn das Material irgendwann endlich zur Verfügung steht, fehlt es dann an ausreichend ausgebildetem Personal, um dieses einsetzen zu können. Dann doch lieber früher und schneller beschaffen und nötigenfalls Material im Depot vorhalten, so dass die neu aufgestellten Verbände vom ersten Tag an über eine Vollausstattung verfügen.

Waldemar Geiger