Eine am Wochenende ausgestrahlte Folge des Fernsehmagazin-Formats „60 Minutes“ auf dem US-Fernsehsender CBS zum Einsatz der US-Kriegsschiffe im Roten Meer hat in den USA eine Diskussion zur Kosten-Nutzen-Rechnung der Flugabwehr entfacht, welche auch in Deutschland – zum Teil auch mit der gleichen falschen Fragestellung – immer wieder geführt wird. Dem 60-Minutes-Bericht zufolge hat die US-Marine seit Ende Oktober mittlerweile rund 100 sogenannte Standard Missiles, ohne Konkretisierung des genauen Typs, auf Flugziele der Huthi-Milizen verschossen. Wobei jede Standard Missile, egal ob SM-2 oder SM-6, mehrere Millionen US-Dollar kostet.
In dem Bericht wies die Moderatorin Norah O’Donnell darauf hin, dass die Waffensysteme – insbesondere die Standard Missiles – der Kriegsschiffe sehr teuer sind und stellte einem US-Marineoffizier die Frage: „Und Sie benutzen sie, um 10.000-Dollar-Drohnen abzuschießen. Ist es das wert?“ Auch in Deutschland sind solche oder ähnliche Fragen „Daueraufreger“ an den digitalen Stammtischen (Soziale Medien und Kommentarspalten von Online-Plattformen). Praktisch jede Meldung, wonach die Ukraine vom Westen gelieferte Flugabwehrsysteme für die erfolgreiche Abwehr russischer Raketen oder Drohnen nutzt, triggert die Gegenüberstellung von Kosten der Flugabwehr sowie der damit bekämpfbaren Raketen und Flugkörper.
Diese „Milchmädchen-Kosten-Nutzen-Analyse“, bei der wie auch immer errechneten Kosten einer Abwehrrakete mit ebenfalls fragwürdigen Kosten des Angriffswirkmittel verglichen werden, sind altbekannt und zudem immer wieder falsch sowie gefährlich. Zudem ist das Aufstellen einer solchen Rechnung regelmäßig makaber, wenn es um Schutz von Menschenleben geht. Obwohl von Fachleuten widerlegt, bleibt diese nicht zielführende Rechnung trotzdem hartnäckig am Leben.
Es ist absolut unsinnig, die Kosten für angreifende und abwehrende Raketen miteinander zu vergleichen. Der Grund dafür ist einfach, die Preise einer angreifenden Rakete sind in einer solchen Rechnung vollkommen irrelevant. Der primäre Sinn und Zweck von Flugabwehrsystemen ist es nicht, feindliche Flugziele abzuschießen, sondern Räume, Strukturen oder Kräfte zu schützen. Das Abschießen von Flugzielen, egal ob Rakete, Drohne, Marschflugkörper oder Flugzeug, ist nur Mittel zu Zweck. Sehr anschaulich lässt sich dies anhand der Nutzung des Raketenabwehrsystems Iron Dome durch die israelischen Streitkräfte verdeutlichen. Das System ist darauf ausgerichtet, die potenzielle Einschlagstelle der anfliegenden Rakete zu errechnen und den Bekämpfungsvorgang nur dann einzuleiten, wenn es en Risiko gibt, dass bewohntes Gebiet getroffen werden kann.
Aus diesem Umstand lässt sich ableiten, dass für das Aufstellen einer Rechnung die Relevanz beim Wert des voraussichtlichen Ziels, welches angegriffen wird, liegt und nicht beim Angriffsmittel. Für den Verlauf von Schlachten und Kriegen ist es nämlich unerheblich, ob ein Munitionsdepot, in dem mehrere Tausend Granaten Artilleriemunition lagern, von einer 10.000 Euro Drohne zerstört wird oder einer ballistischen Rakete, welche mehrere Millionen Euro kostet. Entscheidend ist nur der Wert des zu schützenden Gutes.
Da es der Öffentlichkeit nicht ersichtlich ist, welche Ziele beispielsweise im aktuellen Ukrainekrieg von Russland tatsächlich angegriffen werden, kann auch niemand beurteilen oder errechnen, ob sich beispielsweise der Einsatz der Patriot- und Iris-T-SLM-Flugabwehrsysteme zur Verteidigung der Ukraine „wirtschaftlich“ lohnt oder nicht.
Bezogen auf die Ausgangsthematik des Einsatzes der US-Marine im Roten Meer kommt es eben nicht auf den Preis der Huthi-Waffensysteme an, sondern auf den Umstand, dass dieser Einsatz seit Ende Oktober zur Grundvoraussetzung für die „eingeschränkte und teurere“ aber halt immer noch freien Handelsschiffart in dieser Region geworden ist, welche im Monat Waren im Wert von mehreren Milliarden Euro transportiert.
Die zweckmäßigere Frage wäre daher weniger nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis eines Drohnenabschusses mit einem SM-Flugkörper als vielmehr, ob die USA die Hauptlast einer solchen Mission tragen müssen, von der insbesondere die asiatischen, arabischen und europäischen Handelsnationen am meisten profitieren.
Waldemar Geiger