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Einsatz im Roten Meer offenbart Problemlagen europäischer Marinen

Waldemar Geiger

Erst die Fehlschüsse der deutschen Fregatte Hessen, nun die kürzlich bekannt gewordenen Probleme der dänischen Luftverteidigungsfregatte Iver Huitfeldt – der Einsatz im Roten Meer legt die Problemlage europäischer Marinen schonungslos offen. Bereits vor Beginn der Einsätze wurde selbst durch oberste Marinekreise zwischen den Zeilen kommuniziert, dass die Depots mit den zur Verfügung stehenden Abwehrflugkörpern quasi leer und lange Einsatzdauern gepaart mit hohem Flugkörperverbrauch nicht zu stemmen sind.

Der im Anschluss folgende „scharfe Einsatz“ der Kriegsschiffe, sowohl der deutschen als auch der dänischen Fregatte, offenbarte zudem noch technische Mängel in den entscheidenden Waffensystemen der Schiffe. Auch wenn, nach allem, was man öffentlich erfahren kann, unterschiedliche Ursachen für die technischen Probleme zugrunde lagen, kann doch eine Gemeinsamkeit erkannt werden. Beide Kriegsschiffe durchliefen unabhängig von dem geplanten Einsatz im Roten Meer anspruchsvolle Zertifizierungen, bei denen Schiff und Besatzung auf Herz und Nieren „getestet“ werden. Die Anführungszeichen für das getestet sind deswegen notwendig, weil bei der Zertifizierung der Kernfähigkeiten beider Luftverteidigungsfregatten, nämlich das Vermögen, Bedrohungen aus der Luft abwehren zu können, nur simuliert getestet wurde. Tests mit scharfen Schüssen fanden nicht statt. Gründe dafür gibt es wohl mehrere.

Einerseits sind da die hohen administrativen Hürden für den scharfen Einsatz der weitreichenden Waffen, weil aus Sicherheitsgründen weitläufige Luft- und Seeräume gesperrt werden müssen. Andererseits sind solche Tests mit hohen Kosten verbunden, da neben den teuren Lenkflugkörpern, die je nach Ausführung auch über eine Million Euro kosten können, auch entsprechende Zieldarstellungen bezahlt werden müssen.

Während man die administrative Problematik mittels intensiverer Abstimmung und besserer Koordination mit verbündeten Nationen vergleichsweise „einfach“ lösen könnte, isst die Kostenproblematik weitaus tiefer verwurzelt. Dass die meisten europäischen Streitkräfte in den letzten drei Jahrzehnten kaputtgespart wurden, sollte mittlerweile auch außerhalb der sicherheitspolitisch interessierten Öffentlichkeit jeder mitbekommen haben. Die Konsequenz daraus sind verschleppte Modernisierungen sowie fehlende Ersatzbeschaffungen von Munition für Übung und Einsatz.

Ob scharfe Schießtests auf die im Roten Meer auftretenden Zielkategorien die Problemlagen der beiden Schiffe offengelegt hätten, ist zuerst einmal selbstverständlich eine Spekulation. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt auf jeden Fall nicht bei null. Fakt ist hingegen, dass die aktuellen Zertifizierungsmaßnahmen mit den simulierten Schießtests und Prüfverfahren in dieser Hinsicht versagt haben.

Man stelle sich eine Situation vor, in der die Hessen keine, wie sich im Nachhinein festgestellt hat, verbündete Drohne hätte abschießen müssen, sondern einen anfliegenden Seezielflugkörper, der das eigene Schiff bzw. ein Handelsschiff bedroht hätte. Oder die beim zweiten Waffeneinsatz mittels Bordgeschütz bzw. dem Nahbereichsschutzsystem RAMSYS abgeschossenen Drohnen wären von einem anderen „Bedrohungskaliber“ gewesen. Das Resultat wäre unter Umständen sowohl für die Besatzung, deren Angehörige, die Streitkräfte aber auch für die Politik verheerend gewesen.

Bis zu diesem Extremfall, wo Menschenleben konkret gefährdet wären, muss man jedoch gar nicht erst gehen. Es würde schon der Umstand ausreichen, wenn die Lösung der aufgetretenen technischen Probleme keine Frage von Stunden oder wenigen Tagen wäre, sondern vielleicht Wochen oder Monaten dauern würde. Eine mögliche Konsequenz daraus wäre dann, dass sowohl die gesamte Hessen-Klasse, als auch die Iver-Huitfeldt-Klasse für die Dauer der Problemlösung nicht einsatzfähig wäre.

Spricht man in diesem Zusammenhang mit erfahrenen Beobachtern des aktuellen maritimen Geschehens im Roten Meer, weisen diese zurecht darauf hin, dass die Lage bei den europäischen Verbündeten nicht deutlich besser zu sein scheint. Auch die Briten mussten eines ihrer Kriegsschiffe vorzeitig für eine Instandsetzung abziehen und manch andere europäische Nation hadert bis heute mit einem Einsatz seiner Schiffe. Bis hin zu dem Umstand, dass Kenner der maritimen Kriegsführung die Patrouillenwege des ein oder anderen Schiffes hinterfragen, die sich wohl weniger für den Schutz der Schifffahrt als vielmehr für den Schutz der eigenen Munitionsbestände eignen.

Dies kann doch wirklich nicht der Anspruch europäischer Sicherheitspolitik sein. Wenn die Amerikaner, welche im Gegensatz zu vielen Europäern, ab dem ersten Tag für den Schutz der Handelsschifffahrt im Roten Meer sorgen, morgen abziehen oder beim nächsten Mal an anderer Stelle gebraucht werden, steht Europa „blank“ da, um es in den Worten eines Heeresgenerals zu sagen.

Damit dieser Umstand nicht eintritt, muss unweigerlich in die Flotte investiert werden. Dies gilt sowohl für die Munitionsbestände als auch für die Sicherstellung der Einsatzfähigkeit durch wiederkehrende scharfe Waffentests. Es führt kein Weg daran vorbei, dass hin und wieder jedes Glied einer Wirkkette, vom Besatzungsmitglied bis hin zu jedem Subsystem des Schiffes und der Waffen, seine Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit anhand von realen Szenarien beweisen muss, genauso wie es auch bei den Landstreitkräften praktiziert wird. Man stelle sich den Fall vor, bei dem eine deutsche Infanteriekompanie ohne Gefechtsschießen in den Einsatz verlegen würde, niemand würde dies gutheißen. Von den Kriegsschiffsbesatzung wird aber genau das erwartet. Das muss sich schleunigst ändern, auch wenn das mit höheren Kosten verbunden ist. Einen Fall, bei dem die Flotte dann doch auslaufen und kämpfen muss, aber es nicht kann, weil die Waffen versagen, will niemand erleben.

Waldemar Geiger

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