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Drachenkönige, schwarze Schwäne und graue Nashörner: NATO-Publikation zur Risikobewertung von weltpolitischen Entwicklungen

Kristóf Nagy

Das in Rom ansässige NATO Defense College hat eine Publikation mit dem Titel „What if…? 12 Dragon King scenarios for 2028“ veröffentlicht. Die dreizehn Autoren untersuchen dabei sowohl potenzielle Konflikte, bzw. deren Verschärfung zwischen Nationalstaaten, als auch die mögliche Verschiebung internationaler Beziehungen und Bündnissysteme, sowie Quellen interner Unruhen und das Agieren nichtstaatlicher Akteure. Angelegt auf einem Zeithorizont bis zum Jahr 2028 beleuchtet die Publikation interessante Entwicklungsoptionen und mögliche Gefahren auf der weltpolitischen Bühne.

Risikoanalysen, Bewertungen und insbesondere Vorhersagen sind spannende und überaus wichtige Tätigkeitsfelder für eine Schar von Fachleuten sowohl in der Wirtschaft, bei staatlichen Organisationen wie dem Militär oder Katastrophenschutz, als auch in der Politik. Um vor die sprichwörtliche Lage zu kommen, muss eine Organisation diese idealerweise bereits antizipieren und mögliche Handlungsoptionen, daraus resultierende Risiken inkludiert, im Falle eines Eintretens für die rasche Entscheidungsfindung vorhalten. Daher nimmt es nicht Wunder, dass die theoretische Beschäftigung mit diesem Feld auch markante Schlagworte hervorgebracht hat.

Der als Black Swan Event, zu Deutsch schwarzer Schwan-Effekt etwa beschreibt etwa Ereignisse, welche vollkommen unerwartet und daraus resultierend nicht vorhersehbar eintreten, sowie einen überaus großen Effekt haben. Als Beispiel für einen schwarzen Schwan-Effekt der jüngeren Geschichte wird von der einschlägigen Literatur die Anschläge vom 11. September 2001 angeführt.

Graue Nashörner (Grey Rhino) wiederum sind aus bekannten Gefahren entstandene Ereignisse, welche aus den unterschiedlichsten Gründen nicht in die Risikobewertung eingeflossen sind und zu deren Abwehr daher keine nennenswerten Vorbereitungen getroffen wurden.

Eines der Schlüsselthesen der Publikation ist jedoch die von der Direktorin der NATO Defense College Forschungsabteilung Florence Gaub vertretene Sicht, dass die meisten Großereignisse eher in die Kategorie der Drachenkönigtheorie (Dragon King) fallen. Drachenkönige sind definitionsgemäß sehr große (weltpolitisch relevante) Ereignisse, welche einen einzigartigen Ursprung haben. Obwohl komplex und dynamisch in der Entstehung, erlauben Drachenkönige-Szenarien durch eine Überwachung der Entstehungsvorgänge, im Gegensatz zu dem schwarzen Schwan eine gewisse Vorhersehbarkeit. Geprägt wurde die Metapher von dem Schweizer Wissenschaftler Prof. Didier Sornette, der sie aus der Perspektive des Risikomanagements in der Privatwirtschaft betrachtete. Die vorliegende Publikation des NATO Defense College wendet diese Theorie auf das globale Konfliktpotential an.

In den einleitenden Kapiteln wird das Konfliktpotenzial anhand möglicher zwischenstaatlicher Spannungen und daraus resultierender militärischer Zusammenstöße im Rahmen von mehreren Fallstudien beleuchtet. Naturgemäß nehmen hypothetische Konflikte zwischen Russland und der NATO bzw. Japan die Hauptrolle ein. Aber auch ein mögliches nukleares Szenario zwischen Indien und Pakistan wird modelliert. Dabei sind alle Szenarien unterteilt in das Ereignis, dem Drachenkönig, einer Konsequenz und einer Betrachtung der Prozesse, die zu dem Ereignis geführt haben, wodurch der (partiell) vorhersehbare Charakter der Drachenkönig-Szenarien deutlich wird. Diese Aufteilung setzt sich auch bei der Betrachtung möglicher Verschiebungen in internationalen Beziehungen und der Betrachtung potenzieller innerstaatlicher Konflikte fort. Das Studium der unterschiedlichen Szenarien, welche sich von der Arktis über Afrika bis nach Südamerika und Asien global spannen, ist jedem sicherheitspolitisch interessierten nur wärmstens zu raten.

Die Fallstudie kann hier in Englischer Sprache kostenlos heruntergeladen werden: „What if…? 12 Dragon King scenarios for 2028“

Kristóf Nagy

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