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Wehrpflicht – keine Kriegstüchtigkeit ohne junge Soldaten

Waldemar Geiger

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Es herrscht Krieg in Europa und niemand kann ausschließen, dass sich die Lage in ein paar Jahren nicht noch weiter verschlimmert. Politik und Gesellschaft in Deutschland sind sich im Großen und Ganzen einig, dass das Land fähige und einsatzbereite Streitkräfte braucht, um im Schulterschluss mit den Verbündeten der NATO potenzielle Gegner abschrecken zu können, so dass diese gar nicht erst auf die Idee kommen, einen Krieg auf das NATO-Territorium zu tragen. Das Problem dabei: Den Preis für die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr will man offenbar nicht zahlen. Dies gilt sowohl für die dafür notwendigen Haushaltsmittel als auch das notwendige Aufbrechen dysfunktionaler Strukturen sowie die Reaktivierung einer der weltpolitischen Lage entsprechenden Wehrpflicht.

Wenn Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius morgen seine Pläne für die Wiedereinführung der Wehrpflicht vorstellen wird, erwarten selbst die größten Optimisten nicht mehr, dass das vorgestellte Modell dem tatsächlichen Ernst der Lage entsprechen wird. Schließlich haben unterschiedliche Teile der Regierungskoalition bereits im Vorfeld eine deutliche Missbilligung für die Wiedereinführung einer „richtigen“ Wehrpflicht kundgetan.

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So sehen zwar alle, dass die Streitkräfte ein Personalproblem haben, die Wehrpflicht betrachtet man aber nicht als Teil der Lösung. Gründe dafür sind offenbar weniger in sachlich durchdachten Argumenten zu finden, als vielmehr in parteiideologischen Ansichten. Weder SPD noch die Grünen oder die FDP sind mehrheitlich für einen „Zwangsdienst fürs Vaterland“ zu gewinnen – nur um einen Kampfbegriff der Debatte zu nennen.

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Bereits lange im Vorfeld des morgigen Termins wurden unterschiedlichste Lösungsvorschläge in den Raum geworfen, die doch besser geeignet seien den Bedarf der Streitkräfte zu decken. Von der Öffnung der Streitkräfte für Frauen und Männer ohne deutsche Staatsbürgerschaft, über die Weiterführung der Technisierung und Automatisierung der Truppe bis hin zu „Aktivierung“ von hunderttausenden in der deutschen Gesellschaft schlummernden Reservisten – keiner der vorgeschlagenen „Lösungsansätze“ taugt als Argument gegen die Wiedereinführung einer Wehrpflicht.

Der Grund dafür liegt bereits in der fehlerhaften Grundannahme beim Personalbedarf der Streitkräfte. Denn sollen Streitkräfte tatsächlich „kriegstauglich“ sein – in dem Verständnis, dass sie in der Lage sind, in einem Deutschland aufgezwungenen Krieg erfolgreich bestehen zu können – ergibt sich der erforderliche Personalbedarf nicht aus dem formulierten Personalbedarf der Streitkräfte (politisch vorgegeben), sondern aus dem aufgezwungenen Personalbedarf des Krieges. So wird der Weltöffentlichkeit in der Ukraine gerade sehr plakativ vorgeführt, dass auch der moderne, mit fortschrittlichsten Technologien geführte Krieg weiterhin einen archaischen Wesenskern aufweist. Auch ohne Blick in die Kristallkugel kann daraus die These abgeleitet werden, wonach „Muskelkraft“ in den nächsten Jahrzehnten unersetzlich bleibt. Geschweige denn in fünf bis sieben Jahren, also dem Zeitpunkt, den das Verteidigungsministerium als wahrscheinlichen Moment ansieht, in dem Russland seine Verluste aus dem Ukraine-Krieg rekonstituieren und somit eine deutlich größere Bedrohung für die NATO darstellen könnte.

Diesem Umstand – Zeitpunkt für den „quantitativen und qualitativen“ Personalbedarf – entgegenblickend, führt kein Weg an einer modernen Wehrpflicht vorbei, bei der jährlich einige Zehntausend Rekruten in die Streitkräfte eingezogen und dort ausgebildet werden. Nur diese Maßnahme kann sowohl die notwendige Personalmenge als auch „Personalqualität“ schnell genug verfügbar machen.

So sehr man sich andere Lösungen wünschen mag, auch der „moderne Krieg“ hat einen unstillbaren Hunger nach jungen Soldatinnen und Soldaten. Denn auch in Zukunft müssen Systeme, egal ob Drohnen, Munitionskisten oder schwere Waffen, Tag für Tag über Kilometer hinweg von A nach B geschleppt werden. Es werden auch weiterhin unzählige Häuser und Stellungssysteme zur Verteidigung ausgebaut oder im Rahmen von Angriffen gestürmt werden. All dies war und wird hauptsächlich Aufgabe von jungen Soldaten – zukünftig vielleicht auch vermehrt von Soldatinnen – sein, deren Körper physische Strapazen des Krieges einfacher wegstecken und sich von Belastungen schneller regenerieren können, als es die Physis von Menschen jenseits der 40 erlaubt.

Nicht umsonst werden sportliche Spitzenleistungen – egal ob im Amateur- oder Profisport – von Menschen im Altersband von 20 bis 40 erzielt. Mit zunehmendem Alter steigen die Verletzungsanfälligkeiten und die Dauer der Rekonvaleszenz. Und das Gefechtsfeld bietet auch abseits des Feindfeuers unzählige Möglichkeiten, sich zu verletzen. Ältere Soldaten – egal ob in der Kampf- oder der Unterstützungstruppe und egal welchen Dienstgrades – mögen zwar viel Erfahrung haben, sie haben aber eben oftmals auch „Rücken“ oder „Knie“.

Für die Kriegstauglichkeit der Streitkräfte ist die „Jugend“ alternativlos. Eine schlagkräftige Truppe braucht sowohl die Erfahrung der „alten Hasen“ als auch die Physis der „jungen Wilden“. Das letzte Jahrzehnt hat in Deutschland gezeigt, dass ein solcher Truppenmix mit der notwendigen Quantität und Qualität ohne Wehrpflicht nicht erreicht werden kann.

Waldemar Geiger