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Nationales Sicherheitsinteresse: Schwache Argumente als Begründung gegen eine Taurus-Lieferung

Fabian Hoffmann

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Im Rahmen der Pro- und Contra-Diskussion über eine mögliche Taurus-Lieferung an die Ukraine ist in den vergangenen Tagen und Wochen die Argumentation mit dem nationalen Sicherheitsinteresse als zweiter zentraler Punkt aufgetaucht, warum Deutschland angeblich nicht in der Lage ist, Taurus an die Ukraine zu liefern. Meiner Auffassung nach ist dieses Argument zwar nicht kohärent, wird die Debatte aber vermutlich beenden können.

Das Argument der nationalen Sicherheit, das gegen Taurus spricht, wurde vor allem von Verteidigungsminister Boris Pistorius vorgebracht: „Es gibt Aspekte, die für die nationale Sicherheit so entscheidend sind, dass wir sie nicht öffentlich diskutieren können“, erklärte Pistorius kürzlich in der Fernsehsendung Maischberger.

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Der Minister und andere hochrangige Vertreter haben zwar keine Einzelheiten zu diesen nationalen Sicherheitsinteressen und ihrer Entstehung genannt, dennoch ist es wahrscheinlich, dass sie sich auf die Rolle des Taurus-Marschflugkörpers in der deutschen Militärstrategie und seiner Rolle in Kriegszeiten beziehen.

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Diesbezüglich sehe ich zwei Möglichkeiten: Erstens könnte die Bundesregierung der Ansicht sein, dass die Aufrechterhaltung einer allgemeinen Fähigkeit zur Durchführung von Präzisionsschlägen tief im feindlichen Territorium von entscheidender Bedeutung ist. Nach dieser Auffassung könnte der Taurus nicht geliefert werden, denn das Fehlen einer ausreichenden Tiefe des Taurus-Arsenals untergräbt die deutsche Kriegsführungsposition.

Zweitens könnte die Regierung dem Taurus neben dem allgemeinen Einsatz als Wirkmittel großer Reichweite auch eine kritischere Funktion für die nationale Sicherheit zuschreiben. Kürzlich durchgesickerten Details zufolge könnte Taurus eine Rolle bei der präventiven Neutralisierung des russischen Nukleararsenals in Kaliningrad spielen.

Das Taurus-Kaliningrad-Gerücht kursiert in Berlin schon seit einiger Zeit und wurde von zahlreichen Medien aufgegriffen. Die deutsche Regierung hat diese Art des Taurus-Einsatzes dementiert und klargestellt, dass Taurus nicht für diesen Zweck gebaut wurde.

Dieses Argument könnte trotzdem an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn man die Scholz zugeschriebenen Befürchtungen vor einem Atomschlag gegen Deutschland – wie es Präsident Zelensky getan hat – bedenkt. Außerdem wurde die Anschaffung des Luftverteidigungssystems Arrow 3 in Deutschland teilweise als Maßnahme zur Abwehr von Atomwaffen gerechtfertigt.

Unabhängig davon, ob sich das nationale Sicherheitsargument auf die erste (Allzweckwaffe) oder die zweite (Counterforce-Fähigkeit) Option bezieht, fehlt ihm sowohl im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine als auch im weiteren Rahmen der nationalen deutschen Sicherheitspolitik die Kohärenz.

Wenn sich das Argument der nationalen Sicherheit auf die Sorge um die Tiefe des Taurus-Arsenals und die Schlagfähigkeit bezieht, stellen sich mehrere Fragen:

  1. Warum wurden selbst zwei Jahre nach Kriegsausbruch keine neuen Produktionsaufträge für den Taurus vergeben?
  2. Warum dauerte es zwei Jahre, bevor die Überholung nicht einsatzbereiter Taurus angegangen wurde?
  3. Warum die Verzögerung der Eurofighter-Integration?

Zudem stellt sich folgende grundsätzliche Frage abseits der Taurus-Debatte: Wenn die Abwehr feindlicher Raketen als so wichtig erachtet wird, warum ist Deutschland dann bereit, sich von mehr als 25 Prozent seiner Patriot-Batterien zu trennen, aber gleichzeitig die Abgabe von weniger als 10 Prozent seines Langstreckenwaffenarsenals, oder etwa 50 Taurus-Marschflugkörper, für einen unrealistischen Schritt hält?

Ironischerweise wären Deutschlands NATO-Verbündete im Kriegsfall wahrscheinlich besser in der Lage, einen Mangel an deutschen Langstreckenwaffen auszugleichen, als den deutschen Bedarf an Raketenabwehr im Inland zu decken. Meiner Meinung nach ist dieses Argument daher nicht sehr überzeugend.

Zu diskutieren wäre noch die zweite Option, bei der der Taurus eine konventionelle Counterforce-Funktion erfüllt.

Deutschland wäre nicht das erste Land, das sich zur Abschreckung eines nuklear bewaffneten Gegners auf konventionelle Wirkmittel verlässt. Südkorea tut dies schon seit Jahrzehnten und verfügt damit über eine einigermaßen glaubwürdige Minimalabschreckung gegenüber Nordkorea.

Im Gegensatz zu Südkorea verfügt die Bundesrepublik jedoch nicht über eine angemessene Streitkräftestruktur, um diese Aufgabe zu erfüllen.

Südkorea hat jahrzehntelang systematisch in eine konventionelle strategische Abschreckung investiert, die in der Lage ist, tief vergrabene und gehärtete nordkoreanische Nuklearziele präventiv zu neutralisieren. Dies war mit hohen Investitionskosten sowie erheblichen Opportunitätskosten verbunden.

Neben den großen operativen Herausforderungen birgt eine konventionelle Counterforce-Strategie weitere politisch-militärische Risiken im Hinblick auf die Stabilität von Krisen und Rüstungswettläufen, wie Ian Bowers und Henrik Stalhane Hiim in ihrem Artikel über Südkoreas Abschreckungsstrategie erläutern (Conventional Counterforce Dilemmas: South Korea’s Deterrence Strategy and Stability on the Korean Peninsula).

Wäre Deutschland also bereit, eine ähnliche Investition zu tätigen und ein ähnliches Risiko einzugehen? Solange Deutschland nicht damit beginnt, in ein wirklich potentes Langstreckenwaffenarsenal, verbunden mit dazugehörigen Aufklärungsfähigkeiten, zu investieren, werden alle deutschen Bestrebungen einer konventionellen Counterforce-Fähigkeit wie Wunschdenken oder eine schlechte Ausrede erscheinen.

Meiner Ansicht nach ist dies der entscheidende Punkt. Auch wenn die deutschen Bedenken in Bezug auf Taurus und die nationale Sicherheit echt sein mögen, hinterlassen die vergangenen Ereignisse und die mangelnde Kohärenz der deutschen Verteidigungspolitik in dieser Frage einen schlechten Eindruck – unabhängig davon, ob sich das Argument auf Option Eins oder Zwei bezieht.

Die Berufung auf nationale Staatsinteressen erscheint als eine Taktik, um die politisch ungewollte Debatte abschließend zu unterdrücken. Für die Bundesregierung ist es eine stichhaltigere Rechtfertigung im Vergleich zu den fadenscheinigen Ausreden, die im Vorfeld hervorgebracht wurden und die sich auf die technischen und rechtlichen Aspekte des Taurus-Einsatzes stützen.

Zusammen mit dem Zögern von Bundeskanzler Olaf Scholz, den Taurus aufgrund von Eskalationsbedenken nicht zu liefern, macht die Berufung auf ein zwingendes nationales Sicherheitsinteresse deutlich, dass die derzeitige Regierung den Taurus der Ukraine nicht bereitstellen wird.

Autor: Fabian Hoffmann ist Doktorand am Oslo Nuclear Project an der Universität Oslo. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Verteidigungspolitik, Flugkörpertechnologie und Nuklearstrategie.