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Lohnt sich eine Wiederaufnahme der Taurus-Produktion?

Fabian Hoffmann

Langstreckenpräzisionswaffen wie der Marschflugkörper Taurus bieten im modernen Krieg Schlüsselfähigkeiten. Die Möglichkeit, Ziele in operativer und strategischer Tiefe zu bekämpfen, ist für die Durchführung von offensiven und defensiven Manövern von entscheidender Bedeutung. Der Krieg in der Ukraine stellt dies jeden Tag unter Beweis.

Allerdings sind die Flugkörperarsenale in Europa leer – und das nicht erst seitdem einige europäische Staaten Marschflugkörper an die Ukraine liefern. Deutschland besitzt etwas weniger als 600 Marschflugkörper des Typs Taurus KEPD-350. Allerdings sollen davon Medienberichten zufolge nur etwa 300 einsatzbereit sein, welche bis 2018 ein Midlife-Upgrade bekommen haben. Die restlichen Taurus-Marschflugkörper sind derzeit offenbar mit abgelaufener Zertifizierung eingelagert.

Selbst wenn die Bundeswehr die gelagerten Taurus rezertifiziert und gegebenenfalls upgradet, ändert das nichts an der Tatsache, dass Deutschland und Europa dringend Nachschub an Langstreckenpräzisionswaffen brauchen. Im modernen Krieg ist Arsenaltiefe entscheidend und kann nicht zwangsläufig durch qualitative Vorteile kompensiert werden.

Wie der FDP-Verteidigungspolitiker Markus Faber berichtet, soll Deutschland der NATO 1.000 Taurus-Marschflugkörper im Rahmen des NATO Defense Planning Process (NDPP) zugesagt haben. Diese Zahl könnte nur erreicht werden, wenn Deutschland die Taurus-Produktion wieder hochfährt.

Eine Wiederaufnahme der Produktion ist vorstellbar, vor allem wenn deutsche Entscheidungsträger die dafür notwendigen industriepolitischen Ambitionen zeigen. Dabei könnte Südkorea, Deutschlands großer Konkurrent beim Bau moderner Panzerfahrzeuge, eine entscheidende Rolle spielen.

Neben Deutschland ist Südkorea der größte Betreiber von Taurus-Marschflugkörpern. Das Land besitzt etwa 270 Taurus KEPD-350K-Marschflugkörper, welche zwischen 2016 und 2020 geliefert wurden. Der Taurus stellt eine Schlüsselkomponente in Südkoreas Abschreckungsstrategie gegenüber Nordkorea dar. Im Falle eines Konflikts mit dem nuklear bewaffneten Nachbarn, in dem der Einsatz nordkoreanischer Nuklearwaffen unmittelbar droht, sollen Taurus-Marschflugkörper, zusammen mit anderen konventionellen Waffensystemen, dazu eingesetzt werden, Nordkoreas Nuklearwaffenarsenal vor dem Abschuss zu zerstören – eine herausfordernde Aufgabe.

Aufgrund der steigenden Spannungen auf der koreanischen Halbinsel erweitert Südkorea sein konventionelles Langstreckenpräzisionsarsenal derzeit massiv. Dabei möchte Südkorea auch einen Marschflugkörper für seinen leichten Kampfjet des Typs FA-50 beschaffen. Die im Besitz Südkoreas befindlichen Taurus-Marschflugkörper sind für diesen Kampfjet zu schwer.

Um Abhilfe zu schaffen, hat der südkoreanische Rüstungsproduzent LIG Nex1 vor kurzem eine Absichtserklärung mit der Taurus Systems GmbH für die gemeinsame Entwicklung eines Taurus KEPD-350K-2 unterschrieben, der in der Lage sein soll, vom FA-50 zu starten. Berichten zufolge soll die Gewichtsreduzierung vor allem durch Wegfall eines Treibstofftanks zu Stande kommen, was zwar die Reichweite, nicht aber das allgemeine Fähigkeitsprofil beeinflussen würde.

Mit dem Taurus KEPD-350K-2 gäbe es das Potenzial, eine gemeinsame und robuste Lieferkette für die Produktion von Taurus-Marschflugkörpern aufzubauen, welche durch einen erheblichen Auftragseingang gestützt ist.

Sollte Deutschland der NATO tatsächlich 1.000 Taurus für die Verteidigungsplanung zugesagt haben, bräuchte es zumindest noch 400 weitere, sowie eine gewisse Reserve, um temporäre Ausfälle kompensieren zu können. In jedem Fall ist eine Aufstockung des deutschen Marschflugkörperarsenals vor dem Hintergrund der neuen Sicherheitslage in Europa wünschenswert. Es ist unklar, wie viele Marschflugkörper Südkorea beschaffen möchte. Man kann allerdings davon ausgehen, dass es zumindest 100 bis 200, wenn nicht sogar deutlich mehr sind.

Zusätzlich hätte der Taurus KEPD-350K-2 ein beträchtliches Exportpotenzial, da er sich automatisch als Standard-Abstandswaffe für den FA-50 etablieren würde. Insbesondere Polen, dessen Streitkräfte 48 FA-50 bestellt haben, könnte Interesse daran haben, den Marschflugkörper in relativ großen Stückzahlen zu erwerben. Auch eine Bestellung von anderen FA-50-Nutzern wie die Philippinen oder Malaysia ist vorstellbar.

Eine Neuproduktion des Taurus KEPD-350 könnte auch Anreize für andere europäische Staaten schaffen. Spanien, welches bereits Taurus-Marschflugkörper in geringer Stückzahl besitzt, könnte dazu ermutigt werden, sein Arsenal quantitativ aufzuwerten. Auch Schweden, das lange über eine Taurus-Beschaffung nachgedacht und die Integration mit dem Gripen-Kampfjet schon begonnen hat, könnte eine Neuproduktion als Anlass nehmen, eine Bestellung vorzunehmen.

Die Beispiele verdeutlichen, dass ein potenzieller Auftragseingang für einen Marschflugkörper der Taurus-Klasse möglich ist. Was es jetzt braucht, ist politischer Wille, die Wiederaufnahme der Produktion in Gang zu setzen und eine robuste Lieferkette aufzubauen. In erster Linie ist es dafür notwendig, dass der von Südkorea gewollte Taurus KEPD-350K-2 zu Stande kommt und nicht zu sehr vom Taurus KEPD-350- Basismodell abweicht. So wäre es zum Beispiel verkraftbar, wenn sich die beiden Modelle in Sachen Treibstoffkapazität und Rumpflänge unterscheiden. Allerdings sollten große Unterschiede bei Komponenten wie dem Antriebs-, Navigations- und Gefechtskopfsystem vermieden werden. Damit dies gelingt, sollte die Beschaffung bilateral von oben koordiniert werden.

Wie wertvoll ein großer Auftragseingang sein kann, zeigt der Fall der amerikanischen AGM-158 Joint Air-to-Surface Standoff Missile (JASSM). JASSM ist im Fähigkeitsprofil vergleichbar mit dem Taurus, wenn auch die Systemarchitektur etwas weniger komplex aufgebaut ist. In den letzten Jahren haben die USA im Durchschnitt etwa 1,2 Million Euro pro JASSM bezahlt – ein Schnäppchen, wenn man bedenkt, was man dafür bekommt. Der niedrige Stückpreis ergibt sich jedoch nur, weil der Hersteller Lockheed Martin momentan mehr als 700 Marschflugkörper pro Jahr produziert und mehrere Tausend JASSM-Marschflugkörper fest im Auftragsbestand verbucht hat.

Zum Vergleich: Würde man heute anfangen, den Taurus in geringer Stückzahl zu produzieren, wäre es wahrscheinlich schwierig, den Stückpreis unter 2 Millionen Euro zu halten. Damit Deutschland und Europa Marschflugkörper zu angemessenem Preis produzieren können, muss der Auftragseingang erhöht werden.

Der Krieg in der Ukraine sorgt für eine globale und europäische Nachfrage nach Langstreckenpräzisionswaffen. Ein Auftragseingang von über 1.000 Marschflugkörpern der Taurus-Klasse ist deshalb durchaus realistisch, wenn Deutschland, Südkorea, Polen, Schweden und eventuell noch andere Staaten Bestellungen platzieren. Eine solche Zahl würde auch dafür sorgen, die Produktionskapazitäten erhöhen zu können, was ein bedeutender Impuls für die dringend notwendige Aufrüstung in Europa wäre. Es würde auch dazu beitragen, wichtige Technologien im Rüstungsbereich in Deutschland und Europa zu erhalten und nicht komplett auf amerikanische Produzenten angewiesen zu sein. Weitere Taurus-Marschflugkörper wären letztlich auch im Rahmen der Eurofighter-Beschaffung sinnvoll. Die Integration von Taurus in die Eurofighter-Plattform ist fortgeschritten, allerdings noch nicht abgeschlossen. Bis spätestens 2030 soll die Integration vollendet sein, noch bevor der Tornado, der momentan als Trägerplattform des Taurus fungiert, ausgemustert wird. Eine Aufstockung des Taurus-Arsenals würde die Fähigkeiten und den Wert des Eurofighters erhöhen und zum Erfolg des derzeitigen Eurofighter-Beschaffungsprojekts beitragen.

Autor: Fabian Hoffmann ist Doktorand am Oslo Nuclear Project an der Universität Oslo. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Verteidigungspolitik, Flugkörpertechnologie und Nuklearstrategie.

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