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TAURUS-Debatte – Schutz ist kein Ersatz für Wirkung

Waldemar Geiger

Seit dem ersten Tag der russischen Invasion in die Ukraine ist die Debatte um die deutsche Militärhilfe für die Ukraine im politischen Raum vor allem dadurch geprägt, dass in militärischer und technischer Hinsicht unsinnige Phantasiedefinitionen – a la Offensiv- und Defensivwaffen, etc. – für Militärgerät ersonnen werden, um die Lieferung bestimmter Ausrüstung oder Waffensysteme zu begründen beziehungsweise abzulehnen. Ganz besonders sieht man es in Teilen der friedensbewegten Politik, die merklich damit hadert, die Notwendigkeit beschlossener Unterstützung der Ukraine sich selbst und dem eigenen Wählerklientel zu erklären. Hat man doch über Jahrzehnte jegliche Waffenlieferung in Krisen- und Kriegsgebiete kategorisch abgelehnt.

Auch in der Debatte um eine mögliche Lieferung des Marschflugkörpers TAURUS ist das gleiche Schema in einer leicht abgewandelten Form zu beobachten. Ganz vorne mit dabei SPD-Politiker Ralf Stegner. Obwohl Stegner in den vergangenen beiden Wochen unermüdlich vor jeder Kamera und in jedes Mikrofon erklärt hat, dass er selbst kein Militärexperte sei, lässt er sich nicht nehmen im gleichen Atemzug gegen die Lieferung des TAURUS zu argumentieren und zu sagen, dass die Ukraine vordringlich Flugabwehrsysteme für den Schutz der Zivilbevölkerung brauche und Deutschland auf diesem Gebiet viel leiste.

Nun kann man zu der Lieferung von weitreichenden Waffensystemen wie dem TAURUS stehen, wie man will, die Verknüpfung des Themas mit der Lieferung von Schutzsystemen ist militärisch gesehen Unsinn. Denn selbst das vom Kanzler ausgegebene Minimalziel „Russland darf nicht gewinnen und die Ukraine nicht verlieren“ lässt sich mit dieser Strategie nicht erreichen. Der Grund dafür ist einfach zu erklären. Die Abwehr von Drohnen- und Raketenangriffen ist um ein Vielfaches komplexer und teurer als der Angriff selbst. Man könnte die Ukraine vollstopfen mit Patriot- und IRIS-T-SLM-Flugabwehrsystemen, einen einhundertprozentigen Schutz – ganz besonders über die Zeit hinweg – würde man nicht erreichen können, da Russland seine Angriffsmittel viel schneller und einfacher nachproduzieren kann als Deutschland und die USA die Flugkörperbewaffnung für die Luftverteidigungssysteme, selbst wenn wir die Produktionslinien noch weiter ausbauen würden.

Es ist sicherlich selbst für Nicht-Militärexperten leicht zu verstehen, dass ein „Panzer“ ohne Kanone, selbst wenn er die dickste Panzerung der Welt besitzen würde, einem „klassischen Kampfpanzer“ mit ausbalanciertem Verhältnis zwischen Schutz, Mobilität und Wirkung hoffnungslos unterlegen wäre. Ähnlich verhält es sich bei der „Deep-Strike-Kriegsführung“. Moderne Flugabwehrsysteme können zu einem bestimmten Maß dazu beitragen, feindliche Schläge in der Tiefe des Landes zu mitigieren, diese gänzlich verhindern, können sie jedoch nicht. Zudem besteht das Paradox, dass die eigenen Flugabwehrbemühungen – selbst, wenn diese erfolgreich sind – die Gefahr für die Zivilbevölkerung sogar erhöhen können. Denn Flugabwehr bedeutet nicht, dass die anfliegenden Raketen und Drohnen einfach verschwinden. Getroffene Raketen werden unter Umständen nur abgelenkt, aber nicht gänzlich zerstört. Und selbst wenn es der Abfangrakete gelingt, das anfliegende Wirkmittel zu zerstören, entstehen dabei gefährliche Trümmerteile, welche brennen oder weiterhin explodieren können. Auf militärische Ziele gerichtete Raketen oder durch die Abwehr entstandene Trümmerteile können somit in Wohngebiete einschlagen und diese verwüsten. Dass dies kein theoretisches, sondern real existierendes Problem ist, kann in der Ukraine fast wöchentlich beobachtet werden. Das Netz ist voll von Videos, die das beschriebene Phänomen zeigen.

Das im Volksmund oftmals genutzte Sprichwort „Angriff ist die beste Verteidigung“ mag für die Kriegsführung in der Absolutheit unzutreffend sein, bei dem Teilaspekt der Schläge in der Tiefe (Deep Strike) greift es voll und ganz. Möchte man einen Gegner davon abbringen, das eigene Hinterland zu beschießen, wird man zwangsläufig dazu übergehen müssen, dem Feind diese Fähigkeit zu nehmen. Sprich, man wird entweder seine Abschussstellung zerstören oder die Logistikketten unterbrechen, so dass die Abschussstellungen nicht weiter versorgt werden können.

Was für kriegserfahrene Nationen eine Selbstverständlichkeit ist, ist für das „abgerüstete“ Deutschland scheinbar noch ein weiter Weg – man blicke da einfach auf die aktuellen Geschehnisse im Roten Meer, wo unter anderem Frankreich, Großbritannien und die USA Abschussstellungen und Depots der Huthi-Miliz angreifen, um die Bedrohungen für die zivile Schifffahrt bereits am Ursprung zu beseitigen.

Über kurz oder lang wird aber auch die Bundesrepublik eingestehen müssen, dass das öffentlich postulierte Minimalziel im Ukrainekrieg nur dann erreicht werden kann, wenn die Ukraine in die Lage versetzt wird, russische Angriffsbemühungen zu unterbinden. Mit „Schutz“ alleine wird dies nicht möglich sein, es bedarf dafür auch „Wirkung“. Ob die Waffen für diese Wirkung alleine durch Verbündete geliefert werden können, deren Depots ähnlich leer zu sein scheinen wie die der Bundeswehr, ist fraglich. Wenn der politische Wille in Deutschland dafür nicht aufgebracht werden kann – aus welchen Gründen auch immer –, dann droht eine Niederlage, mit allen daraus folgenden Konsequenzen für die sicherheitspolitische Lage in Europa.

Waldemar Geiger

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