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Projektgesellschaft mit acht Säulen soll Main Ground Combat System entwickeln

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Deutschland und Frankreich haben mit einem Memorandum of Understanding (MoU) die industriellen Verantwortlichkeiten beim Main Ground Combat System (MGCS) festgelegt, wie aus einer Mitteilung des BMVg hervorgeht. Verteidigungsminister Boris Pistorius und sein französischer Amtskollege Sébastien Lecornu hatten gestern eine entsprechende Erklärung unterzeichnet. Der Weg sei nun frei für Vertragsverhandlungen.

Vereinbart wurde, dass sich beide Länder als gleichberechtigte Partner an der Rüstungskooperation mit jeweils 50 Prozent an den Kosten beteiligen und die jeweilige nationale Industrie mit entsprechenden Arbeitsanteilen berücksichtigt wird. „Wir folgen bei der Verteilung der Aufgaben des Projekts MGCS spiegelbildlich der Struktur von FCAS“, sagte Pistorius gestern vor Journalisten. Beim Future Combat Air System (FCAS) übernehme Frankreich die Führungsrolle und beim MGCS werde Deutschland die Führungsrolle übernehmen.

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„Die Verträge sollen fertig sein bis Ende des Jahres“, sagte Pistorius. Im nächsten Jahr sei die Zeichnung geplant. Bis dahin werden laut Ministerium Angebote sowie Leistungsbeschreibungen erstellt.

Außerdem steht dem BMVg zufolge noch die Gründung einer Projektgesellschaft an, die aus den Firmen KNDS Deutschland, KNDS France, Rheinmetall Landsysteme und Thales SIX bestehen soll. Wie das BMVg schreibt, deckt diese Projektgesellschaft unter gemeinsamer deutsch-französischer Führung die vier Plattformanteile des Gesamtsystems – also die Kanonenplattform, die Flugkörperplattform, die Kampfunterstützungsplattform und das Einsatzsystem – ab. Wie diese Gesellschaft konkret aussehen soll, wurde nicht mitgeteilt. Da das Projekt unter deutscher Führung steht, dürfte nur ein Sitz in Deutschland in Frage kommen.

Unterhalb der Projektgesellschaft ist den weiteren Angaben zufolge das MGCS-Programm in acht sogenannte Pillars (Säulen) unterteilt:

  • Pillar 1 – MGCS-Plattform mit Fahrgestell und automatisierter Navigation unter deutscher Führung
  • Pillar 2 – Kanone, Turm und Munition unter deutsch-französischer Führung. In einem ersten Schritt sollen jeweils national unterschiedliche Kanonensysteme entwickelt und nach einer Vergleichserprobung ein System ausgewählt werden.
  • Pillar 3 – Sekundärbewaffnung mit zum Beispiel Lenkflugkörpern unter französischer Führung
  • Pillar 4 – Kommunikations-, Führungs- und Einsatzsystem als „digitales Nervensystem“ unter deutsch-französischer Führung
  • Pillar 5 – Simulationsumgebung unter deutsch-französischer Führung
  • Pillar 6 – Sensorik unter französischer Führung
  • Pillar 7 – Schutz und Drohnenabwehr unter deutscher Führung
  • Pillar 8 – Unterstützung, Logistik und Infrastruktur unter deutsch-französischer Führung

Wie aus einem Beitrag zum MGCS-Projekt auf der Internet-Seite der Bundeswehr hervorgeht, gilt als sicher, dass das Kaliber der Hauptbewaffnung des MGCS vergrößert wird, da die gegenwärtig genutzte 120mm-Waffe kein Aufwuchspotenzial mehr bietet. Um duellfähig zu bleiben, müsse eine durchsetzungsfähige Waffe her, die eine höhere Anfangsgeschwindigkeit beim Abschuss bei gleichzeitig höherer Geschossmasse erreiche. Beides sei nur durch den Kaliberaufwuchs zu erreichen. Ob die neue Panzerkanone das Kaliber 130 oder 140 Millimeter habe, sei jedoch noch nicht entschieden. Rheinmetall entwickelt gegenwärtig eine 130mm-Waffe, KNDS France eine im Kaliber 140 mm.

Aktuell sei davon auszugehen, dass der Turm des MGCS unbemannt sein werde, wird eine Experte des Bundeswehr-Beschaffungsamtes BAAINBw in dem Beitrag zitiert. Die auf zwei bis drei Personen reduzierte Besatzung werde in einem besonders geschützten Crew Compartment in der Fahrzeugwanne untergebracht. Ein unbemannter Waffenturm könne trotz der größeren Waffenanlage kleiner ausfallen und dennoch besser geschützt werden – und das bei gleichzeitig kleinerer Trefffläche.

Der Panzerschutz wird laut dem Artikel durch verschiedene Maßnahmen gesteigert. Verbesserte Reaktivpanzerung sowie abstandsaktive Schutzmaßnahmen sollen demnach einen Rundumschutz bieten. Verbesserte Sensoren für die Besatzung zur Erkennung von Gefahren und ein modernes Battle Management System sind demnach ebenfalls vorgesehen. Dabei soll das Gesamtgewicht im Vergleich zu aktuellen Plattformen abgesenkt werden. Weniger Gewicht sei gut für die Mobilität der Fahrzeuge, habe aber auch massive Auswirkungen auf die Funktionalität eines zukünftigen Multiplattformsystems. Zum Selbstschutz gegen Drohnen soll das MGCS innovative Technologien erhalten.

Zukünftig soll ein Chassis als Basis für die gesamte Fahrzeugfamilie genutzt werden. Laut dem Beitrag werden als Antrieb höchstwahrscheinlich Dieselhybride eingesetzt, bei denen ein Elektromotor durch den Diesel aufgeladen wird. Der leise Elektromotor könne dann unter bestimmten taktischen Bedingungen, etwa für das Einfließen in den Verfügungsraum, genutzt werden.

Unterm Strich müsse das MGCS konzeptionell einerseits den modernsten Anforderungen im digitalen Zeitalter genügen, andererseits aber die klassischen Stärken der Panzerwaffe weitertragen, so der Experte des BAAINBw. Es gehe auch künftig im Kern darum, schnell eine große Feuerkraft an den Feind zu bringen, bei hoher Mobilität im Gelände, so der Koblenzer Experte. Das leisten seiner Meinung zufolge nur Kettenfahrzeuge, die sich anders als Radfahrzeuge beispielsweise auch in stark zerstörten urbanen Räumen bewegen können. 

Ob die französische Seite ähnliche Ansichten hat, ist derzeit unklar, da 24 Stunden nach Unterzeichnung des MoU weder das französische Verteidigungsministerium noch die Rüstungsbehörde DGA oder das französische Heer ein offizielles Statement publiziert haben. Selbst die Unterzeichnung des MoU an sich wurde bis dato nicht auf den offiziellen Seiten publiziert.

Wie das BMVg schreibt, muss vor der Vertragsunterzeichnung noch der Haushaltsausschuss des Bundestags dem Rüstungsvorhaben zustimmen. Welche Kosten mit dem Vorhaben verbunden sein werden, wurde nicht publiziert.

Mit einer möglichen Öffnung des Kooperationsprojekts im Verlauf des Rüstungsprogramms für weitere Mitgliedstaaten der NATO, der EU und weitere potenzielle Partnernationen werde zudem eine Stärkung des europäischen Pfeilers in der NATO erwartet und die europäische Rüstungskooperation insgesamt gefördert, schreibt das Ministerium. Pistorius hatte gestern Italien und Polen als mögliche Partner genannt.

Der Minister betonte die Bedeutung eines europäischen Verständnisses von Rüstungsindustrie, wie es kürzlich auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron in einer Rede herausgestellt hatte. „Daran müssen wir arbeiten“, sagte der Minister und forderte die Unterstützung der europäischen Rüstungsindustrie bei Forschung und Entwicklung.

Bei ihrem Treffen berieten Pistorius und Lecornu auch die gemeinsame Unterstützung der Ukraine, wie aus der Mitteilung hervorgeht. Deutschland und Frankreich engagieren sich vor allem bei der Stärkung der ukrainischen Luftverteidigung. Beide Länder haben eine Führungsrolle in der Capability Coalition Integrated Air and Missile Defence (CapCo IAMD) übernommen. In dieser multinationalen Fähigkeitskoalition koordinieren die unterstützenden Länder ihre Hilfe beim Aufbau einer wirksamen Luftverteidigung für das von Russland angegriffene Land.

In der Fähigkeitskoalition für gepanzerte Fahrzeuge haben Deutschland und Frankreich ebenfalls Verantwortung übernommen. Unter polnischer Führung wird dabei die Ausstattung der ukrainischen Streitkräfte mit Kampfpanzern und weiteren geschützten Fahrzeugen koordiniert. Die Zusammenarbeit mit Polen stand ebenfalls auf der Agenda des Arbeitstreffens. Deutschland, Frankreich und Polen beraten im Format des Weimarer Dreiecks die Kooperation in sicherheits- und außenpolitischen Fragen. Angesichts der Herausforderungen der Zeitenwende wird dieses Format derzeit wieder mit Leben gefüllt.

Keine Neuigkeiten gab indes beim französisch-deutschen Projekt zur Entwicklung von sogenannten Deep Precision Strike Missiles. Dieses Vorhaben hatte Pistorius bei einer Pressekonferenz mit seinem französischen Amtskollegen Ende März angekündigt.
lah