Die militärischen Lehren aus dem russisch-ukrainischen Krieg sind vielfältig und werden die Ausrichtung europäischer Streitkräfte sicherlich auf Jahrzehnte mitbestimmen. Einer der zentralen Punkte aber ist die Kriegsführung mit Unbemannten Systemen (UAS).
Unbemannte Systeme, allgemein auch „Drohnen“ genannt, kommen in allen Domänen zum Einsatz: zu Land, auf dem Wasser, unter Wasser und in der Luft. Der Krieg wird auf beiden Seiten wesentlich mit dem Einsatz von Drohnen unterschiedlicher Art bestimmt. Während noch im Berg-Karabach-Konflikt vor allem die UAS vom Typ „Bayraktar TB2“ (BAYKAR Technology), noch mehr aber die Loitering Munition vom Typ „Harpy“ und „Harop“ (Israel Aerospace Industries) die öffentliche Wahrnehmung des Krieges bestimmten, so sind es in der Ukraine vor allem Kleinstdrohnen beziehungsweise Small UAS.
Ob nun die gestiegene Bedeutung des Elektronischen Kampfes, First-Person-View (FPV)-UAVs oder Quadcopter-UAVs, welche Granaten in gegnerische Schützengräben oder offene Einstiegsluken von Kampfpanzern werfen – der Kriegsverlauf lässt auch den Dualismus von Maßnahmen und Gegenmaßnahmen in einem neuen Licht erscheinen. Es wird deutlich, dass die Dynamik dahinter mittlerweile eine völlig neue Dimension angenommen hat, wenngleich die Militarisierung von Drohnen schon vor mehreren Jahrzehnten begonnen hat. Der Ukrainekrieg wirkt dabei wie ein weiterer Katalysator, der unter anderem deutlich macht, wie groß der Nachholbedarf für westliche Streitkräfte ist. Wie diese Lücken am Ende geschlossen werden können, wird erst die Zeit zeigen können, interessant in diesem Zusammenhang ist der Fall Großbritannien, da das Land jüngst als eines der ersten westlichen Länder überhaupt eine eigene Drohnenstrategie veröffentlicht hat.
Defence Drone Strategy
Der britische Verteidigungsminister Grant Shapps verkündete am 7. März 2024, dass Großbritannien die Ukraine mit zehntausenden Drohnen – hauptsächlich FPV – im Wert von 325 Millionen Pfund unterstützen werde:
„I am ramping up our commitment to arm Ukraine with cutting-edge new drones coming directly from the UK’s world-leading defence industries – straight from the factory floor to the frontline. I encourage international partners to join the UK in this effort.”[i]
Diese Ankündigung steht unter anderem im Kontext mit der britischen „Defence Drone Strategy“, welche im Februar dieses Jahres vom britischen Verteidigungsministerium veröffentlicht wurde. Die Federführung oblag dabei dem Minister für Verteidigungsbeschaffung, James Cartlidge.
Großbritannien versucht dabei klar und deutlich einen gesamtheitlichen Ansatz mit Wirtschaft und Gesellschaft zu fahren. Dazu muss man sich auch vor Augen halten, dass die Drohnenindustrie der britischen Wirtschaft in den nächsten Jahren voraussichtlich einen Aufschwung in Höhe von mehreren Milliarden Pfund bescheren könnte. Der größte Bereich, der davon profitieren wird, ist der Groß- und Einzelhandel, aber auch andere Sektoren wie Bildung, Gesundheit und Verteidigung. Mehr als ein Drittel der Drohnen, die bis 2030 in die Lüfte steigen sollen, werden wohl im öffentlichen Sektor eingesetzt.
Genau hier setzt auch die Drohnen-Strategie des britischen Verteidigungsministeriums an. Sie nimmt direkt Bezug auf den Krieg in der Ukraine sowie die britische Unterstützung für Kiew und skizziert die Vision, dass das Vereinigte Königreich bei unbemannten Verteidigungssystemen weltweit führend sein soll. Die Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionskapazitäten sollen zum Schutz der nationalen Sicherheit und zur Förderung des Wirtschaftswachstums eingesetzt werden.
Hierbei werden explizit – neben den Plattformen als solches – die nahtlose Integration von Komponenten, Software und unterstützenden Netzwerken in den regulären Betrieb der Streitkräfte und damit einhergehend schnellere Entwicklungs- und Beschaffungsprozesse als zentrale Bausteine genannt. Durch ständige Anpassungen und Entwicklungen sollen Unbemannte Systeme so zur besseren Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit des Vereinigten Königreichs beitragen. Großbritannien soll dabei den Entwicklungen im Bereich der Drohnenkriegsführung einem zukünftigen Gegner immer einen Schritt voraus sein.
Die Strategie – welche in Zusammenarbeit mit Interessenvertretern aus der Rüstungsindustrie erarbeitet wurde – sieht daher eine Gesamtinvestition von mindestens 4,5 Milliarden Pfund in neue Unbemannte Systeme in allen Dimensionen während der nächsten Dekade vor. Die Bereiche „Logistik“ (Schwerlastdrohnen für Munitionstransport, etc.), „One-Way-Attack“ (Loitering Munition oder landläufig auch als Kamikaze UxS bekannt), Minendetektion und -räumung sowie Aufklärung und Überwachung (ISR) werden dabei voraussichtlich besonders im Vordergrund stehen.
Die Strategie referenziert dabei auch auf bereits bestehende Erfahrungen und Projekte der britischen Streitkräfte mit unbemannten Systemen in den Bereichen „Air“, „Underwater, Surface and Above Water“, „Littoral Strike“ sowie „Land/ Near Surface“. Als prägnantes Beispiel ist das „Medium Altitude Long Endurance“ (MALE) UAS MQ-9A „Reaper“ zu nennen, welches bei der Royal Air Force seit 2007 im Einsatz ist. Nach 140.000 Flugstunden und 1.500 Waffeneinsätzen wird dieses System sukzessive durch den Nachfolger MQ-9B „Protector“, eine modifizierte Variante des „Reaper“-Nachfolgers MQ-9B, ersetzt.
Interessant dabei ist, dass auch hier kostengünstige „Autonomous Collaborative Platforms“ (ACP) als weiteres künftiges Asset für die Royal Air Force genannt werden, um im hochintensiven und risikoreichen Gefecht gegnerische A2/AD-Zonen neutralisieren zu können[ii]. Diese experimentellen Plattformen werden von anderen fliegenden Systemen (wie z.B. MQ-9B) verbracht, um einen größtmöglichen strategischen Effekt zu erzielen. Es darf vermutet werden, dass dabei unter anderem Unternehmen wie Malloy Aeronautics im Vordergrund stehen. Der Hersteller und Entwickler für Transportdrohnen unterschiedlicher Größen wurde nur 20 Tage vor Veröffentlichung der Strategie durch BAE Systems erworben.
Als genereller Ansatz wird – neben einer intensiven Zusammenarbeit mit Industrie und Forschungsbehörden – eine „Kultur der Innovation“ beschrieben. In dieser Kultur sollen Forschungs- und Entwicklungsergebnisse schnell umgesetzt, unnötige Bürokratie vermieden und entsprechende Regulierungsstandards frühzeitig genutzt werden. Damit wählt Großbritannien einen Ansatz, welcher das Potenzial besitzt, unter anderem Schnittstellen- und Integrationsproblematiken frühzeitig zu vermeiden. Die Strategie nennt im selben Zuge auch die Notwendigkeit von Beschäftigungs- und Exportmöglichkeiten.
Als nächste Schritte für die erfolgreiche Umsetzung der Strategie werden die Umsetzung der ukrainisch-britischen Initiative für Unbemannte Systeme, eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie sowie Beschaffung in großem Umfang genannt. Es ist weiter geplant, einen bereichsübergreifenden Mechanismus (Stabsstelle o.ä.) im Verteidigungsbereich einzurichten, um die Umsetzungspläne von Royal Navy, British Army und Royal Air Force gleichzeitig voranzutreiben.
Die Zusammenarbeit mit der Industrie und die genannten Standards sollen in sechs Bereichen schwerpunktmäßig konzentriert werden[iii]:
- Research and Development
- Operational, Equipment and Market Analysis
- Test & Evaluation Coordination and Exploitation
- Policy, Regulation and Risk
- Digital, Integration and Security Standards
- Industrial Principles and Commercial Agility
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Vereinigte Königreich mit der „Defence Drone Strategy“ einen wichtigen Schritt zur Modernisierung seiner Verteidigungsfähigkeiten unternimmt und die gestiegene und künftige Bedeutung von Unbemannten Systemen bereichsübergreifend anerkennt. Großbritannien gestaltet seine Sicherheits- und Verteidigungspolitik neu, um mehr Spielraum für Investitionen in Cyberwaffen, hybride Kriegsführung, Künstliche Intelligenz oder eben Unbemannte Systeme zu schaffen. Die „Defence Drone Strategy“ folgt diesem Ansatz.
Die Kernziele der Strategie lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Beschleunigung der Beschaffungsreform: Die Rückkehr des Krieges nach Europa hat die Notwendigkeit einer widerstandsfähigen und agilen Beschaffungsstrategie deutlich gemacht. Traditionelle Entwicklungs- und Beschaffungsmethoden müssen sich dem neuen Bedrohungsszenario anpassen.
- Enge Zusammenarbeit mit der Verteidigungsindustrie und Aufbau einer widerstandsfähigen Industriebasis: Die immer schneller werdenden Entwicklungszyklen machen eine in gewisser Weise institutionalisierte Zusammenarbeit mit der Industrie unumgänglich. Diese Industrie soll im Kriegsfall skalierbar sein und die britischen Streitkräfte bestmöglich unterstützen.
- Förderung einer Innovationskultur und Festlegung von (digitalen) Standards für eine nahtlose operative Integration von verschiedenen Unbemannten Systemen sowie eine schnelle Umsetzung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen, die dem neuen Bedrohungsbild Rechnung trägt.
Christian Rucker arbeitet in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie und ist freier Autor. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.
[i] Zit. In: UK Ministry of Defence; The Rt Hon Grant Shapps MP: UK to supply more than 10,000 drones to Ukraine, Press release, March 7, 2024 (https://www.gov.uk/government/news/uk-to-supply-more-than-10000-drones-to-ukraine; 18.03.2024)
[ii] In den vergangenen Jahrzehnten haben Länder wie Russland und China erheblich in ihre Verteidigungssysteme investiert, um der westlichen Luftüberlegenheit etwas entgegenzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist es eine zentrale Herausforderung, die gegnerische integrierte Flug- und Raketenabwehr weitestgehend abstandsfähig zu neutralisieren.
[iii] UK Ministry of Defence: Defence Drone Strategy. The UK’s Approach to Defence Uncrewed Systems; February 2024, p. 10.