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Deutsche Unternehmen sehen ITAR-Regeln kritisch

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Die Bundeswehr hat bei der Suche nach einem  Nachfolgeprodukt für das Sturmgewehr G36 erstmals bei der Ausschreibung die Verwendung von so genannten ITAR-Komponenten  ausgeschlossen. Auch deutsche Landespolizeien wollen beim Erwerb von Gewehren keine dem US-Recht unterliegenden ITAR-Bestandteile akzeptieren, wie aus den  Unterlagen der hessischen sowie der bayerischen Polizei hervorgeht.

Bei der gegenwärtig laufenden Ausschreibung zur Beschaffung von 800 Gewehren im Kaliber 5,56 für die bayerische Bereitschaftspolizei heißt es in den Ausschreibungsunterlagen: „Sollte die Mitteldistanzwaffe oder Waffenteile der ITAR (International Traffic in Arms Regulations) unterliegen, ist das Angebot vom Vergabeverfahren auszuschließen.“

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Hintergrund dieser Forderungen von Beschaffern sind die mit ITAR-Komponenten verbundenen umfangreichen Auflagen für Käufer und Nutzer. Diese resultieren aus dem Anspruch der USA, in dem sich auf  Rüstungsgüter  beziehenden Bereich der Exportkontrolle, nationales Recht auch extraterritorial anzuwenden.

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Wenn ein Produkt  mit US-Ursprung in der so genannten US Munitions List (USML) mit ihren 21 Kategorien aufgeführt ist, behält sich das US-State Department das Recht vor, den Export und den Re-Export zu überwachen. Davon sind auch Firmen betroffen, die lediglich ITAR-Komponenten in ihren Erzeugnissen einsetzen. Baut beispielsweise ein deutsches Unternehmen ein ITAR-Gut in ein Rüstungsprodukt ein, das aus Deutschland exportiert werden soll, muss neben einer Genehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) auch eine US-Ausfuhrgenehmigung eingeholt werden.

Im Gegensatz zu amerikanischen Dual-Use-Gütern für die Schwellenwerte gelten, muss bei der Ausfuhr von ITAR-Komponenten unabhängig von deren Wert oder Bedeutung für das Rüstungsgut eine Genehmigung des Directorate of  Defense Trade Controls (DDTC) des State Department vorliegen. Damit reicht es im Prinzip aus, wenn eine in der USML gelistete Schraube – die speziell für militärische Anwendungen   entworfen wurde – in einem Rüstungsgut enthalten ist, um das Gesamtprodukt dem US-Kontrollrecht zu unterwerfen.

Probleme auch bei U-Booten

Gerüchten zufolge, haben selbst die deutschen U-Boot-Bauer vor wenigen Jahren negative Erfahrungen mit ITAR-Regeln gemacht. Und das, obwohl ThyssenKrupp Marine Systems eine weitgehende europäische Wertschöpfung anstrebt. Wie es heißt, hatten nach einer Neuinterpretation die US-Behörden eine Komponente des von Siemens entwickelten Brennstoffzellensystems der US-Exportkontrolle unterstellt. Dieses Antriebssystem, das auf die Nutzung von Außenluft verzichtet, gilt als besonders innovativ. Nachdem der Vorgang seinerzeit hohe Wellen schlug, soll dem Vernehmen nach mittlerweile eine Lösung gefunden worden sein.

Von Juristen wird die Anwendung von US-Recht auf das nicht-amerikanische Ausland kritisch gesehen. „Nach unserem Rechtsverständnis geht das nicht“, sagt ein auf Vergaberecht spezialisierter Anwalt. Seiner Auffassung zufolge wird damit die Autonomie anderer Staaten beschnitten. In der Praxis beugen sich Nutzer von ITAR-Gütern jedoch der amerikanischen Sichtweise. So auch in Deutschland.

Neben der Industrie müssen sich auch  Streitkräfte, die Waffensysteme mit ITAR-Komponenten verwenden, dem US-Exportkontrollregime unterordnen. Das will die Bundeswehr beim zukünftigen Nachfolgemodell des G36 jedoch vermeiden.

Keine Grundsatzentscheidung des BMVg

Nach Aussage eins BMVg-Sprechers gibt es keine Grundsatzentscheidung für oder gegen ITAR bei zukünftigen Beschaffungen. Vielmehr werde von den Verantwortlichen projektbezogen  empfohlen, wie zu verfahren sei und die Entscheidung  dann auf Ministeriumsebene getroffen.

Wie es aus gut informierten Kreisen heißt, gehen mit ITAR umfangreiche Berichtspflichten für die Bundeswehr einher. So müsste offenbar für jedes Gewehr nachgehalten werden, wo es Verwendung findet und wer die Waffe nutzt. Während bei Großgeräten wie Flugzeugen oder Panzern solche Pflichten offenbar leichter zu erfüllen sind, dürfte es bei Handfeuerwaffen, von denen Hunderttausende eingeführt werden, mit erheblichem Aufwand verbunden sein. Außerdem muss mitunter mehrere Monate im Voraus den US-Stellen mitgeteilt werden, wo die ITAR-relevanten Rüstungsgüter von der Bundeswehr eingesetzt werden. Ein solcher Vorlauf ist nötig,  um der US-Seite die Möglichkeit einer Intervention zu geben.

Nach Angaben des Bundeswehr-Beschaffungsamtes BAAINBw muss die Bundeswehr als Endnutzer  eine Endverbleibserklärung abgeben. Mit dieser verpflichte sich die Bundeswehr zur Einhaltung sämtlicher sich aus den ITAR ergebenden Vorgaben, schreibt das BAAINBw. Damit sei vorrangig die Verpflichtung verbunden, die in den USA gekauften Güter nicht an Dritte weiterzugeben oder Dritten Zugang zu gewähren.  Eine Überlassung an Nicht-Deutsche sei grundsätzlich möglich, setze aber die vorherige schriftliche Genehmigung durch die zuständige US-Behörde voraus.

Für die Einhaltung der Vorgaben der  Endverbleibserklärung sind laut BAAINBw alle Dienststellen der Bundeswehr verantwortlich, „die im Verlauf der gesamten Nutzungsphase innerhalb der Bundeswehr mit den endverbleibsrelevanten Rüstungsgütern befasst sind“. Vor diesem Hintergrund informiert das BAAINBw als beschaffende Dienststelle die jeweils nutzende Teilstreitkraft beziehungsweise den jeweiligen militärischen Organisationsbereich über ihre Verpflichtungen.

Polizeibehörden abgeschreckt

Solche umfangreichen rechtlichen Anforderungen schrecken offenbar auch die deutschen Polizeibehörden ab. Insider begründen den Ausschluss jeglicher ITAR-relevanten Waffen und Waffenteilen von den beiden Ausschreibungen unter anderem damit, dass  deutsche Polizeikräfte gemeinsame Trainings mit ausländischen Partnern in deren Ländern absolvieren und deutsche Polizisten zum  Aufbau von Polizeistrukturen und zur Ausbildung ins Ausland geschickt werden.  Solche Vorhaben müssten den US-Behörden mitgeteilt werden, wobei eine Zustimmung nicht  als gesichert gilt. Das wollen deutsche Polizeibehörden offenbar nicht akzeptieren. Die Unterwerfung unter US-Recht könne somit womöglich die Einsatzfähigkeit der Polizei und die Umsetzung des gesetzlichen  Auftrags gefährden, heißt es. Außerdem sei nur deutsches Recht für die Landespolizeien bindend.

Dazu kommt ein weiteres Problem: Bei Anwendung von ITAR-Regeln kann womöglich gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Deutschland verstoßen werden.  Denn die USA dürfen  nach eigener Rechtsauffassung Staatsangehörige bestimmter Länder von der Nutzung von ITAR-Gütern ausschließen – etwa wenn ein Totalembargo verhängt wird. Bedienstete der Polizei mit einer solchen Staatsbürgerschaft – ob im Vollzugsdienst oder in einer Werkstatt – wären davon womöglich betroffen. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz. Überdies bestehen Zweifel, ob die Datenweitergabe in die USA den deutschen Datenschutzgrundsätzen genügen würde.

Insider gehen davon aus, dass die Bundeswehr jedoch nicht umhinkommt, ITAR-relevante Güter zu beschaffen. Denn im Gegensatz zu Handfeuerwaffen  existieren bei High-Tech-Rüstungsprojekten oftmals keine Alternativen. Ein Beispiel dafür liefert das geplante Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS), für das von Lockheed Martin produzierte Boden-Luft-Flugkörper des Typs PAC-3 MSE eingekauft werden sollen, die ballistische Flugkörper bekämpfen können. Dazu kommen noch weitere ITAR-relevante Produkte wie das ebenfalls von Lockheed Martin entwickelte Weitbereichsradar.

Gut informierten Kreisen zufolge werden im Rahmen des Government-to-Governement-Geschäftes voraussichtlich auf Regierungsebene bestimmte ITAR-Modifikationen für TLVS-Elemente vereinbart. So wird voraussichtlich eine so genannte White List mit Ländern festgelegt werden, in die die Bundeswehr das TLVS-System ohne weitere Absprache mit den USA zur Trainings- oder Einsatzzwecken verlegen darf. Das könnten beispielsweise NATO- oder EU-Staaten sein. Darüber hinaus werden den Kreisen zufolge wahrscheinlich der NATO gleichgestellte Länder wie Australien, Neuseeland oder Japan als weitere Kategorie in der Liste aufgeführt. Bei Verlegung in ein solches Land wäre  lediglich eine Information der US-Seite darüber erforderlich. Bei allen anderen Staaten müsste jedoch eine US-Ausfuhrlizenz eingeholt werden, wobei offenbar auch die Vorlaufzeit für einen Antrag in den Regierungsgesprächen definiert werden kann.

OLG Düsseldorf mit eigener Bewertung

Dass die aufgrund von ITAR entstehenden  Einschränkungen von der Bundeswehr als kritisch gesehen werden, geht aus einer Urteilsbegründung des OLG Düsseldorf vom vergangenen Jahr hervor. Die Richter hatten in einem Nachprüfungsverfahren über eine Rüge des US-Drohnenanbieters General Atomics gegen die Beschaffung der israelischen Drohne Heron TP zu entscheiden.  Ein Grund für die Auswahl des israelischen Fluggeräts und nicht der US-Drohne Sky Guardian war laut Gericht die größere rechtliche Autonomie bei der Nutzung.

So schreibt das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss zu einem von General Atomics angestrengten Nachprüfungsverfahren: Als weiterer sachlicher und auftragsbezogener Grund für die Auswahlentscheidung zu Gunsten der Heron TP seien Vorteile bei der Beschaffung und dem späteren Einsatz der Drohnen. „Dies betrifft die Notwendigkeit, Genehmigungen des Herstellerlandes für den Kauf, den Export und den Einsatz der Drohnen zu erhalten.“ Die Situation bei Heron TP sei deutlich vorteilhafter als beim Sky Guardian.

So habe die israelische Regierung dem BMVg bestätigt, dass Deutschland über die Nutzung – sowohl nach Art als auch Ort des Einsatzes – souverän entscheiden könne und keinen Beschränkungen der israelischen Seite unterliege.

Im Falle der Nutzung der US-Drohne müsste dagegen bei Veränderung in einen neuen – bisher nicht vorgesehenen – Einsatzraum dies von den US-Behörden genehmigt werden. „Der von der Antragsgegnerin zu stellende Letter of Request (LOR) würde zwar den gewünschten geographischen Einsatzraum beinhalten und im Letter of Offer and Acceptance (LOA) beziehungsweise Technical Assistance Agreement (TAA) entsprechend genehmigt. Soll das System aber in ein neues, von der Genehmigung nicht erfasstes Einsatzgebiet verlegt werden, bedarf es einer neuen Genehmigung“, schreiben die Richter.

Zwar trägt die Antragstellerin vor, eine solche Genehmigung werde unproblematisch und binnen weniger Tage erteilt. „Es verbleibt aber gleichwohl das nicht zu unterschätzende Risiko, ob eine solche Genehmigung in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht tatsächlich erteilt wird. Die Entscheidung hängt von den politischen Mehrheitsverhältnissen im US-Kongress ab.“ Hierbei sei durchaus möglich, dass aufgrund der zunehmend komplexeren internationalen Zusammenhänge über Einsatzszenarien zu entscheiden sei, in denen das BMVg andere, „von denen der amerikanischen Stelle abweichende militär-taktische oder einsatzpolitische Entscheidungen“ treffen möchte. „Ob der US-Kongress in einem solchen Fall das erweiterte Einsatzgebiet schnell und problemlos genehmigt, ist ungewiss“, schreiben die Richter. Ein durchsetzbarer Anspruch auf Erteilung der Genehmigung existiere jedenfalls nicht.

Unternehmen wollen keine ITAR-Komponenten

Wie es aus Industriekreisen heißt, streben deutsche Unternehmen aufgrund der US-Auflagen verstärkt danach, ITAR-Komponenten zu vermeiden.  Und auch Auslandskunden  deutscher Unternehmen, die ebenfalls von ITAR betroffen sind, wollen sich dem Vernehmen nach nur sehr ungern der US-Exportkontrolle unterwerfen. Wie es heißt, konnte die deutsche Industrie jüngst bei  einem Auftrag zur Lieferung eines Luftverteidigungssystems inklusive Radar, Effektoren sowie Führungssystem damit punkten, dass dem ausländischen Kunden eine Lösung ohne ITAR-Komponenten angeboten wurde.  Vor diesem Hintergrund wird in Fachkreisen mit Spannung erwartet, ob beim Beschaffungsprozess für NNbS ebenfalls ITAR-Komponenten ausgeschlossen werden.

Für eine gewisse Nervosität sorgen in Industriekreisen überdies das Auftreten und die Rhetorik von US-Präsident Donald Trump, denn seine Entscheidungen könnten sich womöglich direkt auf die Exportkontrolle seines Landes auswirken. Auch die wachsende und massive Kritik der USA an der Zuverlässigkeit des NATO-Partners Türkei, lassen bei deutschen Firmenvertretern die Alarmglocken schrillen. Das Verhängen von Sanktionen gegen Mitglieder der türkischen Regierung könnte der Auftakt für weitere Aktionen sein. Zumal in US-Fachkreisen schon sei geraumer Zeit eine härtere Gangart in Sachen Exportkontrolle diskutiert wird.

Bei alldem sind Unternehmen bemüht, nicht gegen die US-Exportkontrolle zu verstoßen, um millionenschwere Strafzahlungen, langjährige Haftstrafen oder ein Blacklisting zu vermeiden.
lah/3.8.2018