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Generalinspekteur sieht große Lücken bei Abwehrfähigkeit

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, fordert aufgrund der wachsenden Bedrohung durch Drohnen aller Art eine verbesserte Flugabwehrfähigkeit für die deutschen Streitkräfte. Anlass dieser Überlegungen ist offenbar der Konflikt um Bergkarabach im vergangenen Jahr zwischen Armenien und Aserbaidschan. Wie der Vier-Sterne-General in einem Interview mit der Zeitung „Welt am Sonntag“ weiter ausführte, kamen bei der kriegerischen Auseinandersetzung bewaffnete Drohnen als Angriffswaffen zum Einsatz.

Neben den sehr hoch fliegenden Drohnen wurden dabei auch kleinere, quasi frei verkäufliche handelsübliche Drohnen, die zunehmend in der Lage seien, größere Gebinde von Sprengstoff zu transportieren, genutzt, sagte Zorn. „Beides ist für mich eine wachsende Kernbedrohung für Landstreitkräfte in der Zukunft. Wir brauchen defensive Systeme, die unsere Truppen gegen solche Angriffe schützen. Diese Fähigkeitslücke müssen wir schnell schließen.“

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte Ende vergangenen Jahres angekündigt, in den ersten Monaten 2021 noch einmal grundsätzlich das Thema bodengebundene Luftverteidigung zu bewerten. Zuvor war die Beschaffung des Taktischen Luftverteidigungssystems (TLVS) nicht in der Haushaltsplanung hinterlegt worden. Im Rahmen der Luftverteidigung soll neben TLVS auch der so genannte Nah- und Nächstbereichsschutz (NNbS) der Bundeswehr ausgebaut werden. Dabei geht es unter anderem darum, mobile Heeresverbände gegen Bedrohungen aus der Luft zu schützen. Dem Vernehmen nach sollen die Planer der Bundeswehr mittlerweile einen NNbS-Waffenmix aus den von Diehl produzierten Flugkörpern Iris-T SL sowie Iris-T SLS präferieren.

Die Aussage von Generalinspekteur Zorn könnte vor diesem Hintergrund dahingehend gedeutet werden, dass er sein Augenmerk auf das NNbS-Vorhaben lenkt. Allerdings machte er im gleichen Interview auch deutlich, dass er auf Grund der Kosten der Corona-Pandemie mit einer Überprüfung der militärischen Zielvorstellungen rechnet.

Im Augenblick scheint im ersten NNbS-Teilprojekt noch keine umfassende Lösung für die Abwehr von kleinen, in großer Zahl zu erwartenden Drohnen in niedriger Höhe vorgesehen zu sein. Denn die Abwehr von Drohnenschwärmen mit der Iris-T dürfte schnell die Sättigungsgrenze erreichen – ganz abgesehen von dem damit verbundenen ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis.

Gegenwärtig arbeitet das Heer an der so genannten qualifizierten Fliegerabwehr, mit der Kleindrohnen im Nächstbereich bekämpft werden sollen. Wie Heeresinspekteur Alfons Mais in einem Brief an die Truppe von Mitte Dezember schreibt, wird die qualifizierte Fliegerabwehr aufgrund von Projektverzögerungen jedoch voraussichtlich nicht wie geplant zum Beginn der VJTF (Land) 2023 zur Verfügung stehen. Die Fähigkeit behalte für das Heer jedoch weiter hohe Priorität. Aufgrund der Nutzung einer 40mm-Granatmaschinenwaffe als Effektor dürfte die Wirksamkeit gegen schnell fliegende Drohnen, solche mit eigenen Abstandswaffen oder „Loitering Munition“ jedoch begrenzt sein. Mit geplant zehn Einheiten geht es wohl auch zunächst um einen Technologie-Demonstrator.

Da die Wiederinbetriebnahme des Flakpanzers Gepard mit seinen leistungsfähigen 35mm-Kanonen offenbar keine Option darstellt, bleiben nur wenige Alternativen. Eine wäre die Nutzung des von Rheinmetall entwickelten Flugabwehrsystems Skyranger, das über eine 35mm-Revolverkanone auf Boxer-Fahrgestell verfügt. Insbesondere bei Schwarmangriffen würde eine solche Lösung aufgrund des höheren Munitionsvorrats große Vorteile mit sich bringen. So kann der Skyranger laut Hersteller 20 Salven mit jeweils zwölf Schuss verschießen, während ein vergleichbares Fahrzeug mit Boden-Luft-Raketen in einer typischen Konfiguration oft nur über vier Lenkflugkörper verfügt.

Nach Angaben von Rheinmetall hat die 35mm-Waffe überdies eine maximale Dienstgipfelhöhe von drei Kilometern und kann programmierbare Zerlegungsmunition verschießen. Vermutlich können damit auch Loitering Weapons wie die angeblich in Bergkarabach eingesetzt IAI Harop erfolgreich bekämpft werden. Gegenwärtig ist der Skyranger jedoch noch nicht fertigentwickelt. Wie es heißt, soll jedoch der Turm mit dem Mark3-Revolvergeschütz und einem eigenen Tracking-Radar im Jahr 2022 an einen Erstkunden ausgeliefert werden.

Presseberichten zufolge hat Rheinmetall Ende vergangenen Jahres  das Funktionsmuster eines Fahrzeugturms mit 30mm-Kanone für die Luftverteidigung vorgestellt. Nach Aussage von Insidern ist diese Turmlösung leichter als die des 35mm-Skyranger, wodurch sich zwei bis vier Boden-Luft-Raketen in der Kategorie  der Mistral von MBDA oder der Bolide von Saab integrieren lassen. Eine solche Hybrid-Lösung soll aufgrund des kleineren Kalibers allerdings nicht für die Bekämpfung von RAM-Zielen – also Raketen, Artilleriegeschosse und Mörsergranaten – geeignet sein.

Während die Bundeswehr offenbar als Schlussfolgerung aus dem Bergkarabach-Konflikt in erster Linie an den Ausbau ihrer lange vernachlässigten Luftverteidigung im Nahbereich denkt, gehen NATO-Partner andere Wege. So plant das britische Verteidigungsministerium Presseberichten zufolge neue preisgünstige Drohnen zu entwickeln. Denn unter anderem den im Vergleich zu anderen westlichen Produkten deutlich billigeren TB2-Drohnen aus türkischer Produktion wird ein erheblicher Anteil am Sieg Aserbaidschans über Armenien im Bergkarabach-Konflikt zugeschrieben.

Der britische Guardian zitiert in einem Artikel eine Quelle aus dem Verteidigungsministerium in London, wonach die türkischen Drohnen für die Zerstörung von Hunderten von gepanzerten Fahrzeugen und sogar Luftabwehrsystemen verantwortlich seien. Die von Baykar Makina hergestellten TB2-Drohnen kosten nach Schätzungen von Analysten nur 1 bis 2 Millionen US-Dollar pro Stück, wie der Guardian schreibt. Das sei weit weniger als die fast 20 Millionen Dollar pro Stück, die das britische Militär für eine Flotte von 16 Protector-Drohnen der nächsten Generation des US-Konzerns General Atomics bezahlt habe.

Die TB2-Drohnen hätten zwar eine deutlich geringere Reichweite von bis zu 150 Kilometern, könnten aber bis zu 24 Stunden in der Luft bleiben. Da sie billiger seien, können es sich die Streitkräfte leisten, einige im Einsatz zu verlieren.
lah/12/8.1.2020

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