Mit dem TOS-3 arbeitet die russische Rüstungsindustrie derzeit an einem kampfwertgesteigerten Nachfolger für die schweren Flammenwerfersysteme TOS-1 und TOS-2. Erste Hinweise darauf wurden im Februar 2024 öffentlich, als das im Staatsbesitz befindliche Entwicklungsbüro Omsktransmash – Омский завод транспортного машиностроения, auf Deutsch: Omsker Transportmaschinenfabrik – sich die Markenrechte für ein Logo und Namen des TOS-3 Драко́н (Drache) gesichert hat.
Aus dem stilisierten Logo konnten zwar Rückschlüsse auf das Waffensystem abgeleitet werden, ob das Logo aber tatsächlich das zukünftige schwere Flammenwerfersystem TOS-3 zeigt oder nicht, ist bis heute unklar. Zu sehen ist ein Kettenfahrgestell, wie man es von den TOS-1- Varianten des Waffensystems kennt, die bereits in den 80er-Jahren entwickelt wurden. Als Raktenpod ist jedoch eine Variante abgebildet, die eher dem des radbasierten TOS-2 ähnelt, dessen Entwicklung 2018 angekündigt wurde. Das 2020 erstmals auf der Moskauer „Siegesparade“ vorgestellte System verfügt über einen eigenen Ladekran und ist in der Lage, eine neue Generation von Raketen zu verschießen, welche über eine längere Reichweite verfügen. Auf dem Logo ist ein Raketenpod mit drei Reihen a fünf Raketen zu sehen.
In einem Interview vom 8. April 2024 mit der russischen Nachrichtenagentur TASS bestätigte Bekhan Ozdoew, Direktor des Clusters für konventionelle Waffen und Munition beim russischen Rüstungsverbund Rostec, nun offiziell die Entwicklung des schweren Flammenwerfersystems TOS-3. „Jeder kennt zum Beispiel die schweren Flammenwerfersysteme TOS-1 „Solntsepek“ und TOS-2 „Tosochka“. Das sind sehr leistungsfähige Waffen, die sich im Verteidigungsbereich bewährt haben. Jetzt arbeiten wir an der Entwicklung eines neuen schweren Flammenwerfersystems TOS-3“, wird der Rostec-Manager zitiert. Seinen Angaben nach wird das künftige Waffensystem über eine Kettenplattform verfügen und „mit einer neuen Abschussvorrichtung ausgestattet“ werden. „Dadurch kann die Reichweite vergrößert und neue Munition verwendet werden.“ Ein Prototyp des TOS-1 ist Ozdoew zufolge bereits gebaut worden.
Ozdoew gibt diese Antwort auf eine Nachfrage zur Konkretisierung seiner vorherigen Aussage. In dieser erklärte er, dass Rostec Konstrukteure und Ingenieure auf Grundlage der in der Ukraine gesammelten Erkenntnisse bestehende Systeme weiterentwickeln und verbessern.
Wahrscheinliche Gründe für die TOS-3-Entwicklung
Um die Notwendigkeit einer Kampfwertsteigerung der TOS-1- und TOS-2-Waffensysteme zu verstehen, bedarf es zuerst einer kurzen Beschreibung des dahinterstehenden Konzeptes und deren Einsatz im Ukrainekrieg.
Bei dem TOS-Waffensystem handelt es sich im Grunde um einen Mehrfachraketenwerfer für den Verschuss von Raketen mit hochzerstörerischen thermobarischen Sprengköpfen. Daher wird es im Russischen als „schweres Flammenwerfersystem“ bezeichnet.
Thermobare Gefechtsköpfe basieren auf dem Prinzip, dass ein Stoff zerstäubt und dadurch mit Sauerstoff vermischt wird, um diese Mischung dann im Anschluss zu zünden. Zentrales Element ist ein Behälter mit einem zumeist flüssigen und hochentzündlichen Stoff, der potenziell unter Druck steht und so seinen Aggregatzustand hält. Im Gegensatz zu normalen Sprengladungen ist keine Beimengung von Oxidationsmitteln notwendig, da diese durch den Sauerstoff in der Luft zu Verfügung stehen. So steht die Wirkladung zu 100 Prozent als Energieträger zur Verfügung und kann eine potentere und länger anhaltende Druckwelle produzieren. Die für die Aerosolbildung notwendige Zerstäubung wird durch eine konventionelle und im Verhältnis kleine Sprengladung erzielt. Diese kann entweder mit einer weiteren Ladung gekoppelt werden, die das Gemisch im Anschluss entzündet oder als einzelne Ladung ausgelegt werden, welche sowohl das Zerstäuben als auch das Zünden durchführt. Durch die sich ausbreitende Wolke der zumeist vollständig als Energieträger vorhandenen Wirkladung ist nicht nur die thermische Wirkung enorm. Die Druckspitze ist im Vergleich zu herkömmlichen Sprengstoffen etwas geringer, entwickelt sich jedoch progressiv und hält über einen längeren Zeitraum und auch Distanz an.
Der primäre Wirkmechanismus setzt daher nicht auf Splitter, sondern auf eine vergleichsweise langsame, aber sich stetig ausbreitende Druckwelle gepaart mit einer enormen Hitzestrahlung. Nach dem Durchgang der Druckwelle erfolgt durch den entstandenen Unterdruck eine weitere ebenfalls destruktive Sog-Welle, welche die Zerstörungskraft noch steigern kann. Enge Räume können die Wirkung durch Hitzestau und Reflexion der Druckwellen noch verstärken, was eine Nutzung in bebauten Gebieten und Stellungen begünstigt. Zudem kann gerade in geschlossenen Räumen der verbrauchte Luftsauerstoff bzw. der entstehende Mangel eine sekundäre Gefährdung von Personen darstellen.
Thermobare Waffen eignen sich daher zur Bekämpfung von Weichzielen und können auch gepanzerte Fahrzeuge beschädigen, insbesondere wenn diese bei laufendem Motor der Druck- und Hitzewirkung ausgesetzt werden und diese ansaugen und so in Brand geraten können. Umwelteinflüsse wie markantes Wetter mit Regen, starkem Wind oder bereits hohe Luftfeuchtigkeit hemmen die Wirkungsleistung von thermobaren Waffen jedoch und können diese deutlich senken. Zudem sind thermobare Waffen in Bereichen mit deutlich herabgesetztem Sauerstoff in der Atmosphäre oder unter Wasser nicht nutzbar.
Der höchste Einsatzwert solcher Systeme liegt im Rahmen von offensiven Operationen. Die TOS-Waffensystemfamilie wurde für den Angriff auf befestigte feindliche Stellungen, Gebäudestrukturen und leicht gepanzerte Fahrzeuge sowie Truppen, insbesondere in offenem Gelände, konzipiert. Die relativ geringe Reichweite des Systems – sie beträgt je nach genutztem Wirkmittel zwischen sechs und zehn Kilometern – bedarf der Verwendung eines stark gepanzerten Fahrgestells, um die Überlebenswahrscheinlichkeit des Systems im Angriff zu steigern. Daher wurde das TOS-1-System auf einem T-72-Panzerfahrgestell integriert, während die Anfang der 2000er Jahre in die russische Streitkräfte eingeführte Variante des TOS-1A eine T-90-Kettenplattform nutzt. Die erst vor wenigen Jahren vorgestellten TOS-2 verfügen zwar über eine etwas höhere Reichweite, sind aber deutlich geringer geschützt.
Die tatsächliche taktische Reichweite der Systeme, die trotz ihrer Panzerung nicht unmittelbar am vordersten Teil der Front eingesetzt werden, dürfte bei rund vier bis acht Kilometern und somit im Reichweitenband von FPV-Einwegkampfdrohnen liegen. Seit 2023 werden die FPV-Systeme auf beiden Seiten in großen Stückzahlen eingesetzt. Trotz ihrer im Vergleich zu Panzerabwehrlenkflugwaffen geringeren Wirkladung sind die agilen Wirkmittel ausgezeichnet zur Bekämpfung der schweren Flammenwerfersysteme geeignet. Die großdimensionierten Raketenpods der langesamen Systeme sind ein leichtes Ziel für die FPV-Piloten und selbst kleine Wirkladungen reichen aus, um die darin enthaltene Munition zur Detonation zu bringen.
Daher kann man davon ausgehen, dass der Hauptfokus der TOS-Weiterentwicklung darin liegt, die Reichweite des Waffensystems jenseits der Flugreichweite von FPV-Drohnen zu bringen. Dies würde dann auch die Beschränkung des gleichdimensioniert aussehenden Raketenpods auf 15 Raketen erklären, während die Vorgängervarianten teilweise fast die doppelte Anzahl an Wirkmitteln aufnehmen konnten. Da es den TOS-Systemen nie wirklich an Wirkleistung gefehlt hat, dürfte der vordringliche Grund für den größeren Raketendurchmesser höchstwahrscheinlich in dem größer dimensionierten Antrieb liegen.
Unklar ist bisweilen jedoch, ob es sich bei dem TOS-3 tatsächlich um einen Hybrid aus TOS-1-Plattform mit TOS-2-Rakentepod handelt, oder um ein gänzlich neues Waffensystem. In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Hauptaktivitäten der russischen Rüstungsindustrie aktuell auf kurzfristige Maßnahmen für den schnellen Kriegserfolg in der Ukraine fokussieren, ist die Hybridlösung wahrscheinlicher als eine Neuentwicklung.
Waldemar Geiger und Kristóf Nagy