Nach Einschätzung des Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) erodiert die militärtechnische Überlegenheit des Westens aufgrund der zunehmenden Proliferation von hochentwickelten militärischen Fähigkeiten sowie einem leichteren Zugang zu militärisch relevanter Hochtechnologie weltweit.
Wie aus der gestern erschienenen Studie „The Military Balance 2016“ des Instituts weiter hervorgeht, müssen Regierungen nicht nur mit den militärtechnischen Entwicklungen Schritt halten, sondern sich auch mit den verschwimmenden Grenzen hinsichtlich ziviler und militärischer Technologie sowie zwischen offensiven und defensiven militärischen Systemen auseinandersetzen. Die militärtechnische Überlegenheit des Westens, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten vorausgesetzt wurde, erodiere, sagt deshalb John Chipman, Director-General und Chief Executive des IISS.
Laut Studie machen Staaten wie Russland und China bei der Entwicklung und dem Einsatz von modernen Militärfähigkeiten deutliche Fortschritte. Chipman weist in diesem Zusammenhang auf die neuen russischen Cruise Missiles hin, die aus der Luft und von See gestartet werden können, sowie auf hochentwickelte Luftverteidigungssysteme und Kampfflugzeuge.
Baltikum wird zum Problem für NATO
Während die NATO nach 2014 davon ausgegangen sei, seine osteuropäischen Bündnispartner schnell zu verstärken, könne Russlands Stationierung von Waffen die Bewegungsfreiheit der Allianz im Baltikum und den Zugang zu dieser Region einschränken. So hat Russland laut IISS in seinem westlichen Militärbezirk Langstrecken-Flugabwehrraketen des Typs S-400 und Kampfflugzeuge des Typs MIG-31BM stationiert. Außerdem habe Moskau während einer Übung im vergangenen Jahr kurzzeitig ballistische Kurzstreckenraketen des Typs Iskander-M in Kaliningrad stationiert. Diese Raketen mit einer Reichweite von 500 km könnten einen großen Teil Ost- und Nordeuropas abdecken. Gleichzeitig verfügten die russischen Streitkräfte mittlerweile über Cruise Missiles wie Kh-101 und Kh-555 sowie die schiffsgebundene Kalibr. Mit einer Reichweite von etwa 2.000 km für die letztere und womöglich 4.000 km für die Kh-101 könnten europäische Ziele bei einem Abschuss tief aus russischem Territorium erreicht werden. Das IISS sieht die NATO deshalb vor neuen Herausforderungen. Sie müsse neue Fähigkeiten gegen das Potenzial Russlands zu „anti-access/area-denial“-Maßnahmen entwickeln.
Weil sowohl Russland als auch China neue Systeme, darunter hochentwickelte ballistische Raketen, Marschflugkörper und Panzerfahrzeuge, in ihren Beständen haben, geht die Studie davon aus, dass sich das militärische Kräftegleichgewicht verändert.
Auch in der Region des Persischen Golfes sehen die IISS-Experten eine mögliche Verschiebung des Gleichgewichtes – insbesondere, falls Teheran nach Aufhebung der Iran-Sanktionen zur Aufrüstung ansetzen sollte. Zwar verfüge das Land gegenwärtig nur über veraltete Militärtechnik, allerdings habe es hinsichtlich der Mannschaftsstärken einen deutlichen Vorteil gegenüber den Golfstaaten.
lah/12/10.2.1016