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Neubewertung und Zeitplan weiter offen

Die Auswahl der Suhler Firma C.G. Haenel als Lieferant für das zukünftige Standard-Sturmgewehr der Bundeswehr und die wenige Wochen danach erfolgte Aufhebung dieser Entscheidung zeigen einmal mehr die rechtlichen Schwierigkeiten von Vergabeverfahren im Rüstungsbereich. Dabei können mitunter kleine Details, wie etwa Bohrungen zum Abfließen von Wasser, von entscheidender Bedeutung sein.

Gleichzeitig demonstriert das starke Medienecho auf die Vergabeentscheidung an ein kleines Unternehmen mit Eigentümer aus der Golfregion, dass ein Rüstungsprojekt durchaus Skandalisierungspotenzial hat, wenn es sich dabei um ein augenscheinlich mit Emotionen behaftetes Rüstungsgut wie ein Sturmgewehr handelt.

Dabei ist das Volumen der Beschaffung von voraussichtlich weniger als 200 Mio EUR für  120.000 Gewehre vergleichsweise gering. Zum Vergleich: Nur für den Kauf von 1.000 geländegängigen aber ungepanzerten Lkw gibt die Bundeswehr rund 398 Mio EUR aus. Selbst der Abbruch der eigentlich fest vorgesehenen Beschaffung von neuen Transporthubschraubern im Wert von über 5 Mrd EUR wurde im Gegensatz zum Sturmgewehr öffentlich kaum debattiert  – obwohl dies enorme Auswirkungen auf die operative Einsatzfähigkeit der Truppe haben könnte.

Beim neuen Sturmgewehr geht es dagegen um den Ersatz des seit den 90er Jahren im Einsatz befindlichen G36, das nicht mehr alle Anforderungen der Gegenwart erfüllt –  in der Truppe allerdings weiterhin einen guten Ruf genießt. Während die Bundeswehr im Kalten Krieg fast nur mit den Langwaffen G3, Uzi und MG3 auskommen musste, verfügen die deutschen Streitkräfte mittlerweile über eine deutlich größere Waffenauswahl in unterschiedlichen Kalibern. So sind neben dem G36 als Standardwaffe präzise Abstandwaffen wie das G22, das G29 und das G82 eingeführt. Darüber hinaus werden das MG4 und das MG 5 als Nachfolger des MG3 genutzt. Dazu kommt noch die MP7 und es  sind noch diverse G3 im Bestand. Aufgrund dieses breiten Mix dürften sich nach Einschätzung von Fachleuten bei einer verzögerten Einführung eines neuen Sturmgewehrs keine massiven Beeinträchtigungen für die Truppe ergeben.

Verfahren bereits 2017 gestartet

Im Vergabeverfahren um ein neues marktverfügbares Sturmgewehr, das im April 2017 gestartet wurde, waren zuletzt zwei Anbieter übrig geblieben: Die auf militärische Kleinwaffen spezialisierte Firma Heckler & Koch aus Oberndorf, die bereits das G3 und das G36 geliefert hatte, sowie die Firma C.G. Haenel aus Suhl. Haenel gehört zur auf hochwertige Jagdwaffen fokussierten Merkel-Gruppe, die 2007 von der Caracal LLC aus den Vereinigten Arabischen Emiraten erworben wurde. Diese wiederum befindet sich in Staatsbesitz. Über die Marke Haenel werden Jagdwaffen im Einsteigerbereich – darunter auch ein früheres H&K-Modell – sowie Behördenwaffen vertrieben.

Nach der für viele Beobachter überraschenden Verkündung der Auswahlentscheidung zu Gunsten von Haenel Mitte September hatten Verteidigungspolitiker  die Frage gestellt, ob Haenel überhaupt in der Lage sein würde, 120.000 Waffen zu produzieren und die Wartung und Instandhaltung über mehrere Jahrzehnte zu gewährleisten. Auch kam die Diskussion auf, ob deutsches Rüstungs-Know-how in einen Golfstaat abfließen würde und die VAE mit dem Bundeswehr-Großauftrag womöglich den Krieg im Jemen finanzieren könnten.

Hinsichtlich des Technologie-Transfers dürften sich die Wogen etwas geglättet haben. Denn sowohl das ausgewählte MK 556 von Haenel als auch das unterlegene  HK416 basieren auf der Technologie des AR-15 aus den 50er Jahren, die bereits im M 16 der US-Streitkräfte genutzt wurde. Auch von Caracal in den VAE produzierte Gewehre wie das CAR 816 sollen die Technik des AR-15 als Grundlage haben, so wie diese auch von anderen internationalen Herstellern genutzt wird.

Beide Waffen erfüllen die Leistungsanforderungen

Presseberichten zufolge haben die Waffen von H&K und Haenel im Rahmen des Auswahl-Wettbewerbs alle Leistungsforderungen der Bundeswehr erfüllt, wobei das MK 556 einen Hauch besser gewesen sein soll. Vor diesem Hintergrund war der Angebotspreis offenbar entscheidend für die Vergabe. Dieser wird  in den Medien  für die H&K-Offerte mit 179 Mio EUR und für Haenel mit 152 Mio EUR angegeben. Inwieweit Haenel bei der Preisgestaltung von seiner Besitzstruktur profitiert haben könnte, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall dürften mit dem Aufbau der Produktion für die Großserie weitere Kosten verbunden sein. Ob sich dann noch erhebliche Überschüsse realisieren lassen, bleibt ein Firmengeheimnis. Allerdings bringt der Gewinn einer Ausschreibung in Deutschland einen deutlichen Image-Gewinn für das Mutterunternehmen Caracal mit sich und verbessert damit höchstwahrscheinlich die Exportchancen für die eigenen Produkte.

Wie ein Haenel-Sprecher erläuterte,  verfügt die Merkel-Gruppe über eine eigene Rohr- und Verschlussfertigung. Da zum Bau eines Sturmgewehrs keine „Rocket Science“ benötigt wird, dürften Beobachtern zufolge viele auf die Metallbearbeitung fokussierte Betriebe in Deutschland – nicht nur aus dem Waffenbau –  als Zulieferer in Frage kommen. Das Hochziehen einer Großproduktion scheint vor dem Hintergrund der breiten Industrie- und Facharbeiter-Basis hierzulande möglich zu sein.

Auch politisch gelten die VAE als verlässlicher Partner, wie zahlreiche bilaterale Treffen und Konsultationen belegen. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes unterhalten Deutschland und der Golfstaat  intensive diplomatische Beziehungen. Die 2004 vereinbarte Strategische Partnerschaft sei im vergangenen Jahr mit der Unterzeichnung einer Absichtserklärung zwischen beiden Staaten weiter gestärkt worden. Darin wird neben einer verstärkten politischen Abstimmung eine enge wirtschaftliche Kooperation in den Sektoren Luftfahrt, Weltraumforschung, Tourismus, Bildung, Verkehr, Informationstechnologie, Energie (traditionelle wie erneuerbare) und Gesundheit angestrebt.

Die VAE sind laut Auswärtigem Amt Deutschlands größter Handelspartner in der Region. Sie gelten nach der Türkei und neben Saudi-Arabien als der wichtigste deutsche Absatzmarkt im Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika. Nach Schätzungen von Germany Trade & Invest führte Deutschland 2019 Waren im Wert von 8,7 Mrd EUR in die VAE aus und importierte im Gegenzug Produkte  im Volumen von 1 Mrd EUR – ein signifikantes Ungleichgewicht im Außenhandel zu Gunsten Deutschlands.

Während das BMVg trotz Kritik der Politik zunächst an der Vergabe festhalten wollte, führte ein handfester Streit zwischen H&K und Haenel wegen einer vermuteten Patentrechtsverletzung und eine darauf bezogene Rüge der unterlegenen Partei zur Suspendierung der Entscheidung.

Patentstreitigkeiten als Auslöser

„Auf Grundlage des am 30. September 2020 bei der 1. Vergabekammer des Bundes beim Bundeskartellamt eingegangenen Nachprüfungsantrags der Firma Heckler und Koch hat die Vergabestelle des Bundes im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) erstmalig nachprüfbar von einer möglichen Patentrechtsverletzung durch die Firma C.G. Haenel GmbH  Kenntnis erlangt“, begründete das Verteidigungsministerium Anfang Oktober seine Entscheidung. Und weiter: Die darauf eingeleiteten internen Prüfungen hätten zum Ergebnis geführt, dass eine entsprechende Patentrechtsverletzung durch den Bieter C.G. Haenel GmbH zu Lasten des Bieters Heckler und Koch nicht auszuschließen sei. Vor diesem Hintergrund habe die Vergabestelle des Bundes das Informationsschreiben an die Bieter über die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Firma C.G. Haenel GmbH aufgehoben. Warum das BAAINBw nicht bereits bei der Rüge, die dem Nachprüfungsantrag vorangegangen war, über die mögliche Patentrechtsverletzung Kenntnis erlangt hat, ergibt sich aus der Erklärung allerdings nicht.

Gut informierten Kreisen zufolge geht es konkret um ein so genanntes Over-the-Beach-Patent. Das Patent bezieht sich unter anderem auf spezifische Bohrlöcher an der Waffe sowie auf Konstruktionsmerkmale von Verschluss und Magazinschacht, die sicherstellen sollen, dass Wasser schnell aus dem Gewehr abläuft und damit schussfähig wird. Dies ist wichtig, falls die Waffe untergetaucht wird. Obwohl besonders für maritime Einsatzkräfte von Nutzen, soll die Over-the-Beach-Fähigkeit auch bei der Sturmgewehr-Ausschreibung gefordert worden sein.

Wie es heißt, bezieht sich der Rechtsstreit zwischen beiden Parteien vor dem OLG Düsseldorf allerdings nicht auf des MK556 von Haenel, das bislang nur für die Bundeswehr verfügbar ist, sondern auf das halbautomatische Haenel CR223 für den Behördenmarkt, das offenbar besagte Bohrlöcher aufweist. Obwohl in dem Patent auch der Name eines  Entwicklers auftauchen soll, der später bei Caracal in Diensten stand, scheint H&K sicher zu sein, alleiniger Rechte-Inhaber zu sein.  Anders lässt sich die Klage kaum deuten.

„Patentrechtsverletzungen werden in der Regel auf juristischem Wege zwischen den betroffenen Parteien geklärt“, teilte dazu ein Sprecher des BMVg mit. Die Vergabestelle des Bundes werde nun in eine Neubewertung der Angebote unter Berücksichtigung aller Aspekte eintreten. „Welche Auswirkungen dies auf den aktuellen Zeitplan der Beschaffung hat, kann erst nach dieser Neubewertung abgeschätzt werden, so der Sprecher weiter. Der Rechtsstreit um das besagte Patent dürfte sich vermutlich bis ins kommende Jahr ziehen. Berichten zufolge soll es auch noch einen zweiten Patentrechtsstreit zwischen Haenel und dem Magazinhersteller Magpul geben.

Gab es Nachverhandlungen?

Mittlerweile spekulieren einige Medien, dass es noch einen zweiten Grund für den Vergabestopp  gegeben haben könnte. Demnach besteht der Verdacht, dass das BAAINBw nach Abgabe der so genannten Best and Final Offer durch die beiden Wettbewerber womöglich mit Haenel Nachverhandlungen geführt haben könnte.

Dass das Beschaffungsamt nach Abgabe von finalen Angeboten noch Nachfragen zu einzelnen Punkten habe, sei durchaus üblich, erläutert Daniel Soudry. Nach Aussage des Fachanwalts für Vergaberecht sind Nachverhandlungen jedoch verboten.  So dürften insbesondere Preise nachträglich nicht verändert werden.

Zu Redaktionsschluss stand eine Antwort des BMVg auf die Anfrage der Grünen im Bundestag zu möglichen Nachverhandlungen noch aus.  Auf Nachfrage dieser Redaktion teilte ein Ministeriumssprecher lediglich mit, dass sein Haus aufgrund des laufenden Vergabeverfahrens dazu keine Stellung nehmen könne.
lah/22.10.2020