Die Deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie fordert von Politik und Verteidigungsministerium eine baldige Entscheidung über das weitere Vorgehen bei der Beschaffung des Kampfflugzeugs Eurofighter. Nach Aussage von Michael Schöllhorn, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) und CEO von Airbus Defence and Space, sollte bereits im kommenden Jahr ein Vertrag für die Weiterentwicklung des Flugzeugs mit der Bezeichnung Long Term Evolution (LTE) geschlossen werden. 2025 müsse dann die Beauftragung der Tranche 5 erfolgen, damit es nicht zu einem Produktions-Abbruch komme, sagte Schöllhorn am Freitag auf einer Pressekonferenz des BDLI in Berlin.
Die Produktion des Kampfflugzeugs in Deutschland läuft nach jetzigem Planungsstand im Jahr 2030 mit der Lieferung der letzten Tranche-4-Maschine für die Bundeswehr aus. Da das zukünftige europäische Luftkampfsystem FCAS ab 2040 einsatzbereit sein soll, besteht derzeit eine Lücke von zehn Jahren ohne Aufträge für die heimische Industrie, wie Schöllhorn ausführte. Gegenwärtig werden 38 Maschinen der Tranche 4, auch als Projekt Quadriga bezeichnet, für die Luftwaffe und 20 Maschinen im Rahmen des Vorhabens Halcon für Spaniens Luftwaffe gebaut.
Sollte eine baldige Folgebeauftragung der Tranche 5 durch die Bundesregierung ausbleiben, befürchtet Airbus das Ende des militärischen Kampfflugzeugbaus in Deutschland. Damit verbunden sei ein entsprechender Verlust von Arbeitsplätzen, Steuereinnahmen und insbesondere von Spitzentechnologien der Industrie. Airbus fordert deshalb noch in dieser Legislaturperiode die Grundsatzentscheidung zum Eurofighter. So benötigten die zahlreichen Zulieferfirmen bereits 2027 eine verbindliche Zusage, wie es weitergehen soll, um selbst planen zu können.
Damit eine wirtschaftlich erforderliche Mindest-Baukapazität von zehn Flugzeugen pro Jahr sichergestellt werden könne, sei auch der Export erforderlich, sagte Schöllhorn. Er rechnet nur mit einer Bestellung von etwa 40 Eurofightern für die Tranche 5 aus Deutschland und hofft auf die Abnahme von etwa 25 Fliegern im Projekt Halcon 2 durch Spanien. Um die Dekade von 2030 bis 2040 und dem Start des FCAS-Programms zu überbrücken, müssten jedoch 100 Maschinen produziert werden. Laut Schöllhorn ist die Vorstellung, auch bei der Tranche 5 mit Kosten von 100 bis 120 Millionen pro Flugzeug auszukommen. Das sei zumindest der Anspruch.
Der Airbus-Manager wies darauf hin, dass die Blockade der britischen Eurofighter-Exporte an Saudi-Arabien womöglich Konsequenzen für deutsche Position bei internationalen Rüstungsprojekten haben könnte. Gegenwärtig ist seinen Worten zufolge noch nicht klar, wie viele Flugzeuge das arabische Königreich bestellen will. Die endgültige Zahl könnte zwischen 48 und 72 liegen. Für 48 gebe es ein alte aber noch gültige Option. Großbritannien sei „ziemlich angefressen“ von der deutschen Weigerung. Diese werde auch in den Partnerländern Spanien und Italien kritisch gesehen. Es bestehe deshalb die Möglichkeit, dass Dassault den Auftrag gewinnen könnte. Die deutsche Blockadehaltung könne sich auch negativ auf die Motivation Frankreichs, beim FCAS weiterzumachen, auswirken. Schöllhorn wies darauf hin, dass Saudi-Arabien auch seine Tornado-Kampfflugzeuge ersetzen will.
Bereits vor einigen Wochen hatte eine Sprecherin des britischen Verteidigungsministeriums auf Nachfrage mitgeteilt, dass ihr Land hinsichtlich des Exportpotenzials für den Eurofighter eng mit den Regierungen Deutschlands und Italiens und Spaniens zusammenarbeite, gemäß den Zusagen, die jede der Nationen hinsichtlich der Unterstützung für den Export der Partner gemacht habe. „Im vergangenen Jahr haben wir Deutschlands Entscheidung begrüßt, die Exportlizenzen für Ersatzteile der existierenden Eurofighter-Flotte Saudi-Arabiens für drei Jahre zu verlängern. Das Vereinigte Königreich bleibt fest in seinem Bekenntnis zur strategischen Verteidigungszusammenarbeit mit dem Königreich Saudi-Arabien“, so die Sprecherin. Wie aus den Medien zu entnehmen ist, hat sich sogar der britische Premierminister persönlich eingeschaltet, um eine Exportfreigabe aus Deutschland zu erhalten.
Memorandum of Understanding
Presseberichten zufolge gibt es sogar ein Memorandum of Understanding der vier Eurofighter-Nationen, demzufolge keine Nation den Export einer anderen blockieren soll, und wenn doch, dann Schadensersatz leisten muss. Wie ein Airbus-Sprecher auf Nachfrage mitteilte, ist seinem Unternehmen der Inhalt des MoUs nicht bekannt. In der Antwort der Bundesregierung zu einer anderen kleinen Anfrage in Sachen Eurofighter aus der Vergangenheit (Drucksache 16/2568 vom 12.09.2006) stehe jedoch: “Sollte ein Land die Zulieferung seines Lieferanteils nicht genehmigen, ist es verpflichtet, dem anderen Land die Errichtung einer alternativen Bezugsquelle zu ermöglichen und ggf. zu finanzieren.”
Aus dieser Antwort der Bundesregierung könne nicht abgeleitet werden, dass die Bundesregierung zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet sei. Jedoch wäre dem Airbus-Sprecher zufolge die Bundesregierung demnach verpflichtet, Großbritannien alternative Bezugsquellen zu ermöglichen und diese gegebenenfalls zu finanzieren.
Wie Schöllhorn in der Pressekonferenz ausführte, geht er nicht davon aus, dass Großbritannien diesen Weg gehen möchte. Der BDLI sei noch nicht nach einer Verlagerung von Produktion nach Großbritannien angefragt worden. Nach Informationen unserer Redaktion hat es eine solche Anfrage aus dem Vereinigten Königreich allerdings bei mindestens einer deutschen Firma gegeben. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass die Kosten dafür extrem hoch wären und eine Verlagerung sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde, was die Zeitpläne für das Saudi-Arabien-Geschäft über den Haufen werfen dürfte.
Weitere Exportmöglichkeiten sieht Schöllhorn womöglich in die Türkei, anderen NATO-Ländern und Katar. Und auch Österreich müsse überlegen, was es mit seinen Eurofightern mache. Aufgrund der restriktiven deutschen Exportpolitik bei Rüstungslieferungen an die Türkei dürfte ein Geschäft mit der türkischen Regierung jedoch schwierig werden.
Der Manager hofft, dass die 25-Mio-Vorlage für die ersten 15 Eurofighter, die für den elektronischen Kampf ausgestattet werden, in Kürze ins Parlament kommt. Seinen Worten zufolge werden dafür Flugzeuge der Tranche 4 oder der Tranche 3 verwendet, dies sei noch nicht final festgelegt.
Kooperationsmöglichkeiten eingeschränkt
Die zweite Stufe der Version für den Electronic Attack sollte den bisherigen Planungen zufolge auf 15 Flugzeugen der Tranche 5 in der LTE-Variante umgesetzt werden. Werde diese Tranche nicht beauftragt, müsse die Fähigkeit trotzdem nicht aufgegeben werden, so Schöllhorn. Denn diese könne auch auf einer unbemannten Plattform oder auf andere Weise realisiert werden.
Kooperationspotenzial mit dem britisch-italienisch-japanischen Kampfflugzeugvorhaben Global Combat Air Programm (GCAP) sieht der Airbus-Manager insbesondere bei den unbemannten Komponenten und bei der Combat Cloud, weniger beim Flugzeug. Schöllhorn räumte jedoch ein, dass er mittlerweile eine Kooperation als unwahrscheinlicher ansieht als noch vor ein bis zwei Jahren. Auch hier könnte die Blockade des Saudi-Arabien-Geschäfts eine Rolle spielen. Denn Deutschland würde als unzuverlässiger Partner angesehen, wenn es um Exporte geht. Besonders pikant ist dabei, dass Saudi-Arabien offenbar selbst Interesse hat, sich direkt an GCAP zu beteiligen.
Bei der Pressekonferenz wurde auch eine im Auftrag des BDLI erstellte Studie der Unternehmensberatung PwC Strategy& über die Auswirkungen der Tranche 4 des Eurofighter-Programms auf die deutsche Wirtschaft vorgestellt. Demnach sichert das Eurofighter-Programm entlang der gesamten Wertschöpfungskette rund 100.000 europäische Arbeitsplätze, 25.000 davon in Deutschland. Hierzulande seien 120 Zulieferer beteiligt. Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass durch den Anteil der deutschen Industrie am Programm in erheblichem Maße Steuereinnahmen sowie Beiträge für die Sozialversicherungen und die Rentenkasse generiert werden.
lah/17.10.2023