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US-Marines entwickeln Schießausbildung kontinuierlich weiter

Kristóf Nagy

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„Every Marine a Rifleman!“ Dieses Bekenntnis zur Bedeutung der Einzelschützenfähigkeiten innerhalb der US-Marineinfanterie gilt auch im 21. Jahrhundert unvermindert. Daher unternimmt die Teilstreitkraft seit einigen Jahren Anstrengungen, um die Schießausbildung ihrer Soldaten zu modernisieren und auch durch die Einführung neuer Technologien zu verbessern. Dieser Beitrag will ein Schlaglicht auf einzelne, herausragende Elemente dieser Entwicklung seit 2018 werfen und ihren Einfluss auf die Ausbildung erläutern.

Trotz des eingangs erwähnten bedeutungsschwangeren Zitates blieb die Schießausbildung der Marines über Jahrzehnte hinweg unverändert. Zwar wurde 2016 ein auf Einsatzerfahrungen basierender dynamischer Anteil unter körperlicher Belastung hinzugefügt, doch blieb das restliche Qualifizierungsprogramm unverändert. Erst eine 2018 abgeschlossene tiefgreifende Evaluierung der Einsatzrealität, respektive der damit verbundenen Trefferwahrscheinlichkeiten und der daraus resultierenden Wirkung brachte erneut Bewegung in die Betrachtung des Themas. Nach mehrjähriger Studie kam das teilstreitkräfteeigene Operational Analysis Directorate zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit von Treffern durch Bewegung von Ziel und/oder Schützen, bei multiplen Zielen oder einer unbekannten Entfernung drastisch abfiel. Als empirische Datengrundlage für die Auswertung dienten zahllose ausgewertete Feuerkämpfe aus Afghanistan und dem Irak. Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickelte das für die Ausbildung verantwortliche Training and Education Command eine in Methodik und Schwerpunkten deutlich angepasste Schießvorschrift für die Marines.

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Neues Ausbildungsprogramm

Das neue, als Marine Corps Combat Marksmanship Program (MCCMP) bezeichnete Training setzt vorerst beim Stammpersonal der jeweiligen Einheiten an. Die Ausbildung der Rekruten bleibt zum jetzigen Zeitpunkt dagegen unverändert. Entgegen dem gewohnten Ansatz wird die Entfernung, ähnlich wie bei dem aktuellen Schießausbildungskonzept der Bundeswehr, nicht erhöht, sondern der Schütze beginnt seine Tätigkeiten auf einer Distanz von 500 Yards und geht über die einzelnen Stationen bei 300, 200 und 100 auf final 25 Yards vor. Dabei trägt er seine vollständige persönliche Ausrüstung mit ballistischem Kopf- und Körperschutz und die für die Übung notwendige Kampfbeladung mit sich. Im Vorgehen nutzt der Soldat Deckungselemente, welche bereitgestellt werden und seinen Rucksack oder im Falle des M27-Gewehrs das Zweibein als Auflage. Auch die Auswahl der vorhandenen Zielmittel wurde drastisch verändert. Es gibt nur noch eine Mannscheibe, welche diverse Trefferzonen aufweist. Ringscheiben, oder verkleinerte Ziele entfallen. So wird die Schießausbildung dem Marine Corps zufolge ausschließlich auf die Steigerung der Letalität getrimmt und die Einflüsse der Ballistik auf jede Entfernung korrekt und im Gefecht direkt umsetzbar abgebildet.

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Um die erwähnte Herausforderung der sich bewegenden Ziele abzubilden, finden sich auf den Teildistanzen 200 und 100 Yards Segmente mit sich bewegenden Zielen. Diese laufen mit einer Geschwindigkeit von etwa 6,5 km/h in Querfahrt und sind für 8 Sekunden sichtbar. An der letzten Station wird das Treffen aus der Bewegung abgerufen. Die Zielbekämpfung erfolgt aus der Bewegung von 25 auf 15 Yards. Auch die Ausbildungsthemen Zielwechsel sowie Reaktion bei Nichtwirkung durch Trefferzonenwechsel werden an dieser Station abgebildet und zeigen auch hier Parallelen zu der Schießausbildung der Bundeswehr auf.

Technologie als Ausbildungshilfe

Als nächsten Schritt strebt das Marine Corps eine vollständige Digitalisierung der Schießausbildung an. Diese soll sich nicht nur auf den scharfen Schuss erstrecken, sondern insbesondere auch die vorbereitende Ausbildung und das Trockentraining abdecken. In Bezug auf das zuletzt genannte Segment laufen bereits vielversprechende Versuche. So erprobt unter anderem das auf der vor der Küste des US-Bundesstaates South Caroline gelegene und auf der berühmten Insel Parris Island angesiedelte Marine Corps Recruit Depot das Mantis X10 System. Das kompakte System von der Größe eines kleinen Waffenlichtes lässt sich einfach an der Picatinny-Aufnahme der eingeführten Gewehre montieren und zeichnet sämtliche Bewegungen der Waffe während der Manipulation auf. So können Fehler wie ein Reißen am Abzug oder Verkannten dokumentiert werden. Mantis X ist Herstellerangaben zufolge in der Lage, sowohl im Trockentraining, als auch im scharfen Schuss eingesetzt zu werden. Die Ausgabe der Werte erfolgt über ein Smartphone oder ein Tablet. Dieses und ähnliche Systeme sind auch bereits bei europäischen Spezialkräften im Einsatz.

Ein weiteres technologisches Hilfsmittel, welches sich jedoch ausschließlich auf die vorbereitende Ausbildung und das Trockentraining beschränkt und aktiv erprobt wird, sind die Unit-4-Trainingsgewehre des US-Herstellers Unit Solutions. Diese mit Druckluft betriebenen Trainingsgeräte sind vollumfänglich kompatibel mit sämtlichen Optiken und sonstigen Peripheriegeräten der Sturmgewehrfamilie Colt M4 und erlauben eine überaus realitätsnahe Simulation des Rückstoßes durch die Schussabgabe und das auch vollautomatisch. Zudem kann das Unit 4 System eine gefahrlose Ausbildung im Nahbereich durch den Verschuss von Kunststoffrundgeschossen ermöglichen. Durch die Kombination mit dem Mantis X System kann somit das Trockentraining noch realistische gestaltet werden. In einem weiteren Schritt erfolgt die Kombination mit dem erst Ende 2023 für 11,3 Millionen US-Dollar beauftragten neuen Simulationssystems. Der vom US-Hersteller Valiant Integrated Services entwickelte Advanced Small Arms Lethality Trainer ermöglicht witterungsunabhängige Schießausbildung im Innenraum mit zahlreichen Szenarien.

Das Marine Corps strebt eigenen Aussagen zufolge jedoch eine vollständige Digitalisierung der Schießausbildung an. Daten der Übungsteilnehmer sollen erfasst und nicht nur im Sinne der Nachweisführung für das Bestehen von Ausbildungszielen, sondern insbesondere für die Verbesserung der Leistungsfähigkeit für Ausbildungszwecke in Echtzeit digital bereitgestellt und für den Ausbilder aufbereitet werden. Hierzu soll unter anderem in Zukunft auch die Auswertung des scharfen Schusses aus der Distanz über die Beschaffung von Radarsystemen möglich werden, welche die Flugbahn der abgegebenen Schüsse vermessen sollen.

Kristóf Nagy