Der Düsseldorfer Automotive- und Rüstungskonzern Rheinmetall sieht sich bei in mehreren europäischen Programmen zur Beschaffung von gepanzerten Fahrzeugen in einer guten Ausgangsposition. So stehe das Unternehmen mit seinem selbst entwickelten Schützenpanzer Lynx im Augenblick auf dem ersten Platz im Auswahlverfahren der tschechischen Streitkräfte, sagte der Vorstandsvorsitzende Armin Papperger bei der Vorstellung der Geschäftszahlen des vergangenen Jahres am Donnerstag in Düsseldorf.
Er geht davon aus, dass noch im laufenden Jahr eine Entscheidung fallen wird. Das Potenzial für einen Vertrag liege bei etwa 2 Mrd EUR. Der Puma, der ebenfalls an der Vergleichserprobung teilgenommen hat, ist nach Einschätzung des Managers für die tschechischen Beschaffer vermutlich zu teuer. Nach Angaben des BMVg liegt der Stückpreis dieses Panzers bei über 10 Mio EUR. „Der Puma war technologisch hervorragend.“ Sei aber aufgrund des hohen Preises für die Tschechen schwer zu beschaffen, so Papperger. „Der Lynx hat eine ähnliche Turmtechnologie“ und sei in etwa 80 bis 90 Prozent so leistungsfähig wie der Puma – koste aber nur 50 bis 60 Prozent.
Geschäftschancen sieht der Rheinmetall-Chef auch in Slowenien, wo die Regierung den Kauf von 56 Radschützenpanzern Boxer im Wert von 250 Mio EUR über die Rüstungsagentur Occar prüfe. Laut Papperger erwägt auch Bulgarien den Boxer mit 90 Exemplaren einzuführen – hier läge der Gesamtwart bei rund 350 Mio EUR. Und nicht zuletzt Rumänien: Dort hat Rheinmetall ein Joint Venture mit der Uzina Automecanica Moreni gegründet und hofft auf den Zuschlag für 342 Fahrzeuge des neuen 8X8 Radschützenpanzers Agilis. Die Entscheidung über die Beschaffung dieses neu entwickelten, schwimmfähigen Panzers könnte noch im laufenden Monat erfolgen, wie es aus Kreisen des rumänischen Parlaments heißt. Der Gesamtwert des Programms liegt nach Schätzung von Rheinmetall bei 1,4 Mrd EUR.
Ein Beschaffungsvorhaben zur Modernisierung seiner Schützenpanzer-Flotte hat auch Ungarn angeschoben. Hier rechnet Papperger mit einem Volumen von rund 2 Mrd EUR, falls sich der Lynx durchsetzen sollte. Die Entscheidung werde sich jedoch noch etwas hinziehen.
Nach Einschätzung von Rheinmetall könnte sich womöglich auch Großbritannien in den kommenden Wochen für die Einführung des Boxers entscheiden – ein Projektvolumen von mehr als 4 Mrd EUR. Das Vorhaben wird von Artec, dem von KMW und Rheinmetall für die Produktion des Boxers geründete Joint Venture betreut, an dem die Düsseldorfer 64 Prozent der Anteile halten.
Nach dem Gewinn des großen Auftrags zur Ausstattung der australischen Streitkräfte mit dem Boxer in der Version als Aufklärungspanzer, sieht Pappberger in dem Land weiteres Potenzial zur Lieferung von Lkws im Volumen von 500 bis 600 Mio EUR.
Deutsche Führungsrolle bei Landsystemen
Beim so genannten Rahmennationenkonzept sieht Papperger Deutschland, die Niederlande, Tschechien und Rumänien als Anlehnungspartner für andere Nationen. Aufgrund dieses Konzeptes sieht er gute Chancen, dass die von Deutschland genutzte Ausrüstung auch in anderen europäischen Armeen eingesetzt werden könnte. „Die Führungsrolle der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Landsysteme wird immer deutlicher.“
Für Papperger bleibt die Bundeswehr auch in Zukunft der wichtigste Einzelkunde seines Unternehmens. Dabei werde man von der Vollausstattung der Streitkräfte profitieren. Seiner Aussage zufolge liegt die gegenwärtige Ausrüstung nur bei 65 bis 75 Prozent des Solls. Sowohl hier als auch bei der anstehenden Digitalisierung sieht sich Rheinmetall gut aufgestellt, um den Streitkräften „helfen“ zu können. Bei den Verteidigungsausgaben geht der Rheinmetall-Manager davon aus, dass in den Jahren 2022 und 2023 ein Wert von 1,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt erreicht wird.
Nach Aussage von Papperger hat die Bundeswehr ein erhebliches Beschaffungspotenzial von Großgerät. Dazu zählen etwa 400 Radpanzer Fuchs. „Wir gehen davon aus, dass 300 bis 400 Boxer mittelfristig nachbeschafft werden müssen“, sagte er. Außerdem sieht er einen Bedarf für rund 15.000 Lkws in der rein militärischen Variante. Es gebe überdies Diskussionen, ein zweites Los des Schützenpanzers Puma „nach vorne zu stellen und zu beschaffen“.
Die Bundeswehr weise einen Sofortbedarf an Munition auf, der bei etwa 2 Mrd EUR netto liege, so Papperger. „Die ersten Aufträge sind platziert worden.“ Die Digitalisierung der Streitkräfte laufe über Motako aber auch über die Taktische Luftverteidigung und die Nachbereichs-Luftabwehr.
Mehr Soldaten für die Bundeswehr?
„Die deutsche Bundeswehr wird mittelfristig mehr Personal bekommen“, glaubt Papperger. Es solle eine weitere Kampfdivision zugeführt werden und die Personalstärke von 175.000 auf 220.000 Soldaten aufwachsen. Der strukturell neue Aufbau einer Division bedeute, dass diese auch neu ausgerüstet werden müsse, sagte Papperger. Die Entscheidung zur vierten Division müsse letztendlich die Ministerin treffen. Die Diskussionen gehen nach Einschätzung von Papperger im Augenblick in diese Richtung.
Wie es aus dagegen aus Kreisen des Heeres heißt, wird weiterhin von einer Struktur mit drei Divisionen ausgegangen, die in der kommenden Dekade voll aufgefüllt und modernisiert werden sollen –von einer vierten könne keine Rede sein. Zunächst wird den Planungen zufolge eine Division mit heute verfügbarer Technologie und danach die beiden anderen Divisionen als voll digitalisierte Einheiten aufgestellt. Allerdings kursieren in Berlin durchaus Gerüchte, wonach über die Neuformierung einer Division nachgedacht wird.
Neben dem nationalen Bedarf sieht der Rheinmetall-Chef die EU-Verteidigungspolitik und dabei insbesondere die deutsch-französische Achse als Treiber für die eigene Geschäftsentwicklung. In diesem Zusammenhang verwies er auf die Initiativen beider Nationen mit einem Projektkorb von etwa 175 Mrd EUR.
Beide Staaten streben seinen Worten zufolge an, bestimmte Schlüsselprojekte im Land zu halten. Für Rheinmetall sei die Entwicklung eines neuen Kampfpanzers – bezeichnet als Main Ground Combat System – ein solches Vorhaben. Die Arbeiten dafür seien bereits im Gang. „Wir haben unser Projektteam bereits voll installiert“, sagte Papperger. Man führe wöchentlich Diskussionen darüber mit der Bundesregierung.
Den Bedarf für einen neuen Kampfpanzer bezifferte er auf eine Stückzahl von 2.500 bis 4.000 Exemplaren. „Das ist ein Programm, das über einen Zeitraum von 25 Jahren laufen wird.“ Das Geschäftsvolumen dafür liegt laut Papperger zwischen 40 und 50 Mrd EUR. Wichtig sei für Rheinmetall auch der Bereich indirektes Feuer, wo man so wie bei Kampfpanzern über Schlüsseltechnologien verfüge.
Munition wird verbessert
Beim Kampfpanzer werde sich Rheinmetall auf neue Munitions- und Waffentypen fokussieren. „Es gibt komplett neue Gefechtskopftechnologien, die von der Bundesregierung als geheim eingestuft worden sind.“ Mit diesen Technologien könnten die besten und modernsten Panzer – etwa der Russen – bekämpft werden. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeiten liegt bei Turm- und Ladetechnologien, wobei in Zukunft auf einen Ladeschützen zugunsten eines automatischen Laders verzichtet werde. „Wir werden die Artillerie in der Reichweite steigern“, kündigte Papperger an. In Zukunft werden seiner Aussage zufolge Reichweiten von 70 bis 80 Kilometern bei der Rohrartillerie und 150 bis 200 Kilometer bei der Raketenartillerie erreicht. Dabei sollen unter anderem neue Booster-Technologien zum Einsatz kommen.
Die Bundesregierung wird nach Aussage des Rheinmetall-Chefs im laufenden und im kommenden Jahr jeweils zweistellige Millionensummen für die Entwicklung investieren. „Ab 2020 dreistellige Millionenbeträge.“ Der Prototyp des neuen Kampfpanzers solle im Jahr 2025 fertig sein. Die Serienreifmachung werde dann für 2025 bis 2030 projektiert, und die Serienfertigung spätestens ab 2032 starten. „Beim Artilleriesystem sieht es ähnlich aus, mit einem etwa einem Jahr späteren Start.“
Als ein Schlüsselprojekt betrachtet der Düsseldorfer Konzern die Digitalisierung der Landstreitkräfte. Man habe dafür das Joint Venture mit Rohde & Schwarz gegründet und mittlerweile die rechtliche Bestätigung aus Deutschland und von der EU erhalten, dass dies regelkonform sei, sagte Papperger. Die ersten zehn Mitarbeiter als Projektteam haben seinen Worten zufolge die Arbeit in Berlin aufgenommen. Der Ressourcen würden jedoch bei Rohde & Schwarz und Rheinmetall belassen. Man bewerbe sich darauf bewerben, die Digitalisierung für die deutschen VJTF-Kräfte umzusetzen – im Rahmen eines Gesamtprogramms von etwa einer halben Milliarde EUR. Davon sei ein großer Teil Digitalisierung. Rohde & Schwarz werde die Kommunikation machen und Rheinmetall das Battle Management.
Gladius als Führungssystem
Das Führungssystem des deutschen Heeres wird laut Papperger das Konzept Infanterist der Zukunft sein, das auch als Gladius bezeichnet wird. Der Gladius habe die Elektronik sowie den Battle-Management-Algorithmus von Rheinmetall. „Das wird transferiert auf den Puma und auf den Boxer.“ Mit dieser Transformation werde man dann soweit kommen, dies bis auf die Ebene Helikopter und Starrflügler zu heben.
Das Gesamtvolumen für die Digitalisierung – noch bis vor kurzem als Motako/Motiv tituliert – schätzt Papperger auf 5 bis 6 Mrd EUR. Diese Mittel würden jedoch nur schrittweise freigegeben. Der Auswahlwettbewerb werde noch im laufenden Jahre starten und 2019 seien erste Entscheidungen zu erwarten, so seine Einschätzung. Die ersten größeren Umsätze erwartet Rheinmetall dann im übernächsten Jahr. Zunächst würden lediglich Entwicklungsgelder von wenigen Millionen Euro fließen.
Für das Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) habe man ein Konsortium mit Raytheon gegründet, sagte Papperger. Unter anderem, weil alle heutigen Luftverteidigungssysteme von den beiden Unternehmen geliefert wurden: LeFlaSys und Mantis kommen von Rheinmetall und Patriot von Raytheon. Bei der Kooperation habe man die kurze und mittlere Reichweite der Rheinmetall AG mit der großen Reichweite von Raytheon zusammengeschaltet, so Papperger.
„Wir werden ein Flugabwehrsystem anbieten, das nicht neu entwickelt werden muss.“ Es sei zu 95 Prozent fertig entwickelt, was das Risiko reduziere. Weitere Entwicklungskosten im Volumen von ein bis zwei Mrd EUR könne man sich damit sparen. Zudem werde man das ganze zum halben Preis anbieten im Vergleich zum Konkurrenzprodukt, „und zwar mit der gleichen Leistungsfähigkeit oder besser“. Der Rheinmetall-Chef bezieht sich dabei offenbar auf das in Entwicklung befindliche TLVS/Meads-Vorhaben von MBDA und Lockheed Martin. Laut Papperger kann das eigene System auch eine Rundumverteidigung von 360 Grad gewährleisten sowie andere Systeme mittels Plug-and-Play einbinden.
Weiterentwicklung des Lynx geplant
Offenbar will Rheinmetall seinen Schützenpanzer Lynx weiterentwickeln. „Wir machen eine Schützenpanzerfamilie“, kündigte Papperger an. Andere Hersteller haben eine solche Produktausweitung bereits vorgemacht. So bietet beispielsweise Hägglunds den CV 90 in Versionen als Mörserträger, Flugabwehr-, oder Bergepanzer an. Auf der kommenden Messe Eurosatory solle überdies ein Schützenpanzerkonzept vorgestellt werden, bei dem „variabel mit unterschiedlichen Chassis“ große oder kleine Trupps transportiert werden, so der Rheinmetall-CEO. Es gebe immer häufiger die Anforderung, dass zehn oder elf Soldaten in einem Panzer mitfahren sollen.
Laser-Joint-Venture mit MBDA
Der Laser in der militärischen Anwendung entwickelt sich laut Rheinmetall immer mehr in Richtung Serienreife. Die neue Technologie soll laut Papperger in erster Linie zur Drohnenabwehr und zum Zerstören von gegnerischen Optiken eingesetzt werden. „Wir untersuchen Anwendungen im Bereich der Flugabwehr.“ Das erfolge gemeinsam mit der MBDA. Man stehe kurz davor, ein gemeinsames Unternehmen mit MBDA zu gründen. Das soll offenbar noch im laufenden Jahr erfolgen, vorausgesetzt die notwendigen Genehmigungen werden ausgestellt. Wie es aus gut informierten Kreisen heißt, gibt es durch den Zusammenschluss der beiden Anbieter wettbewerbsrechtliche Unsicherheiten, da dann nur noch ein Monopolanbieter in Deutschland existieren würde. „Wir gehen davon aus, dass wir die Zulassung kriegen“, so Papperger. In diesem Fall werde man in einem Team – ähnliche wie die PSM beim Schützenpanzer Puma – die Lasertechnologie vorantreiben, und versuchen in Deutschland und Europa die Laserprojekte abzuarbeiten, „als Systemhaus Laser in Europa“.
Nicht erfolgreich verlief bislang der Versuch des Düsseldorfer Unternehmens , in den Markt für Infanteriewaffen einzusteigen. So haben Rheinmetall und Steyr kein Angebot für die Ausschreibung eines Nachfolgers für das Bundeswehr-Sturmgewehr G36 abgegeben. Papperger begründete dies mit zu wenig Zeit, um sich auf die vom Auftraggeber geforderte Munition einzustellen. Dagegen habe der Konkurrent Heckler & Koch über diese Munition „tonnenweise“ verfügt. Für die Anpassung habe eine Zeit von etwa acht Monaten gefehlt. Wegen der Anforderung, sofort eine Entscheidung zu treffen, sei man nicht in die Ausschreibung gegangen. „Wenn es eine Verzögerung geben sollte, weiß ich nicht, ob man raus ist.“ Beobachter gehen davon aus, dass lediglich Heckler & Koch sowie Haenel Angebote eingereicht haben.
Schwerer Transporthubschrauber
Beim Projekt schwerer Transporthubschrauber sei Lockheed Martin auf Rheinmetall zugekommen und habe eine Kooperation angeboten, sagte Papperger. Unter anderem, weil Rheinmetall Expertise bei der Dokumentation und Simulation aufweise. Der Düsseldorfer Konzern unterstütze Sikorsky während des Beschaffungsprozesses. Darüber hinaus sei man für die Koordination der Industriepartner in Deutschland verantwortlich. Während Boeing sehr stark auf sein britisches Netz setze, wolle Lockheed Martin sein deutsches Netz aufbauen, sagte Papperger. Dabei würden womöglich auch mehrere Hundert Arbeitsplätze bei Rheinmetall geschaffen.
Starkes Wachstum angepeilt
Finanziell verlief das Jahr 2017 erfolgreich für den Rheinmetall-Konzern. So stieg der Konzernumsatz um 5 Prozent auf 5.896 Mio EUR, während sich das operative Ergebnis um 13 Prozent auf 400 Mio EUR verbesserte.
Der Unternehmensbereich Automotive erhöhte seinen Umsatz um 8 Prozent auf 2.861 Mio EUR. Die Defence-Sparte erzielte im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Umsatz von 3.036 Mio EUR und lag damit um 3 Prozent über dem Vorjahreswert. Der Auslandsanteil des Konzernumsatzes blieb im Geschäftsjahr 2017 mit 76 Prozent unverändert gegenüber dem Vorjahr.
Für 2018 erwartet der Konzern eine Umsatzsteigerung von 8 bis 9 Prozent, wobei die Automotive-Sparte ein Umsatzwachstum in Höhe von 3 Prozent bis 4 Prozent erzielen und die Sparte Defence um 12 bis 14 Prozent zulegen soll. Aufgrund der guten Geschäfte will Rheinmetall „einige Hundert Wissenschaftler und Ingenieure“ in den kommenden zwölf Monaten in Deutschland einstellen, wie Papperger sagte.
lah/16.3.2018