Die Bundeswehr wird in Zukunft eine neue Variante des Kampfpanzers Leopard erhalten. Für den von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius für dieses Quartal angekündigten Vertrag zur Nachbeschaffung der an die Ukraine abgegebenen 18 Kampfpanzer Leopard 2 A6 kristallisieren sich wesentliche Elemente heraus. Erstmals seit 1992, das Jahr in dem der letzte deutsche Kampfpanzer gebaut wurde, soll die Bundeswehr ab Mitte der 2020er Jahre wieder komplett neue Kampfpanzer erhalten.
Die Panzer werden unter der Bezeichnung Leopard 2 A8 nachbeschafft, wie Europäische Sicherheit & Technik aus mehreren unabhängigen Quellen erfahren hat. Demnach will die Bundeswehr mit Krauss-Maffei Wegmann (KMW) einen Rahmenvertrag abschließen, in dessen Rahmen zunächst die 18 fabrikneuen Kampfpanzer nachbeschafft werden, der aber Optionen zur Lieferung einer mittleren dreistelligen Anzahl von Kampfpanzern des gleichen Typs enthält. Der Vertrag soll es auch ermöglichen, dass sich andere Nationen anschließen und zu ähnlichen Konditionen mit Kampfpanzern Leopard 2 versorgen können. Welche Staaten dies genau sein werden ist derzeit noch nicht bekannt.
In den vergangenen Wochen haben jedoch mehrere Nationen öffentliches Interesse an moderneren oder zusätzlichen Kampfpanzern geäußert, dazu zählen Schweden und Tschechien. Zudem hat auch Litauen – eine Nation, die eine enge Kooperation mit den deutschen Streitkräften pflegt – bekanntgegeben, Kampfpanzer für das Heer beschaffen zu wollen. Auch Italien will seine Panzerflotte modernisieren.
Alle Panzer sollen als komplette Neubauten entstehen. Dadurch können industrielle Skaleneffekte sowie Vorteile für die Nutzung der bestehenden A6-Flotte in der Truppe entstehen. Die noch verbliebenen Leopard 2 A5 und A6 der Bundeswehr müssen so nicht für eine langwierige Modernisierung in die Industrie abgeben werden – damit würde die befürchtete „Panzerdelle“ nicht auftreten. Für die Industrie ermöglicht dies den Aufbau und Erhalt einer vollständigen Produktionslinie, auf der dauerhaft eine größere Anzahl von Kampfpanzern produziert werden kann. Wanne und Turmgehäuse können für die Integration der aktuellen Innenausstattung wie Optiken und Optroniken, Waffen, Antriebe sowie Schutzelemente optimiert werden.
Der Rahmenvertrag mit dem Abruf der ersten 18 Leopard 2 A8 soll noch in diesem Quartal mit einer 25-Mio-Euro-Vorlage dem Parlament zur Billigung vorgelegt werden. Letzter möglicher Termin wäre der 21. Juni. Da die Panzer als Ersatz für die an die Ukraine abgegebenen Kampfpanzer nachbeschafft werden, erfolgt die Finanzierung der Beschaffung aus der Ertüchtigungshilfe der Bundesregierung für die Ukraine im Einzelplan 60. Erst am 29. März hatte der Haushaltsauschuss fast zwölf Milliarden Euro für die militärische Hilfe der Ukraine freigemacht. Darin sind nach Angaben von Verteidigungsminister Pistorius knapp vier Milliarden Euro für die Wiederbeschaffung von Material vorgesehen, das die Bundeswehr an die ukrainischen Streitkräfte abgibt. Davon wiederum seien etwa 3,4 Milliarden Euro für Verpflichtungsermächtigungen und 400 Millionen für aktuelle Beschaffungen vorgesehen.
Ein Zeitplan für die Lieferung der neuen Panzer ist nicht bekannt. Vor wenigen Wochen hatte Ralf Ketzel, CEO des Leopard-2-Herstellers Krauss-Maffei Wegmann, in Interviews erklärt, der Vorlauf bis zum Produktionsbeginn eines Panzers betrage etwa ein Jahr, das Hochfahren der Produktion im Fall einer Großbestellung dauere ein bis zwei Jahre. Damit könnten die ersten neuen Leopard 2 ab 2025 zulaufen. Dies entspricht auch in etwa den jüngsten Aussagen des Verteidigungsministers bezüglich eines potenziellen Zulaufs der nachzubeschaffenden Kampfpanzer.
Designmerkmale Leopard 2 A8
Technisch ist der Leopard 2 A8 nach den ESuT vorliegenden Informationen ein neuer Kampfpanzer, der auf der Version A7HU für die ungarischen Streitkräfte aufbaut und ein Gefechtsgewicht nahe 70 Tonnen erreichen wird. Das weitgehend unveränderte Triebwerk wird über das anders untersetzte Seitenvorgelege dem Mobilitätsbedarf angepasst, wie man es vom A7V kennt. Der Schutz im Wannenbereich bleibt unverändert; ob erhöhter Minenschutz (wie beim A6M) realisiert wird, ist nicht bekannt. Sicher scheint der Einbau einer vom Hauptmotor unabhängigen Energieversorgung mit mindestens 20 kW Dauerleistung sowie von Ultracaps zur Stabilisierung des Stromnetzes zu sein.
Bedeutendste Änderung im Turm wird die Integration einer neuen Version des abstandsaktiven Schutzsystems Trophy sein. Zudem soll das Turmdach einen Bombletschutz erhalten. Die volldigitale Feuerleitanlage und Aufklärungs- und Zieloptiken mit Tag- und Nachtsichtkanälen für Kommandant und Richtschütze orientieren sich an den für die ungarischen Kampfpanzer Leopard 2 A7HU ausgewählten Lösungen. Hinzu kommt eine Rundumsicht mit fusionierter optischer und Wärmebildsicht. Vor allem für die Fahrzeugführung des Kraftfahrers aber auch für alle Besatzungsmitglieder soll dies das Lagebewusstsein verbessern. Die Waffenanlage mit einem 120mm/L55A1-Rohr ist für den Verschuss von programmierbarer HE-Munition und von KE-Munition neuester Bauart ausgelegt. Eine fernbedienbare Waffenstation wird wohl nicht installiert.
Truppe braucht mehr
Die Konfiguration der neuen Leopard 2 A8 sowie der potenzielle Zulauf der Kampfpanzer basieren vor allem auf politischen Vorgaben und entsprechen nicht vollständig den Anforderungen des Heeres für ein überlegenes Kampfpanzermodell, wie aus unterschiedlichen veröffentlichten Fachbeiträgen zum sogenannten Leopard 2 AX hervorgeht. Insbesondere beim Schutz (die Fähigkeit zur Abwehr von KE-Penetratoren), der Mobilität (Ausstattung des Kampfpanzers mit einem leichtern oder stärkeren Powerpack), der vollständigen Turmdigitalisierung (der Schwerpunkt liegt hier auf der Optronik) und die Fähigkeiten zum Nachtkampf weist der A8 noch signifikante Lücken zu den Anforderungen der Truppe an den AX auf. Gut informierten Kreisen zufolge wird es jedoch noch zwei bis drei Jahre dauern, bis ein Leopard 2 AX die Serienreife erreicht hat.
Damit die deutsche Panzertruppe auch zukünftig eine Überlegenheit gegenüber allen potenziellen Gegnern aufweist, wäre es wichtig, dass die derzeitigen politischen Bedürfnisse (schnelle Ausstattung und Modernisierung der Truppe) sowie militärischen Forderungen (Durchsetzungsfähigkeit auch in der Zukunft) synchronisiert werden. In diesem Zusammenhang darf der A8 nur ein Anfang sein und die Entwicklung und Einführung des AX nicht gefährden.
wg/gwh/17.4.2023