Die Interessenvertretung der deutschen Werftindustrie, der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM), hält eine gewisse Konsolidierung der europäischen Marineschiffbauindustrie mittelfristig für sinnvoll. Wie VSM-Hauptgeschäftsführer Reinhard Lüken heute bei der Jahrespressekonferenz seines Verbandes in Hamburg weiter sagte, können durch höhere Stückzahlen erhebliche Effizienzsteigerungen realisiert werden.
Wenn man dieses anstrebe, seien jedoch zunächst nationale Hausaufgaben zu erledigen. Nur so lassen sich seiner Ansicht nach deutsche Interessen im europäischen Kontext wahren. So seien die großen Player wie Naval Group, Fincantieri und Navantia alle in staatlicher Hand. „Insofern ist eine Staatsbeteiligung ein Schritt, den wir begrüßen würden“, sagte er mit Blick auf die angestrebte Verselbständigung von thyssenkrupp Marine Systems (tkMS). Allerdings dürfe dadurch keine Marktverzerrung auf dem inländischen Markt entstehen, betonte Lüken, der mit dem VSM die gesamte Branche vertritt.
Auch in seinem heute veröffentlichten Jahresbericht 2023/2024 bemängelt der Verband, dass kein Level Playing Field im internationalen Marineschiffbau existiert, auf dem sich der beste und wirtschaftlichste Anbieter durchsetzen kann. Denn die Branche werde weltweit, aber auch in einigen anderen EU-Staaten vielfach staatlich unterstützt.
Politische Unterstützung gefordert
Umso wichtiger sei für die heimische Industrie eine verlässliche starke politische und ministerielle/administrative Unterstützung. Diese muss nach Vorstellung des VSM für den Export eine zügige Bearbeitung und zeitnahe Entscheidung zu Exportanfragen und die begleitende Gewährung von Exportkreditgarantien umfassen. „Exportgenehmigungen sind, wenn beantragt und genehmigungsfähig, als einheitliche Herstellungs- und Überlassungsgenehmigung zu erteilen“, fordert der VSM. Für den Fall nachträglicher Versagung erteilter Exportgenehmigungen sei die gesetzlich vorgesehene Entschädigung kurzfristig zu leisten, um die Liquidität der Auftragnehmer nicht zu gefährden.
Darüber hinaus komme einer wirksamen politischen und administrativen Flankierung von Exportprojekten über bilaterale staatliche Vereinbarungen, hochrangige politische Kontakte oder Exportförderprogramme hohe Bedeutung zu, heißt es im Jahresbericht.
In der Pressekonferenz stellt sich VSM-Hauptgeschäftsführer Lüken auch hinter die Forderung des Inspekteurs der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, der zwei weitere Fregatten der Klasse 126 für seine Teilstreitkraft fordert. Die Marine habe zahlreiche Aufgaben und in den vergangenen Jahrzehnten besonders stark unter den Auswirkungen der Friedensdividende gelitten, betonte Lüken. Die russische Marine sei dagegen weiter handlungsfähig und stelle eine „signifikante Bedrohung“ dar. Darum müsse das Thema stärker in den Fokus gestellt werden.
Während die Marine nicht in dem Maße wie erwartet vom Sondervermögen Bundeswehr profitiert habe, sei die Marineschiffbauindustrie aufgrund der Bestellungen in der vergangenen Legislaturperiode jedoch relativ gut ausgelastet, sagte der Hauptgeschäftsführer.
Probleme aufgrund der chinesischen Dominanz
Akute Probleme sieht die deutsche Schiffbauindustrie dagegen im zivilen Sektor aufgrund der immer stärker werdenden Dominanz der chinesischen Industrie. Dabei werden nach Einschätzung des VSM chinesische Schiffe oftmals zu Preisen unterhalb der Materialkosten verkauft. Ein klarer Fall von Dumping.
Der VSM appelliert deshalb an die Europäische Union und die Bundesregierung, ein industriepolitisches Konzept vorzulegen, das eine Rückkehr zu dem erforderlichen Wachstum ermöglicht und so der strategischen Bedeutung der maritimen Industrie gerecht werde.
Die Corona-Pandemie habe die Anfälligkeit einer Strategie, die sich allein auf High End-Märkte beschränkt, aufgezeigt. Der russische Angriffskrieg und die russisch-chinesische „Partnerschaft ohne Grenzen“ hätten die Gefahren von strategischen Abhängigkeiten ins Bewusstsein gebracht. Vor diesem Hintergrund begrüßt der VSM den für morgen erwarteten Beschluss des Wettbewerbsfähigkeitsrates zur Notwendigkeit einer maritimen Industriestrategie für Europa. VSM-Präsident Harald Fassmer sagte hierzu auf der Pressekonferenz: „Wir brauchen eine schiffbaupolitische Trendwende. Maritime Souveränität kann man nicht in China bestellen.“
Eine krisenfeste und nachhaltige maritime Versorgung Europas umfasst nach Ansicht der Schiffbauer klimaneutrale innereuropäische See- und Binnenwasserstraßenverkehre, den Ausbau erneuerbarer Energiegewinnung offshore, den Schutz kritischer Infrastruktur auf und unter Wasser, die Infrastruktur für den Import von erneuerbaren Energieträgern sowie eine leistungsstarke Marineschiffbauindustrie.
EU in der Pflicht
Dafür müssten effektive Rahmenbedingungen den erfolgreichen Betrieb von Schiffen und maritimen Anlagen ebenso wie deren Produktion gewährleisten. Diese Rahmenbedingungen sollen nach Vorstellungen des VSM rasch gemeinsam in der EU festlegt und konsequent national implementiert werden. Die EU verfüge über den größten maritimen Binnenmarkt der Welt. Es sollten ambitionierte Klimaschutzziele auch im maritimen Sektor umgesetzt werden. Der Weg dahin müsse gemeinsam so gestaltet werden, dass die EU dabei an Unabhängigkeit und Resilienz gewinne.
Die deutsche Schiffbauindustrie weist nach Einschätzung des Verbandes im Augenblick überwiegend eine hohe Auslastung aus. Laut dem aktuellen Geschäftsbericht wird mehr als ein Drittel des Gesamtumsatzes der deutschen Schiffbauindustrie im mehrjährigen Durchschnitt durch marineschiffbauliche Projekte erwirtschaftet. Dadurch sichere und entwickele sie eine Vielzahl hochqualifizierter Arbeitsplätze, innovativer Produkte und Prozesse sowie wertvolles Know-how, welches auch dem zivilen Schiffbau zugutekommt.
Allerdings haben Lieferkettenstörungen und der hohe Inflationsdruck der letzten Jahre laut VSM auch 2023 noch deutliche Spuren in der deutschen Schiffbauindustrie hinterlassen, denn lange Projektlaufzeiten und Verträge mit festen Baupreisen sind im Schiffbau üblich. Die Eigenkapitaldecke der mittelständischen Unternehmen sei in den vergangenen Jahren abgeschmolzen. Dennoch stehe die Industrie bereit, sich den Anforderungen zu stellen, zu investieren und für die Ausbildung von Fachkräften zu sorgen. Sie könne dies aber nicht allein. Die Bundesregierung habe aktiv für die Befassung des EU-Ministerrates mit diesem Thema geworben. „Sie muss nun aber auch bei den eigenen Instrumenten diesem Anspruch gerecht werden“, fordert der VSM.
Substanzverzehr soll umgekehrt werden
Am Standort Deutschland sind laut VSM unverändert zahlreiche Unternehmen aktiv, die technologisch weltweit Maßstäbe setzen. Der jahrzehntelange Substanzverzehr müsse allerdings umgedreht werden, damit der Standort seine maritime Industrie und damit seine Handlungsfähigkeit wahren könne. „Die Bundesregierung hat den Handlungsdruck verstanden und auf die Untätigkeit der Europäischen Kommission der vergangenen Jahre reagiert. Aber das kann nur der Startschuss sein. Ab jetzt gilt es, die Ärmel hochzukrempeln und neue Schritte für echte maritime Souveränität zu wagen“, sagte Hauptgeschäftsführer Lüken.
Im Bereich Marineschiffbau laufen laut Jahresbericht die Planungen für bis zu sechs Einheiten der neuen Luftverteidigungsfregatte der Klasse 127 als Ersatz für die Sachsen-Klasse F124. Weitere Vorhaben seien der leistungsstärkere Ersatz der Tender-Klasse 404, weitere Hafen- und Unterstützungseinheiten, darunter die bis zu sechs „SAMSe“-Einheiten (Seebasierte Ausbildung Marine und Seeversuche See), bemannte/unbemannte Einheiten sowie Systeme für Minenjagd/-abwehr und Aufklärung. Amphibische Kampfboote und Kampfschwimmer-Boote befinden sich laut VSM in unterschiedlichen Planungs- und Beschaffungsstadien.
Lars Hoffmann