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Raketen- und Rohrartillerie – wichtige Modernisierungsvorhaben der U.S. Army

Waldemar Geiger und Lars Hoffmann

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Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass die Rolle der Artillerie als Hauptträger der taktische Feuerunterstützung für die Kampftruppe auch auf dem modernen Gefechtsfeld keinen My an Bedeutung verloren hat. Neue Wirkmittel wie Kampfdrohnen und Loitering Munition sind zwar in der Lage, einzelne Aufgaben der Artillerie zu ergänzen oder zu übernehmen, die Masse der Feuerunterstützung ist jedoch weiterhin der Artillerie vorbehalten, die zu jeder Tages- und Nachtzeit, bei jeglicher Witterung und unbeeindruckt von feindlichen Aktivitäten im Rahmen der Elektronischen Kampfführung oder Flugabwehr – bei Bedarf auch großflächig – wirken kann.

Auch die Fähigkeit zum bodengestützten, präzisen Wirken in der Tiefe bleibt primäre Aufgabe der Artillerie. Langstrecken-Strike-Drohnen sind zwar ebenfalls in der Lage, feindliche Ziele tief im Hinterland anzugreifen, verfügen jedoch nicht über eine vergleichbare Kombination aus hoher Wirkung und Geschwindigkeit wie Raketen oder andere Flugkörpern, wie man anhand der Diskussion rund um die Reichweitenbeschränkung von an die Ukraine gelieferten Wirkmitteln sehen kann.

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In Anbetracht dieser Entwicklungen überrascht es nicht, dass die Modernisierung der Artillerie weiterhin eine hohe Priorität in der U.S. Army genießt. In den letzten Jahren wurden bereits mehrere Vorhaben aufgelegt, um die Leistungsfähigkeit sowohl der Rohr- als auch der Raketenartillerieverbände zu steigern. Der Beitrag bietet eine Übersicht über den aktuellen Stand einzelner wichtiger Artillerie-Modernisierungsvorhaben der U.S. Army.

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Rohrartillerie

Die ursprünglichen Pläne des US-Heeres bei der Rohrartillerie sahen im Rahmen des sogenannten Long Range Precision Fires (LRPF) Program sowohl die Einführung neuer Haubitzen als auch neuer reichweitengesteigerter Munition vor.

Rohrartilleriesysteme

Mit dem Projekt Extended Range Cannon Artillery, welches Bestandteil des Long Range Precision Fires Program der U.S. Army ist, verfolgte das US-Heer das Ziel, die Leistungsfähigkeit seiner Rohrartillerie zu verbessern und die Reichweite der US-Haubitzen von 30 auf 70 Kilometer mit herkömmlicher Munition zu steigern. Die Grundidee für eine ERCA-Panzerhaubitze bestand darin, ein M109A7 „Paladin“-Fahrgestell mit einer weiterentwickelten Waffenanlage, bestehend aus einer längeren Kanone und einem neu zu entwickelnden Ladeautomaten zu modifizieren. Die Waffenanlage ist so gestaltet, dass sie den höheren Druck der Supercharge-Treibladungen aushalten kann, welche in Kombination mit dem längeren Rohr (58 Kaliberlängen) die geforderten Reichweiten erbringen sollen. Der Ladeautomat sollte hingegen die Nachladegeschwindigkeit der Haubitze steigern.

Im Rahmen von Schießkampagnen des US-Heeres, bei denen Reichweiten jenseits von 70 km erzielt worden sind, wurden jedoch unterschiedliche technische Probleme festgestellt, darunter eine übermäßig hohe Beanspruchung des Rohres. Daher hat sich die Army dagegen entschieden, die Entwicklung weiterzuverfolgen und die ERCA-Haubitze in Serie zu fertigen.

Hauptgrund für die Einstellung der Arbeiten an der ERCA-Panzerhaubitze liegt offenbar in der immensen Beanspruchung des Rohres beim Feuern mit sogenannten Supercharge-Treibladungen. (Bild: U.S. Army / Kristen Rounsaville)

Gleichwohl sieht die U.S. Army ein, dass die aktuell in Nutzung befindlichen Rohrartilleriesysteme in Form der gezogenen M777-Feldhaubitze sowie der Panzerhaubitzen vom Typ M109A7 große Defizite bei Mobilität (hier insbesondere die M777) und Reichweite aufweisen. Daher werden nun alternative Entwicklungsstränge für die Modernisierung der US-Rohrartilleriesysteme untersucht.

Einführung neuer Haubitzen

Zum einen wurde erst Mitte Oktober 2024 von der U.S. Army bekanntgegeben, dass das US-Heer bis Ende 2024 eine Marktsichtung für ein zukünftiges Artilleriesystem durchführen will. Eine Marktsichtung inklusive Leistungsdemonstration soll nun die Erkenntnis bringen, ob ein marktverfügbares Artilleriesystem den Ansprüchen des US-Heeres genügt oder ob eine Entwicklung notwendig ist.

Wie aus einer offiziellen Mitteilung des US-Heeres vom 14. Oktober hervorgeht, wurden Verträge in einem Gesamtwert von vier Millionen US-Dollar an fünf Anbieter vergeben, mit denen eine Leistungsdemonstration der Systeme für die U.S. Army durchgeführt werden soll.

Bei den ausgewählten Unternehmen handelt es sich um die US-Rheinmetall-Tochter American Rheinmetall Vehicles, die schwedische BAE Bofors, die US-Tochter der südkoreanischen Hanwha Defense, General Dynamics Land Systems und die US-Tochter des israelischen Rüstungskonzerns Elbit Systems.

Die Army beabsichtigt eigenen Angaben zufolge, alle Leistungsdemonstrationen der Anbieter bis Ende 2024 abzuschließen, um festzustellen, ob es einsatzfähige Lösungen gibt, die in eine anschließende wettbewerbsorientierte Evaluierung einfließen und zu einem künftigen Produktionsvertrag führen können. Unterschiedlichen US-Fachmedien zufolge wird eine Vertragsvergabe für 2027 in Aussicht gestellt, wenn die Leistungsdemonstrationen mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen werden.

Den Berichten zufolge werden Vertreter der U.S. Army in den kommenden Monaten die einzelnen Hersteller besuchen und sich die Systeme vorführen lassen. Angeschaut werden offenbar folgende Systeme:

Eine Übersicht der Artilleriesysteme, die die U.S. Army bis Ende 2024 genauer betrachten wird. (Bilder: U.S. National Guard, Elbit, GDELS, MoD Poland und KNDS Deutschland)

Kampfwertsteigerung der M109

Weiterhin wird in einem alternativen Entwicklungsstrang geprüft, inwieweit eingeführte Haubitzen vom Typ M109A7 in die Lage versetzt werden könnten, Ziele in größerer Entfernung zu bekämpfen. So erklärte Douglas Bush Unterabteilungsleiter für Beschaffung, Logistik und Technologie der U.S. Army im Rahmen der kürzlich beendeten Jahrestagung und Ausstellung der Association of the United States Army (AUSA) in Washington, D.C., gegenüber dem US-Fachmedium „Defense News“, dass „die Plattform aufrüstbar sei, möglicherweise mit einer 52-Kaliber-Kanone, die weiter schießen kann“.

Die Rüstungskonzerne Rheinmetall und BAE Systems haben bereits erfolgreiche Schussversuche mit einer kampfwertgesteigerten Panzerhaubitze des Typs M109 durchgeführt. (Bild: BAE Systems)

Hier handelt es sich offenbar um einen Vorschlag, den BAE Systems und Rheinmetall bereits 2023 als eine Option der M109A7-Kampfwertsteigerung vorgeschlagen hatten. Die beiden Unternehmen verkündeten bereits im Oktober 2023 erfolgreiche Schussversuche einer kampfwertgesteigerten Panzerhaubitze des Typs M109. Wie aus einer am 10. Oktober 2023 von Rheinmetall veröffentlichten Mitteilung hervorgeht, wurde die M109A7 mit einem 52-Kaliberlängen-Rohr (L52) von Rheinmetall, wie es beispielsweise in der Panzerhaubitze 2000 genutzt wird, ausgerüstet. Im Rahmen, der in den USA durchgeführten Tests konnte die Kompatibilität der deutschen Kanone mit der US-Haubitze vom Typ M109A7, der aktuellen Standardhaubitze der U.S. Army, nachgewiesen werden. Mit der Kombination aus deutschem Rohr und US-Haubitze zielten die beiden Konzerne offenbar darauf ab, der U.S. Army eine risikoarme und vergleichsweise schnell umsetzbare Kampfwertsteigerung der Rohrartillerie des US-Heeres zu offerieren. „Durch die Kombination zweier ausgereifter Systeme vermeiden Rheinmetall und BAE Systems viele der technischen Risiken, die mit ähnlichen Bemühungen zur Verbesserung der Wirkung verbunden sind“, hieß es in der damaligen Mitteilung.

US-Fachmedien zitieren im Rahmen der AUSA 2024 einen Vertreter einer US-Rheinmetalltochter, wonach das kampfwertgesteigerte System im November 2024 der U.S. Army im scharfen Schuss vorgeführt werden soll.

Munition

Der zweite Entwicklungsstrang des Army-Reichweitensteigerungsprogramms für die Rohrartillerie befasst sich mit der Munition. Ein Bestandteil davon ist die Entwicklung einer sogenannten Supercharge-Treibladung, welche ebenfalls mithilfe einer Rheinmetall-Technologie entwickelt werden könnte.

So hatte die U.S. Army bereits im März 2021 im Rahmen dieser Bemühungen eine Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung (Cooperative Research and Development Agreement, CRADA) mit Rheinmetall unterzeichnet. American Rheinmetall Munitions, eine US-amerikanische Tochtergesellschaft von Rheinmetall mit Sitz in Stafford, Virginia, wird dieses CRADA-Projekt mit ihrer lokalen Expertise unterstützen.

Ein CRADA ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen Parteien zur Zusammenarbeit in Forschung und/oder Entwicklung. Solche Vereinbarungen umreißen typischerweise das Personal, die Einrichtungen, die Ausrüstung oder andere Ressourcen zur Durchführung bestimmter Arbeiten, die mit dem Auftrag einer Behörde übereinstimmen. Die Vereinbarungen schützen auch das geistige Eigentum jeder Partei.

Das Ziel dieser Entwicklungszusammenarbeit ist es, die Innenballistik und die daraus resultierende Reichweitenleistung der Rheinmetall Nitrochemie 19L Extended Range Top Charge (ERTC) und der 23L ERTC zu evaluieren, wenn sie von einem US-Waffensystem mit US-Geschossen abgefeuert werden, mit dem Ziel, die bestehenden Reichweitenanforderungen zu erreichen oder zu übertreffen. Auch ein potenzieller Beitrag für ERCA soll untersucht werden.

Die primäre Intention von ERCA ist die Entwicklung eines Haubitzensystems mit einer Reichweite jenseits der 70 Kilometer. Dies soll durch eine Kombination eines 58 Kaliber langen Rohres (XM1299A0), einer Supercharge-Treibladung und des mittels Raketenmotor unterstützten Sprenggeschosses XM1113 erreicht werden. Die sekundäre Intention ist eine Reichweitensteigerung der derzeitigen 39-Kaliberlängen-Artilleriesysteme der U.S. Army. Die im ERCA- Projekt gewonnenen Erfahrungen werden daraufhin untersucht, in wie weit sie dazu verwendet werden können, sowohl die derzeitigen in Nutzung befindlichen Versionen der M109 Panzerhaubitze als auch die gezogenen M777- Artilleriegeschütze zu verbessern.

Rheinmetall hatte bereits im November 2019 erfolgreich demonstrieren können, dass die hauseigenen Treibladungen in der Lage sind, Reichweitenvorteile bei bestehenden Systemen zu erzielen. Während den Schussdemonstrationen wurden Reichweiten von fast 67 Kilometern erzielt. Die Schüsse erfolgten aus einer 52-Kaliberlängen-Waffenanlage von Rheinmetall sowie der konzerneigenen M2005 V-LAP Munition. V-LAP steht für Velocity Enhanced Long Range Artillery Projectile, dahinter verbirgt sich ein mittels Basebleed und Raketenmotor geschwindigkeitsgesteigertes Artilleriegeschoss.

Der andere Bestandteil der munitionsbedingten Reichweitensteigerung fußt auf der Einführung von raketengetriebenen Artilleriegeschossen. Zwei Anbieter konkurrieren derzeit um dieses Vorhaben. Auf der einen Seite ein Konsortium bestehend aus Boeing und Nammo und auf der anderen Seite BAE Systems. Beide Ansätze verfolgen das Ziel, eine Artilleriegranate mit einem Staustrahltriebwerk (englisch Ramjet) zu entwickeln. Testversuche der letzten beiden Jahre haben ergeben, dass sich damit Reichweiten jenseits der 100 km erzielen lassen. Gleichwohl hat diese Technologie ihren Preis, der noch nicht final bestimmbar ist. Neben den deutlich höheren Herstellungskosten muss ein großer Teil des in der Granate zur Verfügung stehenden „Bauraumes“ für den Ramjet-Antrieb herhalten, daher wir die Explosionswirkung der Geschosse und damit auch die potenzielle Wirkung im Ziel signifikant geringer ausfallen.

Panzerabwehr

Neben der Reichweitensteigerung arbeitet die Army auch daran, die Panzerabwehrfähigkeit der eigenen Rohrartilleriesysteme zu verbessern. Im Mittelpunkt dieser Bemühung steht die Entwicklung einer als C-DAEM Armor (XM1180) bezeichneten Granate. Die Abkürzung C-DAEM Armor steht für Cannon Delivered Area Effects Munition Armor. Das XM1180-Geschoss bietet der Army zufolge eine hohe Reichweite und kann zudem gegen sich bewegende Fahrzeuge wirken. Bei dem XM1180 handelt es sich um ein gelenktes Artilleriegeschoss im Kaliber 155 mm, das die Fähigkeit zur Bekämpfung von Panzern über ein breites Reichweitenband ermöglichen soll. Die Entwicklung der Panzerabwehrgranate (C-DAEM Armor Increment 1) begann 2018, im März 2024 erfolgten die ersten Schießversuche. Die Granate soll der Army zufolge ein Technology Readiness Level von 6 haben.

Genaue Details zu der Munition liegen derzeit noch nicht vor. Das XM1180-Geschoss verfügt über einen neuentwickelten panzerbrechenden Gefechtskopf, welcher nach dem Hohlladungsgefechtskopfprinzip wirkt. Die Reichweite soll bei etwa 60 Kilometern liegen.

Als Steuerung nutzt das derzeitige Design der XM1180 das bestehende GPS-gestützte Trägheitsnavigationssystem der präzisionsgelenkten 155-mm-Granate M982 Excalibur. Dieses wird ergänzt um einen neuen, nicht näher spezifizierten Allwetter-Suchkopf, der die Zielsuche und Steuerung der Granate in der Endphase des Fluges übernimmt. Da die GPS-Steuerung besonders anfällig für Maßnahmen des elektronischen Kampfes ist, wie der Ukraine-Krieg zeigt, bestehen US-Fachmedienberichten zufolge Pläne, die Granate mit einer weniger störanfälligen Steuerung auszustatten.

Neben der Härtung der Steuerung gegen Störmaßnahmen des elektronischen Kampfes plant das US-Heer einem Bericht des US-Onlinefachportals „The War Zone“ zufolge die zukünftige Panzerabwehrartilleriegranate zum kollaborativen Kampf zu befähigen. Die Granaten sollen dafür im Flug Daten untereinander sowie mit anderen Sensoren austauschen können, um so zu verhindern, dass mehrere Granaten dasselbe Ziel angreifen oder Ziele außerhalb der eigenen Suchradien anfliegen. Diese Fähigkeit soll aber erst langfristig realisiert werden.

Raketenartillerie

Neben der Leistungssteigerung im Bereich der Rohrartillerie unternimmt die U.S. Army seit geraumer Zeit bedeutende Anstrengungen, um auch die Fähigkeiten der eigenen Raketenartillerie zu steigern und teilweise sogar auszubauen.

Neben der Reichweitensteigerung der „klassischen“ Raketenartillerie durch neue Raketen vom Typ „Extended Range Guided Multiple Launch Rocket System“ (GMLRS-ER) und Precision Strike Missile (PrSM) werden auch neue Fähigkeiten im Reichweitenband von Mittel- und Langstreckenwaffen aufgebaut.

GMLRS-ER

Bei den Artillerieraketen vom Typ Extended Range Guided Multiple Launch Rocket System (ER GMLRS oder je nach Schreibweise auch GMLRS-ER), handelt es sich um reichweitengesteigerte Varianten der GMLRS-Raketen, wie sie beispielsweise auch in der Bundeswehr genutzt werden. Die GMLRS-ER-Raketen befinden sich derzeit in der Einsatzerprobung der U.S. Army. Hersteller der Raketen ist Lockheed Martin.

Äußerlich markantester Unterschied der ER-GMRLS-Raketen gegenüber der GMLRS ist die Verschiebung der als aerodynamische Steuerflächen wirkenden Flossen von der Spitze ans Heck der Rakete. (Bild: Lockheed Martin)

Im Vergleich zur GMLRS konnte die maximale Reichweite mittels eines leicht vergrößerten Raketenmotors, der Nutzung einer neu entwickelten Raketenform sowie der Verschiebung der als aerodynamische Steuerflächen wirkenden Flossen von der Spitze ans Heck der Rakete von 84 auf 150 Kilometer gesteigert werden. Genauso wie die GMLRS-Rakete wird auch die GMLRS ER in zwei unterschiedlichen Varianten – mit einem Unitary bzw. Alternative Warhead – produziert. Die Zielführung der Raketen erfolgt mittels GPS/Trägheitsnavigation. Bei der Unitary-Rakete handelt es sich um einen Präzisionseffektor zur Bekämpfung von Punktzielen. Die Unitary wirkt durch Explosionen und Sprengwirkung. Die Alternative-Warhead-Variante hingegen ist eine Rakete mit einem vorfragmentierten Gefechtskopf (Wolframfragmente) zur Bekämpfung von Flächenzielen.

Precision Strike Missile

Die Precision Strike Missile ist ein zukünftiges Wirkmittel der US-Raketenartillerieverbände. Hersteller ist ebenfalls der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin. Die Rakete soll die MGM-140 Army Tactical Missile System (ATACMS) ersetzen und eine wichtige Rolle in der zukünftigen Deep-Strike-Fähigkeit der U.S. Army einnehmen. Bei einer Länge von 4 m hat die PrSM mit einem Durchmesser von 430 mm nur etwa die Hälfte des Durchmessers einer ATACMS-Rakete, sodass ein HIMARS oder MLRS-Trägerfahrzeug die doppelte Anzahl an Flugkörpern mitführen kann. Sie soll nach Erreichen der Anfangsbefähigung vornehmlich gegen statische Landziele – etwa feindliche Truppenkonzentrationen, Flugfelder und logistische Einrichtungen – eingesetzt werden.

Komponentenaufbau einer Precision Strike Missile. (Bild: Lockheed Martin)

Die U.S. Army hat Ende 2023 die ersten PrSM (Increment 1) erhalten. Öffentlich zugänglichen Informationen zufolge (Haushaltsvorschlag der US-Regierung für das Fiskaljahr 2025) haben die US-Streitkräfte im Haushaltsjahr 2023 insgesamt 42 PrSM (Increment 1) für den Preis von 162,9 Millionen US-Dollar beschafft. 2024 will man 110 weitere Increment-1-Raketen für insgesamt 384,1 Millionen US-Dollar kaufen. Im Folgejahr wurde ein Budget in Höhe von 492,6 Millionen US-Dollar für 230 Raketen, ebenfalls Increment 1, beantragt.

Parallel soll die Waffe in mehreren Schritten – sogenannten Increments – weiterentwickelt werden. Sowohl der Suchkopf, die Wirkleistung als auch Reichweite sollen dabei sukzessive verbessert werden. Daneben soll die PrSM neben der Bekämpfung von statischen Bodenzielen auch zur Bekämpfung von beweglichen Zielen wie beispielsweise Schiffen befähigt werden.

  • Die Raketen des Increment 1 verfügen über eine Trägheitsnavigation sowie ein gegen Störmaßnahmen gehärtetes GPS-Navigationssystem. Die Reichweite soll dem Vernehmen nach bei rund 60 bis 500 Kilometern liegen. Die ballistisch wirkende Rakete soll in der Lage sein, im Zielanflug Hyperschallgeschwindigkeiten zu erreichen.
  • Im Zuge des Increment 2 planen die US-Streitkräfte die PrSM mit einem mit einem passiven RF-Zielsucher sowie Infrarotzielsucher auszustatten. Dieses Multimodus-Zielsuchsystem würde die US-Raketenartillerie zur Bekämpfung feindlicher Radarstellungen sowie Schiffe befähigen. Zudem soll US-Medienberichten zufolge die Reichweite auf bis zu 1.000 km gesteigert werden.
  • Die Weiterentwicklung im Rahmen von Increment 3 fokussiert sich auf die Nutzlast der Rakete. Es wird erwartet, dass Raketen dieses Typs sowohl panzerbrechende Submunition sowie Loitering Munition verschießen werden. Im Gespräch ist offenbar auch ein speziell für die Bekämpfung von gehärteten Strukturen optimierter Gefechtskopf.
  • Increment 4 soll sich hingegen mit der Steigerung der Reichweite der PrSM jenseits der 1.000 km beschäftigen, welche ohne nennenswerte Eingriffe in die äußeren Ausmaße der Precision Strike Missile erreicht werden soll. Ein Entwicklungsauftrag für die dafür notwendige Antriebstechnologie wurde von der U.S. Army im März 2023 im Rahmen des Forschungsprogramms Long Range Maneuverable Fires an zwei unterschiedliche Parteien vergeben. Neben Lockheed Martin wurde auch ein Konsortium, bestehend aus Raytheon und Northrop Grumman, mit der Entwicklung beauftragt.

Mittel- und Langstrecke

Neben den klassischen Raketenartillerieverbänden der Divisions- und Korpsartillerie hat die U.S. Army vor rund einem halben Jahrzehnt beschlossen, sogenannte Multi-Domain Task Forces (MDTF) aufzustellen. Auftrag der MDTF, als Instrument des im englischen Sprachgebrauch genutzten „Theater Command“, ist es Effekte – über das komplette Spektrum hinweg – oberhalb der Korpsebene zu erzielen. Diese MDTF, von denen es fünf an der Zahl geben und eines davon in Deutschland stationiert werden soll, werden dafür mit unterschiedlichen Wirksystemen, darunter auch Artillerie, ausgestattet. Neben der „klassischen“ Raketenartillerie werden die MDTF auch über bodengestützte Mittel- und Langstrecken-Wirkmittel verfügen, welche in jeweils einem sogenannten Long-Range Fires Battailon gebündelt sind.

Die Wirkmittel dieses „Mittel- und Langstrecken-Artillerieverbandes“ bestehen aus landgestützten Standard Missile 6 (SM-6) und Marschflugkörpern des Typs Tomahawk sowie einer noch in Entwicklung befindlichen Hyperschall-Rakete des Typs Dark Eagle.

Die Waffensysteme Tomahawk und SM-6 werden in einer sogenannten Mid-Range Capability Battery eingesetzt. Beide Waffensysteme wurden bislang von der U.S. Navy schiffsgestützt genutzt. Um sie für den Boden-Boden-Einsatz zu ertüchtigen, wird der von Lockheed Martin mit der Bezeichnung MK 70 Mod 1 entwickelte Missile Launcher verwendet. Er enthält in einem 40-Fuß-Container vier der Zellen des auf Schiffen eingesetzten Mk 41 Vertical Launch System in der größten Variante, der Strike-Version. Der Mk 41 wurde ebenfalls von Lockheed Martin entwickelt. Eine Mid-Range Capability Battery könnte aus vier Launchern und einem Operations Center bestehen. Das gesamte System wird als „Typhon“ bezeichnet.

Zusammensetzung einer Typhon Feuereinheit der U.S. Army. (Bild: U.S. Army)

Die erste Mid-Range Capability Battery wurde im Januar 2024 als Bestandteil der 1st Multi-Domain Task Force aufgestellt. Der regionale Einsatzfokus dieses Verbandes liegt auf dem Indo-Pazifik. Die Army kündigte im Rahmen der Berichterstattung zur Aufstellung der Batterie an, dass die Einheit 2024 mehre Übungen durchlaufen soll, um praktische Erfahrungen bei der Weiterentwicklung dieser Fähigkeit sammeln zu können. Wie „The War Zone“ mit Verweis auf ein mit Vertretern der U.S. Army besetztes Diskussionspanel auf der AUSA 2024 berichtet, wurden bereits erste Erfahrungen gesammelt und ausgewertet. Dies führt dazu, dass die Army sich derzeit der Fragestellung ausgesetzt sieht, wie das Typhon-Waffensystem kleiner, mobiler und agiler ausgestaltet werden könnte. Die genauen Gründe für den Bedarf der „Miniaturisierung“ des Typhon gehen aus der Berichterstattung jedoch nicht hervor. Es ist jedoch naheliegend, dass ein kleineres System – das jetzige System besteht de facto aus mindestens fünf LKW-Gespannen mit Großraumanhängern, die nur mittels C-17 per Lufttransport verlegt werden können – unter Umständen einfach zu verlegen – auch im Straßentransport.

SM-6

Bei der SM-6 handelt es sich um eine relativ neue von Raytheon hergestellte Boden-Luft-Rakete großer Reichweite für die Navy, mit der Flugzeuge, Marschflugkörper bis hin zu ballistischen Raketen in ihrem Endanflug bekämpft werden können. Der neuesten Variante der SM-6 werden überdies Fähigkeiten bei der Abwehr von Hyperschallflugkörpern zugeschrieben. Die Waffe kann in Kooperation mit anderen Aufklärungsflugzeugen auch „Over the Horizon“, also außerhalb des Radarhorizonts von Schiffen, eingesetzt werden. Entsprechende Versuche sind dokumentiert. Wie die SM-6 von der Army geführt werden soll, geht aus dem Statement des Weißen Hauses allerdings nicht hervor. In der Navy wird dazu typischerweise ein AEGIS-Radar im S-Band genutzt. Im Endanflug kann die SM-6 ihren eigenen Radarsuchkopf verwenden.

Bei Bedarf kann die Rakete auch gegen Schiffe eingesetzt werden, wobei die Wirkung wegen des im Vergleich zu klassischen Seezielflugkörpern kleineren Gefechtskopfes begrenzter sein dürfte. Offenbar will das US-Heer die SM-6 im Rahmen der Long Fires in ihrer Zweitrolle als Flugkörper gegen Landziele einsetzen. Welche Gründe dafürsprechen, wurde bisher nicht kommuniziert.

Tomahawk

Bei der Tomahawk handelt es sich um einen seit Jahrzenten im Einsatz befindlichen und ständig weiterentwickelten großen Unterschall-Marschflugkörper, der eine Reichweite von über 1.000 Kilometer aufweist und von der Navy in der Vergangenheit in vielen Konflikten gegen Landziele eingesetzt wurde.

Der von Lockheed Martin entwickelte MK 70 Mod 1 Missile Launcher des Typhon kann sowohl die SM-6 als auch die Tomahawk landgestützt abfeuern. (Bild: U.S. Army)

Die U.S. Army hat sich offenbar für die Umnutzung dieser Standard-Waffen der Marine für den Boden-Boden-Einsatz entschieden, um Kosten und Risiken bei der Einführung von Long Range Fires zu reduzieren.

Dark Eagle

Die modernste Waffe im Arsenal der Multi-Domain Task Force stellt die Long-Range Hypersonic Weapon (LRWH) mit dem Namen Dark Eagle von Lockheed Martin und Northrop Grumman da, die sich allerdings noch in der Entwicklung befindet. Laut einem Bericht des Congressional Research Service soll die Reichweite der Dark Eagle bei mehr als 2.500 Kilometern liegen.

Bei der Dark Eagle Hyperschallwaffe handelt es sich nach Angaben der U.S. Army um eine neue Fähigkeit, die eine einzigartige Kombination aus Geschwindigkeit, Manövrierfähigkeit und Flughöhe bietet, um zeitkritische, schwer verteidigte und hochwertige Ziele zu bekämpfen. (Bild: U.S. Army)

An der Boden-Boden-Hyperschallwaffe mit einer Geschwindigkeit von über Mach 5 arbeiten die Navy und Army gemeinsam. Allerdings hat sich das Programm in den vergangenen Jahren aufgrund von Problemen bei den Tests verzögert. Zuletzt wurde am 28. Juni ein erfolgreicher Flugtestet auf Hawai absolviert. Die Kosten für eine Dark Eagle Hyperschallwaffe werden auf rund 40 Millionen US-Dollar kalkuliert.

Waldemar Geiger und Lars Hoffmann