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AGM auf Piranha HMC – KNDS Deutschland und GDELS zeigen erstmals 10×10-Radhaubitze

Waldemar Geiger

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KNDS Deutschland und General Dynamics European Land Systems (GDELS) stellen auf der diesjährigen Future Artillery Conference in Paris erstmals öffentliche eine gemeinsam entwickelte 10×10-Radhaubitzenlösung vor. Dies geht aus einer heute veröffentlichten Pressemitteilung der beiden Unternehmen hervor. Zudem wurden neue Systemdetails der Radhaubitze bekanntgegeben.

Die Systemlösung basiert auf einer Kombination der erst jüngst vorgestellten 10×10-Plattform von GDELS vom Typ Piranha „Heavy Mission Carrier“ (HMC) und dem vollautomatisierten, unbemannten 155-mm-Geschützmodul „Artillery Gun Module“ (AGM) von KNDS Deutschland; hartpunkt berichtete bereits am 15. April ausführlich über das neue Waffensystem.

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„Bei einem zulässigen Gesamtgewicht von 40t und einem dank der Vier-Achs-Lenkung erzielten Wendekreis von weniger als 18m, vereint AGM auf Piranha HMC überragende taktische Mobilität mit überlegener, artilleristischer Feuerkraft“, schreiben die Unternehmen in der Mitteilung. Die Nutzung der 10×10-Plattform soll Insidern zufolge mehrere Mobilitätsvorteile bieten. Mit gerade mal 9,11 m Länge ist das HMC-Fahrmodul nur 1,18 m länger als das Boxer-Fahrmodul (7,93 m), bietet jedoch einen um 3 m geringeren Wendekreis.

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Zudem wirkt sich die zusätzliche Achse positiv auf die Grabenüberschreitfähigkeit des Fahrzeuges aus. Auch die insgesamt geringere Achslast kombiniert mit den 10 angetriebenen Rädern dürften Vorteile bei Fahrten im schweren Gelände bieten.

 Piranha IV 8×8Piranha V 8×8Boxer 8×8Piranha HMC 10×10
Länge7,24 m8,00 m7,93 m9,11 m
Breite2,80 m2,99 m2,99 m2,84 m
Höhe2,20 m2,34 m2,38 m2,39 m
max. Gewicht30 t33 t36,5 – 38,5 t40 t

Wie in dem angesprochenen hartpunkt-Bericht vermutet, kann das System – genauso wie die RCH 155 (AGM auf Boxer) – mit einer zweiköpfigen Besatzung uneingeschränkt betrieben werden. „Entscheidender Faktor für die Reduktion der Arbeitsbelastung für die Besatzung ist der konsequente Einsatz von systemgestützter Intelligenz in Verbindung mit Robotik“, heißt es in der Mitteilung. Es wird jedoch darauf verwiesen, dass das Fahrzeug ausreichend Platz für ein weiteres optionales Besatzungsmitglied (2+1) oder zusätzlichen Stauraum bietet.

Der Wirkbereich beträgt wie bei der RCH 155 360 Grad. Analog zur RCH 155 kann auch die 10×10-Radhaubitze in der Bewegung feuern, so dass keine mechanische Abstützung bei Schussabgabe – im Vergleich zu konventionellen Radhaubitzen – erforderlich ist. „Die besondere „Shoot & Scoot“, sowie MRSI-Fähigkeit (Multiple Rounds Simultaneous Impact) sowie das indirekte wie auch direkte Richten gegen bewegliche Land- und Seeziele unterstreichen die überragenden artilleristischen Fähigkeiten des Systems“, wird die Leistungsfähigkeit von KNDS und GDELS angepriesen.

Beide Unternehmen heben zudem die langjährige Zusammenarbeit auf diesem Feld hervor, die bereits mit dem Artilleriesystem DONAR auf dem Kettenfahrzeug der GDELS Schützenpanzer-Familie ASCOD begonnen hat. Das auf der Vorgängerversion des AGM basierende System wurde 2008 vorgestellt. Der maßgebliche optische Unterschied der aktuellen AGM-Version ist ein deutlich niedrigerer Waffenturm. Die niedrigere Silhouette ermöglicht einen einfacheren Bahntransport. Darüber hinaus ist auch eine Lufttransportfähigkeit im A400M – zumindest bei der Boxervariante – gegeben, dazu muss das Geschütz- / Missionsmodul, wie bei den anderen Boxerversionen auch, separat vom Fahrzeugmodul transportiert werden.

Auch wenn in der Mitteilung auf den ausschlaggebenden Grund der jüngsten Entwicklungszusammenarbeit nicht eingegangen wird, gilt es mittlerweile als gesichert, dass die 10×10-Radhaubitze als heißer Kandidat für die zukünftige Radhaubitze der Schweizer Armee gehandelt wird. So ist im Netz bereits Anfang März ein Bild aufgetaucht, das das System in einer Schweizer Berglandschaft zeigt. Kurze Zeit später folgte dann eine Ablichtung der 10×10-Radhaubitze auf einem Parkplatz einer Schweizer Garnison in Thun.

Die Schweiz beabsichtigt im Rahmen des Projekts „Artillerie Wirkplattform und Wirkmittel 2026“, ein zukünftiges Rohrartilleriesystem zu beschaffen, um die seit Jahrzehnten in Nutzung befindlichen Panzerhaubitzen vom Typ M109 KAWEST abzulösen. Das neue System soll in der Lage sein, eine indirekte Feuerunterstützung auf Distanzen von bis zu 50 Kilometern sicherzustellen.

Die Schweizer Rüstungsbehörde armasuisse hat in diesem Zusammenhang Anfang August 2023 eine Shortlist von zwei verbliebenen Kandidaten veröffentlicht, die die M109 als Nachfolger ablösen könnten. Betrachtet werden das Artilleriesystem Archer auf Basis eines 8×8-Lkw-Fahrgestells (der normale Archer ist auf einem 6×6-Fahrgestell monitert) von BAE Systems Bofors AB aus Schweden sowie das Artillery Gun Module (AGM) von KNDS Deutschland, ehemals Krauss-Maffei Wegmann. Interessanterweise schrieb die armasuisse, dass das AGM mit „zwei möglichen Trägerplattformen (Boxer 8×8 / Piranha 8×8)“ evaluiert wird.

Die Präsentation der 10×10-Radhaubitze vor einem internationalen Fachpublikum auf der Future Artillery Conference in Paris kann zudem dahingehend gedeutet werden, dass GDELS und KNDS weiteres Marktpotenzial für die gemeinsame Systemlösung sehen. (Bild: GDELS)

Die Präsentation der 10×10-Radhaubitze vor einem internationalen Fachpublikum auf der Future Artillery Conference in Paris kann zudem dahingehend gedeutet werden, dass GDELS und KNDS weiteres Marktpotenzial für die gemeinsame Systemlösung sehen. Neben der Schweiz zählen unter anderem Dänemark, Rumänien und Spanien zu den Nationen, die die Piranha-Plattformfamilie in größerer Stückzahl eingeführt haben. Aber auch die US-Stryker sowie die kanadischen LAV sind auf Basis der Piranha-Fahrzeugfamilie entwickelte Radpanzerplattformen.

Piranha HMC

Bereits im April hat GDELS gegenüber hartpunkt bestätigt, dass die Entwicklung der „Heavy Mission Carrier“-Variante auf Basis der Piranha-IV-Plattform erfolgt ist. Die Piranha-IV-Plattform ist eine Eigenentwicklung der Schweizer Mowag GmbH, welche 2004 vom US-Rüstungskonzern General Dynamics übernommen und in die GDELS eingegliedert wurde. Der Prototyp wurde 2001 erstmals öffentlich vorgestellt, die Serienfertigung begann rund 20 Jahre später. Seit 2024 befindet sich das Fahrzeug in der Nutzung der Schweizer Armee, welche GDELS mit der Herstellung und Lieferung von 132 Piranha IV, 48 in der Variante Mörserträger sowie 84 in der Variante Pionierpanzer, beauftragt hat.

Das zulässige Gesamtgewicht der 10×10-HMC-Plattform beträgt bis zu 40 t, 17 t davon stehen als Nutzlast zur Verfügung. Alle zehn Räder verfügen über einen Antrieb, die Achsen eins, zwei, vier und fünf sind gelenkt. Für GDELS ist die Konstruktion und Produktion einer 10×10-Radpanzerplattform kein Novum, da die Piranha-Fahrzeugfamilie sehr modular ausgelegt ist. So hat der Hersteller in den Vorgängergenerationen des Piranha Gefechtsfahrzeuge in 4×4-, 6×6-, 8×8- sowie 10×10-Ausführungen hergestellt. So wurde beispielsweise eine 10×10-Variante des Piranha IIIC in geringen Stückzahlen für die schwedischen Streitkräfte hergestellt, die die Plattform für einen Gefechtsstandpanzer sowie einen Radarträger ausgewählt haben.

Artillery Gun Module

Das Artillery Gun Module ist ein in Serienproduktion befindlicher, vollautomatischer Geschützturm mit einer aus der Panzerhaubitze 2000 bekannten 155 mm/L52-Waffenanlage von Rheinmetall. Deutschland hat im Rahmen der militärischen Unterstützungsleistung der Ukraine KNDS mit der Herstellung und Lieferung von 36 RCH-155-Radhaubitzen (AGM auf Boxer) beauftragt. Zudem haben Deutschland und Großbritannien vor Kurzem eine Absichtserklärung über die gemeinsame Zusammenarbeit bei der Entwicklung der RCH 155 beschlossen. Details der Zusammenarbeit wurden jedoch nicht bekanntgegeben. Die Bundeswehr plant über 160 dieser Radhaubitzen zu beschaffen, die Einleitung der Beschaffung wird gut informierten Kreisen zufolge noch in diesem Jahr erwartet.

Das Geschützmodul wurde von KNDS plattformunabhängig konzipiert. Vorausgesetzt, dass die geforderten Ansprüche des Geschützes in puncto Traglast und Stabilität erfüllt werden, kann das AGM theoretisch auf jede denkbare Plattform integriert werden. Gemäß den Aussagen des Herstellers treten beim AGM Rückstoßkräfte von bis zu 60 Tonnen (höchste Ladung) auf. Diese müssen durch die Plattform aufgenommen werden (auch während der Bewegung), ohne dass das Fahrgestell über Gebühr beansprucht wird oder die Präzision darunter leidet.

Vorgängerversionen des Systems wurden bereits vor über zehn Jahren, sowohl auf Basis eines Kettenfahrgestells als auch auf einem 8X8-Lkw-Fahrgestell von Iveco gezeigt. Das Grundkonzept des modernen Artilleriesystems hat KNDS bereits vor mehreren Jahren entwickelt und seitdem stetig weiter daran gearbeitet.

In der Radhaubitzenvariante, sowohl auf Basis des Boxers, als auch auf Basis des Piranha 10×10, ist das AGM so ausgelegt, dass sie im kompletten Wirk- und Richtbereich mit der höchsten Ladung uneingeschränkt schießen kann. Die Fähigkeit zum Feuern aus der Bewegung ist einzigartig auf der Welt und wurde von den KNDS-Ingenieuren aus der Funktionsweise von Stabilisierungsanlagen, wie sie in Kampf- und Schützenpanzern verwendet werden, abgeleitet. Dabei kalkuliert ein Rechner ständig die aktuelle Lage des Fahrzeuges und des Rohres. Weicht die Rohrrichtung vom errechneten Zielpunkt ab, wird nachgesteuert. Nur wenn die Waffe exakt auf das Ziel gerichtet ist, löst der Rechner den Schuss aus.

Die Besatzung ist dafür verantwortlich, dem System nur dann einen Feuerauftrag zu erteilen, wenn in unmittelbarer Nähe keine Hindernisse sind, die die Flugbahn der Granate behindern könnten. Dabei wird die Besatzung z.B. in der Variante der RCH 155 für die Ukraine durch das von Hensoldt entwickelte 360-Grand-Rundumsichtsystem Setas unterstützt. Setas ermöglicht der Besatzung eine effektive Nahfeldbeobachtung. Hindernisse, Bedrohungen und andere Gefahren können schnell erkannt und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Dies entlastet nicht nur die Besatzung, sondern trägt auch zu deren Überlebensfähigkeit in Duellsituationen bei.

Die Feuergeschwindigkeit des AGM beträgt mehr als acht Schuss pro Minute. In das AGM wurde ein vollautomatisches Ladesystem für Geschosse und modulare Treibladungen integriert. Die Zünder werden im Ladevorgang induktiv programmiert, die Waffenanlage elektrisch gerichtet. Die Kampfbeladung besteht aus maximal 30 bezünderten Geschossen und 144 modularen Treibladungen und damit rund 50 Prozent mehr, als es typische, auf Lkw basierte und im Einsatz befindliche Artilleriesysteme haben. Der Feuerkampf wird durch einen Feuerleitrechner mit integriertem Ballistikrechner und Datenfunk-Anbindung zu einem Artillerieführungssystem unterstützt, der auf eine hochgenaue Navigationsanlage, mit oder ohne GPS-Unterstützung, zurückgreift. Der Turm kann ohne Fahrzeugabstützung um 360 Grad gedreht werden. Die Elevation des Rohres von -2,5 bis 65 Grad erlaubt den Feuerkampf sowohl auf große Entfernung als auch im direkten Richten auf nahe Ziele.

Mit einer Waffenstation ausgerüstete AGM verfügen zudem über eine sogenannte Hunter-Killer-Fähigkeit. Diese dient der Selbstverteidigung. Sie ermöglicht es der Besatzung, in Duellsituationen parallel erkannte Ziele zu bekämpfen und weitere, das Fahrzeug bedrohende Ziele aufzuklären. Während das Fahrzeug automatisiert eine vorher aufgeklärte Bedrohung bekämpft, kann der Kommandant bereits weitere Gegner aufklären und die Bekämpfung einleiten. Es sei hier jedoch angemerkt, dass die auf dem Flyer abgebildete Piranha-Radhaubitze mit einer Waffenstation versehen ist, auf den jüngst veröffentlichten Bildern ist das Artilleriesystem hingegen ohne eine Waffenstation zu sehen.

Eine Radhaubitze auf Basis des AGM kommt aufgrund des hohen Automatisierungsgrades mit einer zweiköpfigen Besatzung, dem Kommandanten und dem Kraftfahrer/ Systembediener, aus. In der RCH-155-Variante mit Setas kann der Kommandant über die Optronik der integrierten fernbedienbaren Waffenstation und des Setas potenzielle Ziele und Gefahren im gesamten Sichtbereich aufklären und im Bedarfsfall eine Zielauffassung vornehmen. Ist ein potenzielles Ziel aufgeklärt, betätigt der Kommandant auf Knopfdruck den Einsatz der Artilleriekanone, der Rest erfolgt automatisiert. Das System richtet, lädt und feuert selbstständig. Wenn notwendig, kann der Kommandant in der Zwischenzeit mit der Waffenanlage der Waffenstation den Feuerkampf aufnehmen und das Ziel niederhalten, blenden oder weitere Ziele für Folgeschüsse aufklären.

Waldemar Geiger