Kräften der 3d Multi-Domain Task Force sowie des 181. Artillery Regiment der Tennessee National Guard ist es nach Angaben der U.S. Army gelungen, über die Distanz von mehreren hundert Meilen ein fahrendes Schiff mit Artillerieraketen zu versenken. Bei dem versenkten Schiff handelt es sich um die USS Cleveland, ein außer Dienst gestelltes amphibisches Dock-Landungsschiff der Austin-Klasse. Einer Mitteilung der U.S. Army zufolge erfolgte die Versenkung am 16. Juni im Rahmen der SINKEX „Valiant Shield 24“ – bei einer SINKEX handelt es sich um eine Übung im scharfen Schuss bei der ein ausrangiertes Schiff tatsächlich versenkt wird.
Wie die Army schreibt, kam bei der im Pazifik abgehaltenen Übung erstmalig der unbemannte Raketenwerfer vom Typ Autonomous Multi-Domain Launcher (AML) der Army zum Einsatz. Dem US-Heer zufolge wurden zwei Precision Strike Missiles (PrSM) auf das Ziel verschossen.
„Während des SINKEX war der AML in der Lage, ein bewegliches maritimes Ziel in Verbindung mit anderen gemeinsamen Mitteln zu bekämpfen. Der VS24 SINKEX ist der erste Einsatz des AML und der PrSM außerhalb der USA und ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung der Fähigkeiten des Heeres zum Einsatz von Langstreckenwaffen“, heißt es in der Mitteilung des US-Heeres. Der Prototyp des unbemannten AML ist der Army zufolge zu Konvoioperationen, autonomer Wegpunktnavigation, Teleoperation, Fernsteuerung des Werferturms und Feuerleitbetriebs in der Lage.
Wie die Übung Valiant Shield 24 erfolgreich gezeigt hat, sind mit der Precision Strike Missile ausgestattete Raketenartillerieverbände prinzipiell dazu in der Lage, Seeziele auf weite Entfernungen zu bekämpfen. Für die Artilleriekräfte der U.S. Army sowie des U.S. Marine Corps – die die PrSM ebenfalls erhalten sollen – stellt dies eine neue A2/AD-Fähigkeit (Anti-Access/Area Denial) an Land und See dar. In Kombination mit unbemannten Startern können sogar abgelegene Kleinstinseln – teilweise gänzlich ohne Besatzung – als potenzielle „Abschussrampen“ für die PrSM genutzt werden und so einem Gegner den Zugang zu weitläufigen Seegebieten gänzlich verwehren. Voraussetzung dafür ist auch eine entsprechende Aufklärungsfähigkeit.
Die Precision Strike Missile ist ein zukünftiges Wirkmittel der US-Raketenartillerieverbände. Hersteller ist der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin. Die Rakete soll die MGM-140 Army Tactical Missile System (ATACMS) ersetzen und eine wichtige Rolle in der zukünftigen Deep-Strike-Fähigkeit der U.S. Army einnehmen. Bei einer Länge von 4 m hat die PrSM mit einem Durchmesser von 430 mm nur etwa die Hälfte des Durchmessers einer ATACMS-Rakete, sodass ein HIMARS oder MLRS-Trägerfahrzeug die doppelte Anzahl an Flugkörpern mitführen kann. Sie soll nach Erreichen der Anfangsbefähigung vornehmlich gegen statische Landziele – etwa feindliche Truppenkonzentrationen, Flugfelder und logistische Einrichtungen – eingesetzt werden.
Die U.S. Army hat Ende 2023 die ersten PrSM (Increment 1) erhalten. Öffentlich zugänglichen Informationen zufolge (Haushaltsvorschlag der US-Regierung für das Fiskaljahr 2025) haben die US-Streitkräfte im Haushaltsjahr 2023 insgesamt 42 PrSM (Increment 1) für den Preis von 162,9 Millionen US-Dollar beschafft. 2024 will man 110 weitere Increment-1-Raketen für insgesamt 384,1 Millionen US-Dollar kaufen. Im Folgejahr wurde ein Budget in Höhe von 492,6 Millionen US-Dollar für 230 Raketen, ebenfalls Increment 1, beantragt.
Parallel soll die Waffe in mehreren Schritten – sogenannten Increments – weiterentwickelt werden. Sowohl der Suchkopf, die Wirkleistung als auch Reichweite sollen dabei sukzessive verbessert werden. Daneben soll die PrSM neben der Bekämpfung von statischen Bodenzielen auch zur Bekämpfung von beweglichen Zielen wie beispielsweise Schiffen befähigt werden.
- Die Raketen des Increment 1 verfügen über eine Trägheitsnavigation sowie ein gegen Störmaßnahmen gehärtetes GPS-Navigationssystem. Die Reichweite soll dem Vernehmen nach bei rund 60 bis 500 Kilometern liegen. Die ballistisch wirkende Rakete soll in der Lage sein, im Zielanflug Hyperschallgeschwindigkeiten zu erreichen.
- Im Zuge des Increment 2 planen die US-Streitkräfte die PrSM mit einem mit einem passiven RF-Zielsucher sowie Infrarotzielsucher auszustatten. Dieses Multimodus-Zielsuchsystem würde die US-Raketenartillerie zur Bekämpfung feindlicher Radarstellungen sowie Schiffen befähigen. Zudem soll US-Medienberichten zufolge die Reichweite auf bis zu 1.000 km gesteigert werden.
- Die Weiterentwicklung im Rahmen von Increment 3 fokussiert sich auf die Nutzlast der Rakete. Es wird erwartet, dass Raketen dieses Typs sowohl panzerbrechende Submunition sowie Loitering Munition verschießen werden können. Im Gespräch ist offenbar auch ein speziell für die Bekämpfung von gehärteten Strukturen optimierter Gefechtskopf.
- Increment 4 soll sich hingegen mit der Steigerung der Reichweite der PrSM jenseits der 1.000 km beschäftigen, welche ohne nennenswerte Eingriffe in die äußeren Ausmaße der Precision Strike Missile erreicht werden soll. Ein Entwicklungsauftrag für die dafür notwendige Antriebstechnologie wurde seitens der U.S. Army im März 2023 im Rahmen des Forschungsprogramms Long Range Maneuverable Fires an zwei unterschiedliche Parteien vergeben. Neben Lockheed Martin wurde auch ein Konsortium, bestehend aus Raytheon und Northrop Grumman, mit der Entwicklung beauftragt.
Waldemar Geiger