Die ersten Radhaubitzen vom Typ RCH 155 des Herstellers KNDS Deutschland sollen zur Jahreswende an die Ukraine übergeben werden. Dies gab Generalmajor Christian Freuding, Leiter des Planungs- und Führungsstabs des Bundesministers der Verteidigung sowie Leiter des Lagezentrum Ukraine im BMVg, in einer heute veröffentlichten Folge des Bundeswehr-YouTube-Formats „Nachgefragt“ bekannt.
Die Radhaubitzen werden im Rahmen eines militärischen Unterstützungspaketes der Bundesrepublik Deutschland an die Ukraine geliefert. Die Bundesregierung hatte Medienberichten zufolge bereits im Sommer 2022 der Produktion und Lieferung von 18 Artilleriesystemen RCH 155 an die Ukraine zugestimmt. Mitte Februar erfolgte dann die Zusage über die Lieferung von 18 weiteren Radhaubitzen vom Typ RCH 155, deren Lieferung für den Zeitraum Ende 2025 bis ins Jahr 2027 angekündigt wurde.
Abgeleitet von den vorherigen Lieferungen neuer Waffensysteme an die Ukraine, ist zu vermuten, dass ein Ausbildungszeitraum zwischen Produktion und Lieferung der Radhaubitzen eingeplant ist. Dies könnte auch die Erklärung dafür sein, dass die Lieferung der RCH 155 erst nach den deutlich später bestellten Panzerhaubitzen 2000 erfolgen wird, deren Lieferzeitpunkt nach Aussage von Freuding für 2024 terminiert ist.
Bei der RCH 155 handelt es sich um eine Radhaubitze auf Basis einer Boxer-8×8-Plattform. Kernbestandteil der RCH 155 ist das sogenannte Artillery Gun Module, welches ein in Serienproduktion befindlicher, vollautomatischer Geschützturm mit einer aus der Panzerhaubitze 2000 bekannten 155 mm/L52-Waffenanlage von Rheinmetall ist.
In der Radhaubitzenvariante ist das AGM so ausgelegt, dass es im kompletten Wirk- und Richtbereich mit der höchsten Ladung uneingeschränkt schießen kann. Die Fähigkeit zum Feuern aus der Bewegung ist einzigartig auf der Welt und wurde seitens der KNDS-Ingenieure aus der Funktionsweise von Stabilisierungsanlagen, wie sie in Kampf- und Schützenpanzern verwendet werden, abgeleitet. Dabei kalkuliert ein Rechner ständig die aktuelle Lage des Fahrzeuges und des Rohres. Weicht die Rohrrichtung vom errechneten Zielpunkt ab, wird nachgesteuert. Nur wenn die Waffe exakt auf das Ziel gerichtet ist, löst der Rechner den Schuss aus.
Die Besatzung ist dafür verantwortlich, dem System nur dann einen Feuerauftrag zu erteilen, wenn in unmittelbarer Nähe keine Hindernisse sind, die die Flugbahn der Granate behindern könnten. Dabei wird die Besatzung, z.B. in der Variante der RCH 155 für die Ukraine, durch das von Hensoldt entwickelte 360-Grand-Rundumsichtsystem Setas unterstützt. Setas ermöglicht der Besatzung eine effektive Nahfeldbeobachtung. Hindernisse, Bedrohungen und andere Gefahren können schnell erkannt und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Dies entlastet nicht nur die Besatzung, sondern trägt auch zu deren Überlebensfähigkeit in Duellsituationen bei.
Die Feuergeschwindigkeit des AGM beträgt mehr als acht Schuss pro Minute. In das AGM wurde ein vollautomatisches Ladesystem für Geschosse und modulare Treibladungen integriert. Die Zünder werden im Ladevorgang induktiv programmiert, die Waffenanlage elektrisch gerichtet. Die Kampfbeladung besteht aus maximal 30 bezünderten Geschossen und 144 modularen Treibladungen und damit rund 50 Prozent mehr, als es typische, auf LKW basierte und im Einsatz befindliche Artilleriesysteme haben. Der Feuerkampf wird durch einen Feuerleitrechner mit integriertem Ballistikrechner und Datenfunk-Anbindung zu einem Artillerieführungssystem unterstützt, der auf eine hochgenaue Navigationsanlage, mit oder ohne GPS-Unterstützung, zurückgreift. Der Turm kann ohne Fahrzeugabstützung um 360 Grad gedreht werden. Die Elevation des Rohres von -2,5 bis 65 Grad erlaubt den Feuerkampf sowohl auf große Entfernung als auch im direkten Richten auf nahe Ziele.
Mit einer Waffenstation ausgerüstete AGM verfügen zudem über eine sogenannte Hunter-Killer-Fähigkeit. Diese dient der Selbstverteidigung. Sie ermöglicht es der Besatzung, in Duellsituationen parallel erkannte Ziele zu bekämpfen und weitere, das Fahrzeug bedrohende Ziele aufzuklären. Während das Fahrzeug automatisiert eine vorher aufgeklärte Bedrohung bekämpft, kann der Kommandant bereits weitere Gegner aufklären und die Bekämpfung einleiten.
Waldemar Geiger