Eine von KNDS Deutschland durchgeführte Gefechtssimulation offenbart das Potenzial der zukünftigen Bundeswehr-Radhaubitze im Rahmen der Panzerabwehr. Das Planspiel zeigt laut KNDS einige überraschende Effekte der RCH 155 – die den Feuerkampf in der Fahrt führen kann – selbst im Vergleich mit modernsten Artilleriesystemen wie der Panzerhaubitze 2000: Die Radhaubitze konnte nicht nur mehr Ziele bekämpfen, sie hatte auch eine um 50 Prozent geringere Ausfallrate durch Feindeinwirkung.
Die Simulationsergebnisse wurden erstmalig im Rahmen des vom Förderkreis Deutsches Heer e.V. ausgerichteten Frühjahrsymposiums einem breiteren Publikum vorgestellt. Wie Till von Westerman, Senior Vice President Devision Combat Systems bei KNDS Deutschland, in einem Gespräch mit hartpunkt erläuterte, wollte man mit der Simulation Potenziale von Artilleriesystemen im Rahmen der Panzerabwehr aufzeigen.
Der Grundgedanke für die Gefechtssimulation basiert auf der Überlegung, dass zukünftig ein Schlagen feindlicher Panzer zweckmäßigerweise dann erfolgen soll, wenn diese Feindkräfte selbst noch gar nicht wirken können. Damit dies gelingt, muss sowohl eine Abstandsfähigkeit sowie eine hinreichende Präzision vorliegen. Ein erfolgreiches Schlagen des Feindes würde in diesem Zusammenhang einen Zustand beschreiben, indem der Feind mindestens 70 Prozent seiner Kräfte verloren hat, was von Westermans Ausführungen zufolge nach aktuellem Wissensstand ausschließlich in einem direkten Gefecht Kampftruppe gegen Kampftruppe erzielt werden kann. Die Simulation habe jedoch gezeigt, dass dies auch durch indirektes Feuer möglich sei.
Wie der KNDS-Manager weiter ausführte, „war der Kerngedanke, dass alle dafür notwendigen Fähigkeiten eigentlich auch heute bereits vorhanden sind“. Und so wollte man untersuchen, was passieren würde, wenn man die vorhandenen Mittel einfach nur anders einsetzt. Somit wurde die unternehmenseigene Simulationsabteilung beauftragt, einige spezielle Szenarien durchzuexerzieren, mit überraschenden Ergebnissen.
Von Westerman wies darauf hin, dass es sich um eine Gefechtssimulation mit einer internen Simulationssoftware handelt, die Ergebnisse aber so eindeutig seien, dass sie Anstoß für eine weitere Untersuchung mit einer „kalibrierten“ Simulationssoftware geben, wie Sie beispielsweise von Streitkräften genutzt wird. Für die erzielten Ergebnisse spricht auch, dass die RCH 155 im Rahmen des KNDS-Planspiels nicht gegen Wettbewerbssysteme antritt, sondern gegen die von KNDS hergestellte Panzerhaubitze 2000.
Szenario, Variationen und Ergebnisse der Simulation
Das Grundszenario der Simulation sieht einen verteidigenden Gefechtsverband blau – im Kern bestehend aus einem Panzerbataillon – vor, der von einem kräftemäßig dreifach überlegenen Feind (entspricht der gängigen Übungsgliederung rot) angegriffen wird. Als zusätzliche Vorgabe an die Simulation wurde vorgegeben, dass der eigene Gefechtsverband über eine zweite Artilleriebatterie verfügt sowie „viele billige Einwegaufklärungsdrohnen“. Die Simulationsdauer wurde auf 100 Minuten festgelegt und dem Feind vorgegeben, auch nach Auftreten von Ausfällen weiter am Angriff festzuhalten. Zudem erfolgt der in der Simulation vorgegebene Angriff über offenes Gelände.
Beide Artilleriebatterien wurden mit einer typischen Kampfbeladung – wie sie auch in der Bundeswehr üblich ist – aufmunitioniert. Somit verfügten die Haubitzen auch über ein gewisses Kontingent an SMArt-Munition (Suchzünder-Munition Artillerie). Während die erste Batterie den Auftrag hatte, den Kampf in der Tiefe (bspw. Niederhalten von anrückenden Kräften, Bekämpfung der feindlichen Artillerie) zu führen, sollte sich die zweite Batterie ausschließlich der Bekämpfung von mechanisierten Kräften mittels präzisem indirekten Feuer widmen. Die Aufklärung der Ziele erfolgte mittels einer Vielzahl von günstigen Kleinstdrohnen.
Als Variation wurde die zweite Batterie in einem Durchlauf mit Radhaubitzen RCH 155 und in einem weiteren Durchlauf mit Panzerhaubitzen 2000 ausgestattet. Zudem gab es Variation im Einsatz der RCH 155. Einerseits wurde die RCH 155 bei einem der Simulationsdurchläufe in klassischer „Shoot & Scoot“-Manier, genauso wie die Panzerhaubitze 2000, eingesetzt. Bei diesem Verfahren musste die RCH 155 für die Dauer des Feuerkampfes anhalten und diesen aus dem Stand führen. Weiterhin sah eine der Variationen vor, dass die RCH den mobilen Feuerkampf führt, wo die Radhaubitze selbst für die Dauer des Feuerkampfes nicht stehen bleibt. Die Fähigkeit zum Feuern in der Bewegung ist einzigartig auf der Welt und wurde von den KNDS-Ingenieuren aus der Funktionsweise von Stabilisierungsanlagen, wie sie in Kampf- und Schützenpanzern verwendet werden, abgeleitet. Dabei kalkuliert ein Rechner ständig die aktuelle Lage des Fahrzeuges und des Rohres. Weicht die Rohrrichtung vom errechneten Zielpunkt ab, wird nachgesteuert. Nur wenn die Waffe exakt auf das Ziel gerichtet ist, löst der Rechner den Schuss aus.
Die Ergebnisse waren bemerkenswert, wie von Westerman im Gespräch mit hartpunkt erläuterte. Seinen Ausführungen nach konnte die RCH 155 „so viel und früh schießen, dass aus Feindsicht dramatische Effekte aufgetreten sind“. Während es im Rahmen der klassischen „Shoot & Scoot“-Durchläufe zu Verlusten von rund zehn Radhaubitzen bzw. Panzerhaubitzen gekommen ist und etwa 31 feindliche Gefechtsfahrzeuge ausgeschaltet werden konnten, wurden bei dem „mobilen“ Einsatz durchschnittlich 35 Feindsysteme vernichtet, wobei nur 5,6 RCH 155 ausgefallen sind.
Der KNDS-Manager verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass die Simulation in der „mobilen“ Variante bereits nach 40 Minuten beendet war, weil dann alle Radhaubitzen den kompletten Munitionsbestand verschossen hatten. In einer Simulationsabwandlung, in der die gänzliche Kampfbeladung aus SMArt-Munition bestand, konnten im mobilen Einsatz 250 Prozent mehr Abschüsse erzielt werden, während es im klassischen Einsatz nur 30 Prozent waren.
Darüber hinaus wurde mit weiteren Parametern experimentiert und deren Auswirkungen auf das Ergebnis untersucht. So steigerte eine erhöhte Sensorreichweite der Drohnen die Effektivität der RCH 155 um etwa 10 Prozent. Ein erhöhter Lenkbereich der SMArt-Munition steigerte die Effektivität der mobil eingesetzten Radhaubitze ebenfalls um etwa 10 bis 20 Prozent.
Nach von Westermans Interpretation zeigen die Durchläufe, dass die praktisch stets feuerbereite RCH 155 unter realistischen Gefechtsbedingung (Feindbedrohung) im gleichen Zeitraum mindestens zweimal so viel Feuer an den Feind bringen kann, wie die Panzerhaubitze 2000, denn die RCH ist quasi in Echtzeit immer feuerbereit. Gegenüber herkömmlichen Artilleriesystemen, die beispielsweise abgestützt schießen müssen und daher noch länger für die Aufnahme des Feuerkampfes brauchen, würde sich der Effekt noch weiter verstärken. Darüber hinaus zeigt die Simulation den „Schutzaspekt“ des mobilen Einsatzes. Der Umstand, dass die RCH 155 selbst bei Geschwindigkeiten von rund 10 m/s (entspricht rund 36 km/h) präzise feuern kann, trägt erheblich zur geringen Verlusten der Systeme im Gefecht bei.
Führt man sich vor Augen, dass selbst die Flugdauer eines feindlichen Gegenfeuers rund eine Minute beträgt, würde der mobile Einsatz einen artilleristischen Gegenschlag gegen die RCH 155 faktisch unmöglich machen. Denn eine Geschwindigkeit der Radhaubitze von 10 m/s und eine Flugzeit der feindlichen Artilleriegranate von einer Minute, bedeutet nichts anderes, als dass die Radhaubitze zum Aufschlagszeitpunkt der Granate bereits 600 m weitergefahren ist und sich somit weit abseits jeglicher Splitterwirkung einer Artilleriegranate befindet. Bei entsprechender Flugabwehr, um eine feindliche Bedrohung durch Drohnen und Loitering Munition auszuschließen, wären die Radhaubitzen für den Feind de facto unerreichbar.
Fazit
Die Ergebnisse der KNDS-Gefechtssimulationen erfüllen sicherlich nicht die Ansprüche an eine unabhängige Untersuchung und fokussieren sich zudem auf ein sehr spezifisches Szenario. Die Ausschläge in den Werten geben aber deutliche Hinweise auf das Potenzial der Radhaubitze, was sicherlich ein genaueres Hinschauen durch darauf spezialisierte Stellen rechtfertigt.
Ob die Radhaubitze nun ein regelrechter „Panzerjäger“ wird oder nicht, die Gefechtssimulation zeigt, dass bereits mit den heute verfügbaren Mitteln günstig signifikante Vorteile auf dem Gefechtsfeld erzielt werden können, wenn man die zur Verfügung stehenden Kräfte und Mittel nur etwas anders nutzt. Von Westerman verweist mit dem Beispiel auf die Panzerwaffe darauf, dass die Idee einer „anderen operationellen Nutzung“ bestehender Waffensysteme bereits in der Vergangenheit zu Erfolgen geführt hat. So hat alleine der Umstand, dass man im Zuge des Zweiten Weltkrieges Kampfpanzer nicht mehr einzeln als Infanterieunterstützungselemente, sondern in geschlossenen Formationen als hochmobile und feuerstarke Manöverelemente genutzt hat, den Erfolg der modernen Panzerwaffe begründet.
Waldemar Geiger