Die Würfel bei der Auswahl des zukünftigen „Schlachtrosses“ für die Grenadiere der neu in Aufstellung befindlichen Kräftekategorie „Mittlere Kräfte“ scheinen gefallen zu sein. Wie hartpunkt aus mehreren Quellen bestätigt wurde, soll in Kürze eine Angebotsaufforderung an die Industrie erfolgen. Im Gegensatz zu vorherigen Annahmen sollen jedoch nicht mehrere Angebote auf Basis von zwei unterschiedlichen Türmen – einmal bemannt und einmal unbemannt – eingeholt werden, wie zu vernehmen ist.
Insidern zufolge hat die Bundeswehr den Entschluss gefasst, das im Sondervermögen Bundeswehr eingeplante Vorhaben mit einem Boxer mit unbemanntem Turm zu realisieren. Die Auswahl soll auf den Boxer mit dem RCT30-Turm – bekannt aus dem Schützenpanzer Puma – des Herstellers KNDS Deutschland gefallen sein. Damit scheint der von Rheinmetall angebotene Boxer mit bemannten 30-mm-Turm des Typs Lance Block II – dem gleichen System, wie er beim Schweren Waffenträger Infanterie zum Einsatz kommt – nicht weiter berücksichtigt zu werden.
Trifft dies zu, so werden Grenadiere und Jäger der Mittleren Kräfte über unterschiedliche Gefechtsfahrzeuge verfügen. Hintergrund für die Auswahl liegt Insidern zufolge an mehreren Gründen.
Gründe für die Auswahl
Da die Jäger den Schweren Waffenträger Infanterie nicht als Gruppenfahrzeug für die Infanteriekompanien nutzen, wird das ausschließlich für die direkte taktische Feuerunterstützung der Infanteriekräfte vorgesehene System ohne Absitzstärke konzipiert und eingeführt. Der Kampfraum des Schweren Waffenträgers – welcher zudem im Vergleich zum RCT30-Boxer etwas kleiner ausfällt – soll als Stauraum für zusätzliche Munition genutzt werden.
Den Grenadierverbänden hingegen, welche den Kampf sowohl auf- als auch abgesessen und in enger Anbindung an das eigene Fahrzeug führen, wird der Radschützenpanzer sowohl als „Mutterschiff“ als auch als „Schlachtross“ dienen müssen. Das Fahrzeug benötigt deshalb einen hohen Schutzfaktor, eine hohe Durchsetzungsfähigkeit sowie einen entsprechend großen Kampfraum für die Unterbringung der Grenadiertrupps samt Kampfausrüstung.
Genau dieser Umstand gepaart mit der Dringlichkeit der „schnellen“ Einführung sowie der Vermeidung von technischen Risiken der Systeme ist Insidern zufolge mitausschlaggebend für die Wahl des RCT30-Boxers – auch bekannt als PuBo (Puma Boxer).
Der im Vergleich zum Schweren Waffenträger sowie dem Schützenpanzer Puma größere Kampfraum bietet Platz für sechs voll ausgerüstete Grenadiere samt Gruppenbewaffnung, die das „Soldatensystem Infanterist der Zukunft – Erweitertes System“ (IdZ-ES) nutzen. Dem Vernehmen nach bietet die Auswahl des PuBo auch zeitliche Vorteile bei der Einführung, da ein Großteil der Integrationserkenntnisse des IdZ-ES aus dem Schützenpanzer Puma überführt werden können. Auch der Vermeidung von technischen Risiken dürfte dies zuträglich sein, wenn man bedenkt, wie aufwendig und kraftraubend der Weg bis zur Einsatzreife des Systems Panzergrenadier – Systemverbund aus Schützenpanzer Puma und Soldatensystem IdZ-ES – für alle Beteiligten war. Beim Schweren Waffenträger Infanterie, der auf Basis des australischen Radspähpanzers „Combat Reconnaissance Vehicle“ eingeführt wird, kann die Bundeswehr nicht auf entsprechende Vorarbeiten zurückgreifen, da die Australier keine IdZ-ES nutzen.
Beschaffung über die OCCAR
Wie hartpunkt bereits Anfang Februar 2024 berichtete, wird die Realisierung des Vorhabens über die europäische Rüstungsagentur OCCAR erfolgen. Die dadurch realisierbaren größeren Stückzahlen könnten den Fahrzeugpreis senken und die Interoperabilität steigern. Es gilt als gesichert, dass das Deutsche Heer einen Bedarf von 148 Radschützenpanzern hat, mit Bestellungen aus weiteren Staaten könnte das Vorhaben deutlich an Volumen gewinnen.
Aus Ministeriumskreisen heißt es, dass das Vorhaben noch dieses Jahr dem Parlament zur Billigung vorgelegt werden soll. Dies würde somit einen Vertragsschluss in 2024 erlauben und die Voraussetzung für den rechtzeitigen Zulauf der Systeme gemäß dem Zeitplan des Heeres für die Aufstellung der Mittleren Kräfte bilden.
Die Beschaffung über die OCCAR hat wohl auch den Hintergrund, dass weitere Nationen einen ähnlichen Weg einschlagen wollen, um die Durchsetzungsfähigkeit ihrer Boxerverbände zu stärken.
Ein potenzieller Kandidat wären Insidern zufolge die Niederlande, welche im November 2023 die Absicht bekanntgegeben haben, der OCCAR beitreten zu wollen. Der westliche Nachbar Deutschlands denkt seit geraumer Zeit darüber nach, die Durchsetzungsfähigkeit der eigenen Boxer-Verbände zu erhöhen. Mit Blick auf die tiefe Integration der niederländischen Landmacht in das Deutsche Heer wäre ein solcher Schritt nachvollziehbar und wurde in den vergangenen Jahren bereits in mehreren unterschiedlichen Projekten durchexerziert.
So hat ein Sprecher des niederländischen Verteidigungsministeriums hartpunkt bereits am 8. Februar 2024 auf Nachfrage bestätigt, dass die NATO im Rahmen ihrer zweijährlichen Bewertung kritisiert hat, „dass die Niederlande die vorrangigen Ziele für die Bereitstellung einer schweren und mittleren Infanteriebrigade nicht erreicht haben“ soll. „Die NATO weist darauf hin, dass die Erhöhung der Feuerkraft eine der Hauptprioritäten sein sollte. Der Boxer der derzeitigen Brigade ist mit einem schweren Maschinengewehr (Kaliber .50) ausgestattet. Dieses entspricht nicht den NATO-Anforderungen und muss, um die NATO-Anforderungen zu erfüllen, letztendlich auf 30 mm aufgerüstet werden“, so der Sprecher.
Den Ausführungen des Sprechers nach sind die Niederlande sehr an der Entwicklung der Mittleren Kräfte der Bundeswehr interessiert und „denken aktiv mit“. „Die Niederlande arbeiten eng mit Deutschland zusammen, um die operationellen Anforderungen für einen Boxer mit Turm zu ermitteln, der mit einem Kanonensystem ausgestattet ist, das den NATO-Anforderungen für mittlere Streitkräfte entspricht“, so der Sprecher. Demnach entspricht dies dem Wunsch, „die Ausrüstung zunehmend austauschbar zu machen. Das heißt, ein und dasselbe Fahrzeug mit so wenig nationalen Spezifikationen wie möglich“. Eine Entscheidung darüber ist jedoch nicht getroffen, „dies ist Sache des nächsten Kabinetts“, erklärt der Sprecher.
Das aktuelle Kabinett ist nur noch geschäftsführend im Amt, bis die Regierungsbildung abgeschlossen ist, was sich aufgrund der aktuellen Mehrheitsverhältnisse in der zweiten Kammer des niederländischen Parlamentes als schwierig gestaltet. Die Niederlande hatten am 22. November 2023 gewählt.
Boxer RCT30
Der Boxer RCT30 von KNDS Deutschland kombiniert das in der Bundeswehr einsatzbewährte Boxer-Fahrmodul mit einem Maschinenkanonen-Missionsmodul mit dem aus dem Schützenpanzer Puma bekannten unbemanntem Turm vom Typ RCT30. Die Bewaffnung des Systems besteht aus einer stabilisierten MK 30-2/ABM-Maschinenkanone im Kaliber x 173 mm von Rheinmetall, die eine zielgenaue Bekämpfung von fahrenden Zielen aus dem Stand und aus der Fahrt ermöglicht.
Die Panzerabwehrfähigkeit erfolgt mittels eines an der linken Turmseite angebrachten Werfers mit zwei Panzerabwehrlenkflugkörpern vom Typ MELLS (Spike LR/Spike LR2). Es ist derzeit jedoch nicht bekannt, ob die Bundeswehr den Radschützenpanzer mit dem aus dem Puma bekannten MELLS-Werfer oder einem anderen System beschaffen wird. KNDS Deutschland hatte im Rahmen der Rüstungsmesse Eurosatory 2022 nämlich eine eigens für den PuBo entwickelte MELLS-Werfervariante vorgestellt. Im Gegensatz zu der Variante aus dem Puma sind die zwei Lenkflugkörper hier nicht nebeneinander, sondern übereinander angeordnet. Dies führt dazu, dass der Werfer schmaler ausfällt und nicht über das Missionsmodul hinausragt.
Im Licht der zunehmenden Drohnenbedrohung und der damit notwenigen Drohnenabwehr, welche damit befassten Experten zufolge mehrschichtig aufgebaut sein muss, hat KNDS Deutschland den RCT30 weiterentwickelt, so dass dieser einen signifikanten Beitrag zum Selbstschutz des Fahrzeuges und der im Umkreis befindlichen Soldaten vor Kleinstdrohnen beitragen kann, hartpunkt berichtete. Die Vermutung liegt nahe, dass die Bundeswehr bei der Einführung des Radschützenpanzers nicht auf diese Fähigkeit verzichten will.
Waldemar Geiger