Die Bundeswehr will kurzfristig Mörsermunition von befreundeten Nationen beschaffen, nachdem vor einigen Wochen beim Übungsschießen Probleme mit Treibladungen und Zündern eines bestimmten Munitionstyps aufgetreten waren.
„Jetzt wird geprüft, ob wir von anderen NATO-Partnern kaufen können“, sagte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Jörg Vollmer, gestern am Rande einer Zertifizierungsübung der Panzerlehrbrigade 9 im Gefechtsübungszentrum in der Altmark. Dazu werde es in den nächsten Wochen eine Entscheidung geben, voraussichtlich Anfang Juli, so der General. Die Mörser-Sprengmunition war aufgrund technischer Mängel Ende Mai gesperrt worden. Zuvor hatte sich beim Schießtraining in Wildflecken die Treibladung einer Sprenggranate nicht entzündet, die dann einem Soldaten auf den Rücken fiel. Außerdem sollen bei der gleichen Übung mehrere Zünder nicht korrekt funktioniert haben. Experten führen die Pannen auf die Überlagerung der Munition zurück.
Mit der kurzfristigen Beschaffung sollen laut Vollmer die eigenen Munitionsbestände wieder aufgefüllt werden. Damit wäre dann sichergestellt, dass die Ausbildung mit dem betroffenen Munitionstyp wieder aufgenommen werden kann. Nach Aussage von Vollmer bleibt die Übung von Verfahren trotz der partiellen Sperrung weiter möglich, da beispielsweise Nebelmunition weiter für die Mörser genutzt werden kann.
Auf die deutschen Anteile an der VJTF(L)-Brigade – VJTF(L) steht für Very High Readiness Joint Task Force – Land – wirke sich die Sperrung überhaupt nicht aus, da in dem deutschen Kontingent zwar Rohr- und Raketenartillerie, aber keine Mörser enthalten seien, erläuterte der Heeres-Inspekteur.
Auf dem Truppenübungsplatz in der Nähe von Magdeburg hatten zuvor deutsche, niederländische und norwegische Panzer- und Panzergrenadierkräfte ein Gefecht sowohl im offenen Gelände als auch in der neuen Übungsstadt Schnöggersburg vor Pressevertretern simuliert. Dabei wurde kein scharfer Schuss abgefeuert, da ausnahmslos mit moderner Simulationstechnik geübt wird.
Zertifizierung mit Bestnote abgeschlossen
Der als schnelle Eingreiftruppe der NATO vorgesehene deutsche Gefechtsverband der Panzerlehrbrigade 9 sowie niederländische und norwegische Soldaten hatten bereits vom 10. bis 19. Juni in der Altmark für die Zertifizierung als VJTF(L) geübt. Wie Brigadegeneral Ullrich Spannuth, Kommandeur der Panzerlehrbrigade und designierter Kommandeur der VJTF(L), im Anschluss der Übung mitteile, wurde der Verband bei der NATO-Zertifizierung mit der Bestnote bewertet. Als nächster Meilenstein der multinationalen Einheit gilt die im Herbst im Rahmen der Übung Trident Juncture geplante Verlegung nach Norwegen.
Norwegische Soldaten mit Schützenpanzer üben den Häuserkampf in Schnöggersburg. Foto: lah
Die gesamte VJTF – oft auch als NATO-Speerspitze bezeichnet – besteht aus Land,- Luft-, See- sowie Spezialkräften und soll in der so genannten Stand-By-Phase höchster Bereitschaft innerhalb von 48 bis 72 Stunden an jedem Ort einsetzbar sein. Deutschland übernimmt als Rahmennation für die VJTF(L) im Jahr 2019 mit der Panzerlehrbrigade 9 aus Munster als Leitverband die Verantwortung. Insgesamt sind etwa 8.000 Soldatinnen und Soldaten, davon 5.000 aus Deutschland, der Speerspitze zugeordnet. Neben Deutschland, den Niederlanden und Norwegen entsenden noch weitere Nationen wie Belgien und Tschechien Soldaten. So soll eine tschechische Raketen-Batterie für die Luftverteidigung sorgen.
Für die 2019 anstehende Aufgabe muss das Panzerlehrbataillon allerdings weiterhin auf Material aus anderen Einheiten zurückgreifen. Dieser Zustand wird erst 2023 beendet, wenn Deutschland erneut eine VJTF führen wird. Es sei entschieden worden, dass 2023 eine Brigade des Heeres vollständig mit allem benötigten Material ausgerüstet sein soll, betonte Vollmer in seinem Statement. Seinen Worten zufolge wird die dann zu stellende NATO-Speerspitze im Kern erneut aus Deutschen, Niederländern und Norwegern bestehen.
Hochmodernes Übungsgelände
Nach Aussage des norwegischen Obersten und stellvertretenden VJTF-Kommandeurs Jan Østbø war die vergangene Woche auf dem Übungsplatz für das norwegische Bataillon sehr wertvoll. Man habe die Koordination zwischen norwegischen, niederländischen und deutschen Soldaten bis hinunter auf die Zugebene trainiert. So wurde auch im Rahmen der Vorführung für die Presse ein verwundeter norwegischer Soldat von einem Bundeswehr-Boxer evakuiert und anschließend mit einem deutschen Helikopter ausgeflogen.
Während die Arbeitssprache der beteiligten Nationen Englisch ist, müssen in punkto Funkkommunikation noch pragmatische Lösungen gewählt werden. So konnte während der Vorführung der Funkkontakt zwischen Norwegern und Deutschen lediglich durch einen norwegischen Verbindungsoffizier im deutschen Bataillonsgefechtsstand gehalten werden, wie Østbø erläuterte. Die Trainingsmöglichkeiten auf dem Übungsplatz und insbesondere in der Übungsstadt Schnöggersburg bezeichnete der Offizier als „fantastisch“. Die Möglichkeit in einer Übung die Operation von freiem Gelände nahtlos in ein komplexes urbanes Gebiet zu überführen ist nach Aussage von Østbø einzigartig.
„Was wir hier in Deutschland geschafft haben, ist wirklich einmalig in der Welt“, sagte Vollmer mit Bezug auf die vielfältigen Trainingsmöglichkeiten in der Übungsstadt. Es gebe 500 Gebäude unterschiedlicher Typen, wobei jedes Haus individuell gestaltet sei. Zusätzlich verfüge Schnöggersburg über eine Kanalisation, eine U-Bahn mit drei Stationen sowie ein Fluss mit fünf verschiebbaren Brücken. Alle Gebäude werden laut Vollmer innen vorbereitet, um Simulationstechnik mit Sensoren einzubauen. Zusätzlich können außen angebrachte Sensoren, die Munitionswirkung unterschiedlicher Waffen abbilden. Es gehe nicht nur darum, den Häuserkampf zu üben. „Hier sollen die Bataillons- und Brigadekommandeure eine Beurteilung der Lage machen“, sagte der Inspekteur des Heeres.
lah/20.6.2018