Anzeige

Mehrzweckkampfboot Spezialkräfte mit großer Reichweite – BMVg prüft Vergabeart für die Beschaffung

Waldemar Geiger

Die deutschen Streitkräfte beabsichtigen, im Rahmen des Vorhabens „Taktische Beweglichkeit Maritime Einsatzkräfte auf dem Wasser – Anteil Spezialkräfte Marine“, auch bekannt als Mehrzweckkampfboot Spezialkräfte mit großer Reichweite, die taktische Überwassermobilität des Kommandos Spezialkräfte Marine zu stärken. Die Analysephase für das Projekt begann bereits im Juli 2017, wie aus einer auf den 13. März 2024 datierten Antwort des BMVg auf eine Frage des CDU-Bundestagsabgeordneten Ingo Gädechens – Mitglied im Haushaltsausschuss – hervorgeht, die hartpunkt vorliegt. Die Billigung des bedarfsbegründenden Dokumentes erfolgte dann im Januar 2021.

„Nachdem die Finanzierung aus dem Sondervermögen Bundeswehr sichergestellt war, wurde das Projekt in die Realisierungsphase überführt. Derzeit wird in Abstimmung mit der Marine die Entscheidung zur Vergabeart vorbereitet. Die weiteren Meilensteine im Projektverlauf ergeben sich auf der Grundlage der Vergabeartentscheidung“, heißt es in der Antwort des Ministeriums weiter. Was durchaus überraschend ist, da Beobachter des Vorhabens mit einer schellen Beschaffung eines marktverfügbaren Bootes mittels eines Regierungsgeschäftes gerechnet hatten, damit die Fähigkeitslücke der Spezialkräfte möglichst schnell geschlossen werden kann.

Auch Haushaltspolitiker Gädechens, bis zur Wahl in den Bundestag selbst Berufssoldat und Angehöriger der Marine, kritisiert das Beschaffungstempo: „Oberste Priorität habe der Faktor Zeit, sagt Boris Pistorius immer wieder. Er meint damit aber offenbar leider nicht, dass es schneller gehen soll“, so der Abgeordnete gegenüber hartpunkt. „In Wahrheit zeigt sich an allen Enden und Ecken das Gegenteil: Überall Verspätungen, überall endlose Planungs- und Entscheidungsschleifen. Die Mehrzweckkampfboote für die Spezialkräfte der Marine sind ein Beispiel für ein eigentlich überschaubares Beschaffungsvorhaben, das einfach nicht läuft. Die Marine weiß, was sie braucht und welche Boote sie haben möchte.“ Trotzdem passiere nichts. „Jetzt sagt das Ministerium, dass angeblich die Vergabeart nicht geklärt ist“, erklärt Gädechens weiter.

Welches Boot die Spezialkräfte genau haben wollen, ist nicht öffentlich bekannt. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass die Forderungen der Marine in Richtung eines sogenannten Combatant Craft Medium (CCM) gehen könnten, welches sich seit Mitte der 2010er Jahre in der Nutzung der maritimen Spezialkräftekomponente der U.S. Navy (U.S. Navy SEALs) befindet und britischen Medienberichten zufolge auch vom Special Boat Service im Rahmen eines Regierungsgeschäftes mit den USA beschafft wurde. Zudem sollen die norwegischen Spezialkräfte Mitte 2023 zwei solcher Boote für rund 22 Millionen US-Dollar über die USA gekauft haben. Der Zulauf wird 2025 erwartet.

Die Spezialkräfte der U.S. Navy sollen im Zeitraum 2014 bis 2021 insgesamt 30 der sogenannten Combatant Craft Medium Spezialkräftemehrzweckboote beschafft haben. (Bild: U.S. Navy / Adam Brock)

Das etwas mehr als 18 Meter lange Mehrzweckspezialkräfteboot der 30-Tonnen-Klasse kann Spitzengeschwindigkeiten von etwa 52 Knoten (96 km/h) erreichen und verfügt über eine Reichweite von 600 nautischen Meilen, was rund 1.100 Kilometern entspricht. Der Antrieb erfolgt über zwei 1.250 PS starke MTU-Dieselmotoren des Typs 8V2000 M94 mit zwei Oberflächenantrieben ZF SeaRex 120 S. Die strategische Verlegefähigkeit der Boote ist mittels einer Luftverladung in Transportflugzeugen wie der C-17 oder Antonov möglich. Zudem kann das Boot mittels Fallschirmen über dem Einsatzgebiet abgeworfen werden. Ob das Boot auch in einem A400M transportiert werden kann, ist aufgrund der Länge des Bootes unklar.

Das Combatant Craft Medium weist einen geschlossenen Aufbau mit flachem Deckshaus und einen Tarnanstrich auf, um Radarsignaturen zu vermindern und die optische Aufklärung zu erschweren. Neben einer vierköpfigen Besatzung können bis zu 19 voll ausgerüstete Kampfschwimmer mitgeführt werden. Weiterhin kann das Boot mit einer schlagkräftigen Bewaffnung, mittels drei Halterungen für die Aufnahme von Maschinengewehren oder Granatmaschinenwaffen an Bug und Heck sowie Pods für Lenkflugkörper, versehen werden. Die Ladefläche am Heck des CCM-Bootes bietet zudem Platz für das Mitführen von einsatzspezifischem Material und kleineren Wasserfahrzeugen.

Verzögerungen auch bei weiteren Projekten

Gädechens verweist darauf, dass es viele weitere Beispiele für Probleme bei Beschaffungsvorhaben der Marine gibt. „Ob die Kampfboote für das Seebataillon oder die Nachfolge der RHIB H1010, es geht einfach nirgendwo weiter. Das ist nicht nur für die Soldatinnen und Soldaten frustrierend, sondern auch für die Politik und das Parlament ein Desaster“, so der CDU-Politiker gegenüber hartpunkt.

Mit der Erwähnung der Kampfboote verweist der Marinesoldat a.D. offenbar auf den Umstand, dass die Industrie nach Kenntnisstand von hartpunkt noch immer keine Aufforderung zur Angebotsabgabe erhalten hat, obwohl das BMVg diese Ende Januar für den Februar 2024 angekündigt hat, hartpunkt berichtete.

Zudem ist auch bei der Nachfolge der in die Jahre gekommenen RHIB H1010 des Kommandos Spezialkräfte Marine (KSM) der Wurm drin. Nachdem der Haushaltsausschuss nach langwieriger Ausschreibung im Sommer 2022 die Mittel für die Beschaffung eines Nachfolgers freigegeben hatte, wurde das Vorhaben 2023 wieder beendet, weil laut einer von Gädechens im April 2023 gemachten Aussage der erstbezugschlagte Hersteller für die neuen KSM-Boote diese nicht mehr bauen wollte bzw. konnte.

Das Bundeswehrbeschaffungsamt BAAINBw hat daraufhin im August 2023 einen weiteren Teilnahmewettbewerb für die sogenannten Einsatzboote mit mittlerer Reichweite gestartet, welche nach Aussagen des BMVg vom Herbst 2023 in diesem Jahr unter Vertrag gehen sollen. Eine geplante parlamentarische Behandlung des Vorhabens wurde damals seitens des BMVg für die 26. Kalenderwoche 2024, also Ende Juni, in Aussicht gestellt. „Der Zulauf der Boote wird für den Zeitraum 2. Halbjahr 2025 bis Ende des Jahres 2026 angestrebt“, antwortete das BMVg am 20. September 2023 auf eine entsprechende Frage von Gädechens.

Neben dem allgemeinen Beschaffungstempo kritisiert der Oppositionspolitiker insbesondere die Kommunikationspolitik der Regierung gegenüber dem Haushaltsausschuss. Diese führe dazu, dass selbst die Kollegen der Ampel „auf die Barrikaden gehen“, so Gädechens. „Es stellen sich – wie ja auch die mediale Berichterstattung über die Berichte des Rechnungshofes belegen – unzählige Fragen, die das Verteidigungsministerium schlicht nicht beantwortet“. Er bezieht sich damit offensichtlich auf die beiden Vorhaben „Schwerer Waffenträger Infanterie“ und „Sprechsatz mit Gehörschutzfunktion“, welche es diese Woche erneut nicht auf die Tagesordnung des Haushaltsausschusses geschafft haben bzw. nachträglich wieder heruntergenommen wurden, obwohl die entsprechenden Vorlagen bereits seit Anfang des Jahres im Parlament sind.

Gädechens zufolge wird zwar viel miteinander geredet, aber das Entscheidende werde nicht gesagt. Er verweist in diesem Zusammenhang auf das Kontrollrecht des Bundestages gegenüber der Regierung. „Und auch wenn es vielen nicht gefällt, ist irgendwann eine Linie überschritten, die ein Durchwinken von unterirdischen Vorlagen aus dem Verteidigungsministerium nicht mehr zulässt.“

Waldemar Geiger

.i.td-icon-menu-up { display: none; }