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Deutsches Heer steht vor deutlichem Kompetenzzuwachs

Nach der Abschaffung der Heeresflugabwehr mit Systemen wie dem Flakpanzer Gepard oder dem Flugabwehrraketensystem Roland hat die Luftwaffe den Schutz der Heeresverbände in der unteren Luftschicht übernommen. Allerdings fehlt bis heute die dafür notwendige quantitative sowie qualitative Ausstattung. Diese soll mit dem Projekt Nah- und Nächstbereichsschutz (NNbS) geändert werden. Auch NNbS liegt im Zuständigkeitsbereich der Luftwaffe – aber seit kurzem nicht mehr vollständig. Wie Insider übereinstimmend berichten, sollen offenbar Teile von NNbS an das Heer übertragen werden. Dem Vernehmen nach geht es dabei um die Komponenten, die für die  Luftverteidigung kurzer Reichweite innerhalb des Projektes vorgesehen sind.

Nach augenblicklichem Stand wird NNbS über zwei Lenkflugkörpersysteme verfügen: Einmal die Iris-T SLM großer Reichweite, die aus einem senkrecht stehenden Startsystem auf LKW-Basis verschossen wird, und eine Reichweite von etwa 40 Kilometern aufweisen soll.

Daneben soll auch die Iris-T SLS zum Einsatz kommen, bei der es sich um ein „abgeflogene“ Luft-Luft-Rakete handelt, die für den Einsatz als Boden-Luft-Rakete leicht modifiziert wird. Ebenso wie ihre große Schwester benötigt die Iris-T SLS ein eigenes Radar, um ins Ziel geführt zu werden.

Informierten Kreisen zufolge soll in Zukunft der Betrieb der Komponenten von Iris-T SLS und allem weiteren Systemen, die für noch geringere Reichweiten vorgesehen sind, an das Heer übertragen werden. Übrigens war es immer eine Forderung, dass die Iris-T SLS beziehungsweise die zunächst noch im Wettbewerb befindlichen anderen Lenkflugkörper aus der Bewegung verschossen werden können. Mit anderen Worten: Das System soll in der Lage sein, mobile Heeresverbände in der Fahrt zu schützen.

Mit der Aufgabenverlagerung dürften auch die ursprünglich für das in der zweiten Hälfte dieser Dekade vorgesehene Teilprojekt 3 von NNbS gewählten Lösungen in die Zuständigkeit des Heeres fallen. Dabei geht es unter anderem um die Abwehr von Drohnen mit Lasern und anderen Effektoren. In diesem Zusammenhang wird auch die Umsetzung einer Kanonenlösung betrachtet. Denn im Gegensatz zu Lenkflugkörpern können mit einer Kanone kostengünstig Drohnen  und sogar Drohnenschwärme bekämpft werden. Entsprechende Angebote sind von Herstellern wie Rheinmetall oder Diehl – in Partnerschaft mit einem australischen Unternehmen – offenbar in der Vorbereitung. Während Rheinmetall auf der Luftfahrtmesse ILA in Berlin den Flakpanzer Skyranger auf Boxer-Fahrgestell mit einer 30mm-Kanone und Mistral-Raketen vorstellt, zeigt Diehl ein neues HPEM-Wirkmittel. HPEM steht für High Power Electro Magnetics. Diese stören durch die gerichtete Aussendung von Impulsen die Funktion elektronischer Systeme. Drohnen werden so zum Absturz gebracht. Auch diese Technologie könnte für das Teilprojekt 3 interessant sein.

Dieses soll aufgrund der geänderten Bedrohungslage durch den Ukraine-Krieg dem Vernehmen nach vorgezogen werden. Sollte dabei auch eine Kanonenlösung den Zuschlag erhalten, könnten die deutschen Landstreitkräfte womöglich in ein paar Jahren Fähigkeiten erhalten, die über die der alten Heeresflugabwehr hinausgehen.

Eine Herausforderung dürfte jedoch darin bestehen, das Personal für die Ausstattung der Luftverteidigungseinheiten zu bekommen, wenn gleichzeitig die Kopfzahl des Heeres nicht steigen soll. Dies könnte durch eine interne Umschichtung von Dienstposten erfolgen, etwa durch das „Auskämmen“ von Stabseinheiten.
lah/25.6.2022

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