Der Notwendigkeit des Einsatzes von Drohnen als Aufklärungs- oder Wirkmittel in der Breite wird sich keine Armee entziehen können, wenn sie in einem zukünftigen Gefecht erfolgreich bestehen will. Das rasante Entwicklungstempo der Drohnenkriegsführung im Krieg Russlands gegen die Ukraine stellt jedoch viele Streitkräfte vor enorme Herausforderungen, denn der „Friedensbetrieb“, verbunden mit vielen daraus resultierenden formalen, prozessualen sowie regulatorischen Hürden, verhindert Reaktionsgeschwindigkeiten, die notwendig wären, um mit der Entwicklung der Drohnenkriegsführung – die sich in technologischer Hinsicht teilweise monatlich überschlägt – mithalten zu können.
Mit der Erarbeitung des Konzeptes „Einsatz UxS/LMS im Heer“ haben die deutschen Landstreitkräfte jedoch bereits im letzten Jahr die Grundlage für eine zielgerichtete Einführung und Nutzung von UxS und LMS in der Truppe geschaffen. UxS ist in diesem Zusammenhang ein Kombi-Begriff für Unmanned Aerial, Maritime oder Ground System, also unbemannte Systeme (Drohnen) jeglicher Dimension. LMS steht hingegen für Loitering Munition System, wobei der einzelne Effektor als Loitering Munition und das Gesamtsystem – Effektor bzw. mehrere Effektoren in Kombination mit der Kontrolleinheit – als LMS bezeichnet werden.
Wie es aus gut unterrichteten Kreisen heißt, ist in diesem Konzept für jede Truppengattung des Heeres beschrieben, welche Art und Anzahl von UxS benötigt werden und zu welchem Zweck – bspw. Wirkung, Aufklärung, aber auch Führung (Vernetzung durch bspw. Relais-UAS) und Unterstützung (bspw. durch UGS beim Transport) – diese eingesetzt werden können. Das Ganze wird bis auf die Trupp-Ebene heruntergebrochen. Dem Vernehmen nach wurde das Konzept, das die konzeptionelle Grundlage für die Bedarfsplanung darstellt, mittlerweile auch der Bundeswehrführung vorgelegt, die nun über die Einleitung der Beschaffung entscheiden muss.
Was die Größe der zukünftigen luftgestützten Drohnen angeht, beschränkt sich das Heer offenbar auf Systeme für Class I und Class II mit einem maximalen Abfluggewicht von bis zu 150 bzw. 600 kg. Angesichts der technologischen Entwicklung geht man davon aus, dass solche Systeme zukünftig in der Lage sein werden, Reichweiten jenseits der 500 km zu erzielen, und über Stehzeiten verfügen, die für eine durchhaltefähige Lage- und Zielaufklärung im Rahmen des Kampfes in der Tiefe – auf Korps-Ebene bedeutet dies rund 300 km im Hinterland – notwendig sind.
Was sich auf den ersten Blick nach einem überflüssigen Bürokratieschritt anhört, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als notwendige Maßnahme, um eine ungesteuerte Beschaffungshysterie zu vermeiden, die in manchen Teilen der Welt zu beobachten ist. Spricht man mit Heeresvertretern, die mit der Thematik der Drohnenkriegsführung vertraut sind, wird einem unmissverständlich signalisiert, dass man sowohl die Drohnenentwicklung in der Ukraine als auch den Umgang der Verbündeten mit der Thematik sehr genau beobachtet. Dabei wird auch viel Aktionismus wahrgenommen. So werden mitunter Systeme gekauft, ohne dass die Streitkräfte überhaupt wissen, wie und wozu sie diese Systeme einsetzen sollen oder können, weil sie nicht im Einklang mit den jeweiligen Einsatzgrundsätzen stehen oder die Grundlagen für die Nutzung, seien sie personeller oder regulatorischer Natur, nicht vorhanden sind. Denn nicht alles, was sich heute in der Ukraine bewährt, ist auch dazu geeignet, einen Beitrag für einen Bundeswehreinsatz im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung zu leisten. Dafür unterscheidet sich das aktuelle Kriegsbild in der Ukraine zu sehr von der Art und Weise, wie die NATO die Bündnisverteidigung erfolgreich meistern will. Zudem sorgen die schnellen Technologieentwicklungszyklen dafür, dass ein großer Teil der heutigen Technik in wenigen Monaten oder Jahren bereits überholt und damit kaum noch zielgerichtet einsetzbar wäre.
Umsetzung in der Praxis
Bedenkt man zudem die politisch vorgegebenen Denkverbote der jüngeren Vergangenheit, die jegliche konzeptionelle Auseinandersetzung mit der Thematik des bewaffneten Drohneneinsatzes verhindert haben, ist das Heer mit der Erstellung des Konzeptes zügig vorangekommen. Man hat mehrere parallele Schritte unternommen, um den großflächigen Drohneneinsatz in der Truppe vorzubereiten bzw. auszurollen.
Mit der Ermöglichung des Einkaufs von handelsüblichen Drohnen aus dem Titel „Flexible Haushaltsmittel für Kommandeure“ – auch bekannt unter dem Namen „Handgeld für Kommandeure“ – wurde der Truppe vor rund eineinhalb Jahren ermöglicht, erste eigene Systeme zu beschaffen und den Einsatz solcher Systeme zu üben.
Zudem werden durch das Luftfahrtamt der Bundeswehr neben der Heeresaufklärungsschule in Munster und Pionierschule in Ingolstadt weitere Schulen des Heeres als Ausbildungsdienststellen zertifiziert, um den benötigten Ausbildungsbedarf besser abdecken zu können. Um bspw. ein small UAS (sUAS) der Class-1 – Abfluggewicht weniger als 25 kg – fliegen zu dürfen, bedarf es oftmals nur eines einwöchigen Lehrgangs sowie der Typeneinweisung auf die spezifische Drohne. Bei manchen Systemen ist die Ausbildungszeit länger. Die Länge der Ausbildung unterliegt unterschiedlichen Faktoren, wie Bedienung, Reichweite, Vorgaben des Herstellers und militärischen Regularien. Da zukünftig jeder Verband des Heeres ein „fliegender Verband“ werden soll, wird aber auch diese Maßnahme wohl nicht ausreichen. Daher besteht der Plan, sogenannte Ausbildungs- und Prüfberechtigte auszubilden, die dann die Ausbildung und Typeneinweisung in den jeweiligen Verbänden übernehmen können. Dieses Vorgehen kann zwar nicht bei allen Systemen, aufgrund der militärischen Regularien, angewandt werden, erhöht jedoch die Ausbildungskapazitäten der Heeres enorm. Zudem werden Wege gesucht, die Typeneinweisung zu vereinfachen. Hier ist das Heer aber nicht der Herr des Verfahrens, der bestehende Vorschriften und gesetzliche Regularien eigenständig ändern darf. Gesetzlich befindet sich die dichtbesiedelte Bundesrepublik Deutschland schließlich immer noch im Frieden, sodass entsprechende Sicherheitsstandards nicht aufgehoben sind und die Bedürfnisse der Streitkräfte mit denen der Zivilgesellschaft in Einklang gebracht werden müssen.
Die Grundidee dieser beiden Maßnahmen besteht darin, frühzeitig Grundlagen des Drohneneinsatzes in der Truppe zu schaffen, sodass entsprechendes Wissen des Drohneneinsatzes und damit verbundene Befähigungen in den jeweiligen Verbänden vorhanden sein werden, sobald die über den regulären Prozess beschafften Drohnen der Truppe zulaufen. Dass dies durchaus auch zügig erfolgen kann, zeigt das Beispiel der FALKE-Drohne. Vor einem halben Jahr erfolgte nämlich eine Nutzerkreiserweiterung der für die Spezialkräfte im Zulauf befindlichen Aufklärungsdrohne auf die gesamte Heeresaufklärungstruppe.
Mit der Erstellung des Konzeptes und der Formulierung der jeweiligen Bedarfe sowie der vorbereitenden Maßnahmen zur Einführung neuer Systeme und Technologien erschöpfen sich leider auch die Möglichkeiten des Heeres, weiteren Einfluss auf die Thematik zu nehmen, da Drohnen, genauso wie jedes andere Gerät und Waffensystem der Bundeswehr, dem gleichen Beschaffungsprozess unterliegen. Genau hier liegt auch eine der wesentlichen Herausforderungen der Drohnenkriegsführung: Der reguläre Beschaffungsprozess – von der Erstellung eines Forderungskataloges bis zum Abschluss der Integrierten Nachweisführung – dauert oftmals länger als der technologische Innovationszyklus im Bereich der UxS.
Mit der Umsetzung des Konzeptes wurde bereits begonnen; der Truppe werden nun in den nächsten Jahren Schritt für Schritt neue Systeme und Fähigkeiten zulaufen – Loitering Munition gehört dazu. Die „Litauen-Brigade“ wird dem Vernehmen nach im Rahmen der Ausstattung eine hohe Priorität einnehmen.
Bis das Konzept in Gänze umgesetzt wird, werden aber sicherlich noch einige Jahre vergehen. Der Grund dafür liegt nicht nur im Bereich der fehlenden Haushaltsmittel. Am Ende müssen schließlich auch marktverfügbare Drohnen oder LMS qualifiziert und in einer gewissen Art und Weise in den Luftraum integriert werden. Gerade die Luftraumkoordination von tausenden Drohnen – die sich den Luftraum mit bemannten Luftfahrzeugen sowie weiteren Wirkmitteln teilen und vor der Bekämpfung durch eigene und verbündete Luftverteidigungsmittel bewahrt werden müssen – wird die Streitkräfte vor Herausforderungen stellen, wenn nicht ähnliche Situationen wie im Ukraine-Krieg auftreten sollen. Berichten zufolge werden dort in einzelnen Frontabschnitten bis zu 60 Prozent der ukrainischen Drohnen zum Opfer der eigenen Drohnenabwehr.
Umgang mit kurzen Innovationszyklen
Um dem oben dargestellten Umstand des zeitaufwändigen Beschaffungsprozesses zu begegnen, unternimmt das Heer beispielsweise in der Verantwortung des Amtes für Heeresentwicklung in Köln und seinem Stab Test und Versuch in Munster seit 2023 eine „Experimentalserie Land“, in der die Truppe in Zusammenarbeit mit Herstellern, Universitäten und Forschungsinstituten einzelne marktverfügbare Technologien oder Produkte unter realistischen Bedingungen erproben kann. Die bis dato gewonnenen Erfahrungen sind dem Vernehmen nach bei allen Beteiligten auf positive Resonanz gestoßen. Die Truppe hat einen Einblick auf die tatsächliche Leistungsfähigkeit und Einsatztauglichkeit potenziell im Interesse des Heeres stehender Systeme nehmen und die Industrie einen besseren Einblick in die Bedürfnisse der Anwender gewinnen können. Aussagen von hochrangigen Heeresvertretern auf unterschiedlichen Veranstaltungen und wehrtechnischen Podiumsdiskussionen zufolge ist der Wunsch groß, schneller, einfacher und mehr testen zu können.
Der direkte und dauerhafte Dialog zwischen Nutzer und Hersteller wird als ein maßgeblicher Baustein gesehen, um die Zeitspanne zwischen Formulierung eines Bedarfes und der Einführung eines kriegstauglichen Systems in die Truppe signifikant zu verringern. In dem regulären Beschaffungsprozess findet der Kontakt zwischen Truppe und dem Hersteller erst über die taktische Einsatzerprobung im Rahmen der integrierten Nachweisführung statt, also zu einem Zeitpunkt, in dem das zu beschaffende Produkt bereits ausgewählt wurde und de facto nur noch geringe Anpassungen vorgenommen werden können.
Die sogenannte Software Defined Defence (SDD) in Kombination mit Modularität wird im Heer als weiterer Schlüsselfaktor gesehen, mit dem den kurzen Innovationszyklen in der Drohnenkriegsführung begegnet werden soll. Zusätzlich wird die Hardware der UxS schlussendlich als Massenverbrauchsgut gesehen werden müssen, welches nur der Verbringung eines Sensors oder Wirkmittels dient. Dafür muss die Hardware so günstig und schnell wie breit verfügbar sein wie möglich. Eine entscheidende Komponente bleibt jedoch die Software. Diese kann stetig und schneller weiterentwickelt werden und so die Leistungsfähigkeit der Hardware erhöhen oder um neue Fähigkeiten erweitern. Gemäß dem Positionspapier Software Defined Defence des Bundesministerium für Verteidigung ist SDD „ein zentrales Leit-Prinzip für die Streitkräfteentwicklung der Zukunft. Im Mittelpunkt steht das Ziel, die enormen Potenziale von Software für die stetige Verbesserung bzw. Erweiterung der Fähigkeiten der Waffensysteme und damit der (flächendeckenden) Steigerung der Leistungsfähigkeit der Bundeswehr zu nutzen. Klassische militärische Plattformen sollen damit nicht in ihrer Relevanz abgewertet werden, sondern von den weitreichenden Potenzialen der Softwareentwicklung profitieren. So können durch die spezifischen Eigenschaften von zeitgemäßer Software-Entwicklung Innovationspotenziale für die Fähigkeitsentwicklung der Streitkräfte erschlossen werden. Dazu zählen u. a. kurze Entwicklungszyklen, flexible Anpassungsfähigkeit, Skalierbarkeit und Resilienz.“
Zudem wird der Fokus auf die Entwicklung und Implementierung eines einheitlichen „Human-Machine-Interfaces“ gelegt, welches den Wünschen des Heeres zufolge idealerweise auch noch an das Führungssystem angebunden werden kann. Ein einheitliches Steuerungssystem über alle UxS hinweg würde die Komplexität in der Ausbildung und Nutzung signifikant reduzieren und insbesondere in Kriegszeiten die Einführung neuer Systeme erleichtern. Im Kampf stehende Soldatinnen und Soldaten könnten eine neue Drohne dann praktisch ohne vorherige Bedienereinweisung direkt aus der Fabrik ins Gefecht bringen. Gleiches gilt für ein einheitliches Akku-, Bedien- und Infrastrukturkonzept über die komplette UxS-Flotte hinweg. Auch die Altsysteme sollen, wo sinnvoll, dem Wunsch des Heeres zufolge nachgerüstet werden, so dass sie diesem einheitlichen Konzept unterliegen.
Daraus lässt sich auch direkt eine Hausaufgabe für die Hersteller ableiten, zukünftig auf Insellösungen in diesem Bereich zu verzichten, die beispielsweise spezielle Akkus oder Startkatapulte etc. brauchen.
Großes Interesse hat man zudem an jeglichen Technologien, die die kognitive Belastung der Truppe beim Einsatz von UxS reduzieren, ohne dabei das Prinzip des Human-in-the-Loop (HITL) zu gefährden. Als Beispiel kann hier ein sogenanntes Combat-UGV (ein unbemanntes Bodenkampffahrzeug) dienen. Heute wären für den Einsatz eines solchen Systems mehrere Soldaten notwendig. Eine Person wäre mit der Steuerung des Fahrzeuges aus der Ferne beschäftigt, eine weitere Person mit der Bedienung der Waffenstation und mindestens eine dritte Person müsste die Sicherung der beiden anderen übernehmen, die für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben konzentriert auf die jeweilige Bedieneroberfläche blicken müssen. Am Ende besteht die Absicht, mittels UxS die sogenannte Combat Mass – also die Anzahl der kämpfenden Systeme – zu erhöhen und nicht einfach nur Soldaten eins zu eins zu ersetzen.
Weitere Betrachtungen
Mit der Erstellung des Konzeptes Einsatz UxS und LMS im Heer und deren anschließender Umsetzung ist die Arbeit aber noch nicht getan. Auch der Bedarf für möglicherweise notwendige Strukturanpassungen wird stetig untersucht. Aber auch hier ist der Rahmen klar durch andere Akteure gesetzt. Das Heer kann nicht mit dem Personal- und Mittelansatz planen, den es sich wünscht, sondern mit dem, was es bekommt.
Das Heer verwendet zudem viel Energie darauf, die Vorgänge im Ukraine-Krieg genau zu beobachten und sorgfältig zu analysieren. Auch die Aktivitäten verbündeter Streitkräfte werden betrachtet. Dabei wird auch nicht selten festgestellt, dass nicht alles, was sich im Krieg in der Ukraine bewährt, auch als Blaupause für das Heer dienen kann. Einige der beobachteten Lösungen sind aus der Not geboren und dem spezifischen Charakter des jeweiligen Kriegsschauplatzes geschuldet. Die Schwierigkeit in der Weiterentwicklung des Heeres besteht darin, sich nicht auf den Kriegsschauplatz von gestern oder heute vorzubereiten, angelehnt an die aktuellen Geschehnisse in der Ukraine und Russland, sondern die Entwicklungen von Technologien und hiervon abzuleitende Einsatz- und Führungsgrundsätze von morgen voraus zu sehen und hierfür zu planen.
Unabhängig davon, ob einzelne in der Ukraine zu beobachtende Einsatztaktiken oder Systeme der sogenannten Weisheit letzter Schluss sind oder nicht, werden UxS und LMS im Heer als wesentliche Komponente für den Aufbau eines leistungsfähigen Aufklärungs- und Wirkungsverbundes gesehen, bei dem Drohnen und Loitering Munition im „Zusammenspiel“ mit „traditionellen“ Waffengattungen und Systemen im Verbund zum Einsatz kommen und die jeweils eigenen Stärken ausspielen. Denn so sehr Drohnen das Kriegsbild im aktuellen Krieg in der Ukraine prägen, Waffensysteme wie Haubitzen oder Kampfpanzer werden dadurch nicht obsolet. In diesem Zusammenhang verweisen Heeresvertreter auf Umstände, dass trotz des sogenannten (angeblich) gläsernen Gefechtsfeldes, bei dem Tausende von Drohnen in der Luft sind, beide Kriegsparteien oftmals offensichtlich über kein klares Lagebild verfügen, bei dem sogar die Bewegung ganzer Brigaden auf dem Gefechtsfeld „übersehen“ wird. Dass an dieser Analyse einiges richtig ist, sieht man unter anderem auch daran, wie sich das Kriegsgeschehen in dem Zeitraum entwickelt hat, in dem die USA aufgehört hatten, nachrichtendienstliche Erkenntnisse und andere Lagebilder mit der Ukraine zu teilen. Drohnen sind ein wichtiger Bestandteil der modernen Kriegsführung, aber eben nicht alles. Nach Ansicht einiger Heeresvertreter wäre man daher klug beraten, Altes mit Neuem sinnvoll zu verbinden.
Waldemar Geiger