Der Einsatz von Drohnen als Aufklärungs- sowie Wirkmittel hat seit der russischen Invasion in der Ukraine auf beiden Seiten stetig an Bedeutung gewonnen. Die Nutzung von Drohnen als Kriegsmittel ist nicht neu, doch kann der Krieg in der Ukraine bereits jetzt als Booster für die Entwicklung der Drohnenkriegsführung bezeichnet werden. In den nunmehr zweieinhalb Jahren der Kriegsführung hat sich der Einsatz von Drohnen mehrfach signifikant weiterentwickelt. Wurden in der Anfangszeit oftmals „einfache“ handelsübliche Kameradrohnen eingesetzt, sind diese Systeme aufgrund der Weiterentwicklung der Drohnenabwehr auf der russischen wie ukrainischen Seite heute kaum mehr von Nutzen.
Die neuen „Könige am Himmel“ über der Ukraine sind KI-gestützte taktische Aufklärungs-, Strike-bzw. Jagddrohnen unterschiedlichster Ausprägung. Der Beitrag fasst die aktuellen Entwicklungstrends im Ukraine-Krieg zusammen.
Technologische Trends
Der breitflächige Einsatz von Störsystemen, die entweder den Empfang von Telemetriedaten oder Navigationssignalen unterbinden, hat dazu geführt, dass einfache kommerzielle Drohnen in einem breiten Frontabschnitt de facto nicht mehr zu betreiben sind. Selbst für den militärischen Einsatzzweck entwickelte Drohnensysteme sind trotz gehärteter Kommunikationsverbindungen an ihre Grenzen gekommen, da die leistungsfähigen Störsysteme auch den Einsatz solcher Drohnen behindern oder sogar gänzlich verhindern konnten.
Künstliche Intelligenz (KI)
Um diesem Umstand entgegenzutreten, sind zahlreiche Hersteller dazu übergegangen die eigenen Drohnen zusätzlich mit KI-gestützten Navigations- und Aufklärungssystemen zu versehen. So werden heute unterschiedliche Drohnensysteme in der Ukraine eingesetzt, deren Navigation mittels automatisierter KI-gestützter Objekterkennung und –Identifikation erfolgt und somit eine GNSS-Signal-unabhängigen Positionsbestimmung und Navigation der Systeme ermöglicht. Die Funktionsweise der Technologie ist im Grunde einfach erklärt. Die von der Sensorik der Drohne gewonnenen Bilder werden permanent mit einem aufgespielten georeferenzierten Kartenbild – generiert durch aktuelle hochauflösende Satellitenbilder – abgeglichen und so die Position der Drohne im Raum berechnet. Da das Gefechtsfeld sich stetig verändert (Wetter, Zerstörungen der Infrastruktur durch Gefecht, …), ist die Genauigkeit der Technologie maßgeblich von der Güte der aufgespielten Kartenbilder (Aktualität und Auflösung) sowie der Fähigkeit des Systems, mit möglichst vielen Referenzpunkte arbeiten zu können, abhängig. Allerdings hat die Technologie ihre Grenzen: In Gegenden ohne ausreichende statische Referenzpunkte, wie in der Wüste oder auf dem Meer, kann das System keine Positionsbestimmung durchführen.
Neben der GNSS-unabhängigen Positionsbestimmung kommt KI zudem auch bei der Steuerung der Systeme sowie in der Zielaufklärung zum Einsatz. Ob Koptersystem oder Flächendrohne, zahlreiche Modelle nutzen KI-Bilddatenauswertungsfähigkeiten um die von der Drohnensensorik gewonnenen Bilder auf mögliche Ziele abzutasten und gegebenenfalls sogar zu klassifizieren, viel schneller als es der menschliche Pilot der Drohne dauerhaft vermag. Selbst bei FPV-Einwegdrohnen kommt diese Technologie zum Einsatz, um die FPV-Drohne im Zielendanflug auf das gewünschte Ziel zu steuern. Da beispielsweise viele Fahrzeuge mit Störsystemen ausgestattet sind, die nur im Nahbereich arbeiten, erlauben die KI-gestützten Endanflüge die Ziele auch in der Bewegung zu bekämpfen, selbst wenn die Videoverbindung zum Piloten gestört ist.
Ein weiterer Vorteil dieser Technologie liegt in dem Umstand, dass die KI-befähigte Drohne keine durchgehende Telemetrieverbindung zum Piloten braucht. Sie kann vielmehr einen vorgegebenen Weg abfliegen und bestenfalls selbstständig potenzielle Ziele aufklären. Erst wenn dies erfolgt, kann eine Telemetrieverbindung zum Piloten aufgebaut werden, um diesem das Ziel zu melden. Da die Drohne also nicht dauerhaft funken muss, ist sie deutlich schwerer aufklärbar und somit auch schwerer bekämpfbar.
Gleichwohl ist der Einsatz KI-gestützter Funktionen mit einem Zugang zu der entsprechenden Technologie verbunden. Um die Drohnen mit einer mehr oder minder leistungsfähigen KI zu versehen, müssen die Systeme mit entsprechenden Chips bzw. Software ausgestattet werden. Zudem muss verstanden werden, dass die Qualität und Leistungsfähigkeit der KI-Assistenzsysteme einer gewissen Schwankungsbandbreite. Dem Vernehmen nach gibt es Anbieter mit besser funktionierender KI, aber auch Anbieter wo die Leistungsfähigkeit signifikant geringer ist. Die KI-Qualität für einen vollkommen autonomen Missionsbetrieb der Drohnen, in dem Maße, dass die Drohnen dem ferngesteuerten Betrieb in jeglicher Lage überlegen wären, ist bis dato noch nicht zu beobachten. Dennoch führt der Einsatz von KI in der Drohnenkriegsführung zu einem deutlich spürbaren Leistungssprung der Drohnenkriegstechnik.
Lichtwellenleiter
Eine weitere Technologie, die zu einem ähnlichen Effekt führt, ist die Nutzung von Lichtwellenleitern zur Datenübermittlung zwischen Drohne und Pilot. So war 2024 zu beobachten, dass auf beiden Seiten mit Koptersystemen experimentiert wurde, die über einen hauchdünnen mehrere Kilometer reichenden Lichtwellenleiter gesteuert wurden. Die Spule ist an der Drohne befestigt und wird durch die Bewegung der Drohne ausgewickelt. Die Möglichkeit, die Signalübertragung mittels Lichtwellenleiter zu gewährleisten, macht die Drohne sicher gegen Maßnahmen des elektronischen Kampfes. Es kann zudem davon ausgegangen werden, dass die damit bestückten Systeme im Rahmen ihres Fluges selbst keine Signatur im elektronischen Spektrum emittieren, was auch die Aufklärung und Bekämpfung des Wirkmittels deutlich erschwert.
Ein Masseneinsatz dieser Technologie konnte bis dato jedoch nicht beobachtet werden. Gründe dafür könnten sowohl in der Verfügbarkeit entsprechend vieler und ausreichend langer Lichtwellenleiter als auch in den „Kosten“ der Technologie liegen. Mit Kosten sind hier jedoch weniger die monetären als vielmehr die taktischen Kosten der Technologie gemeint. So kann die Lichtwellenleiter-Drohne nicht weiter fliegen, als das „Kabel“ – meist nur wenige km lang – reicht. Die Flugstrecke ist also auf die Länge des Lichtwellenleiters beschränkt, während eine mittels Funk gesteuerte Drohne durch die Reichweite der Batterie sowie der Funkverbindung limitiert ist. Innerhalb der Funkreichweite kann die Drohne aber solange hin und her fliegen oder Kreise drehen, bis die Batterie leer ist. Bei einer 40 km/h schnellen Drohne mit einer Batterielaufzeit von 30 Minuten könnte eine Flugstrecke von 20 km abgeflogen werden. Ein weiterer Nachteil der Technologie liegt in dem Gewicht der Spule. Dieses Gewicht steht der Drohne für eine andere Nutzlast nicht zur Verfügung. Gleichwohl muss an diese Stelle der Vollständigkeit halber erwähnt werden, dass keine verlässlichen Aussagen über den Umfang der Nutzung möglich sind, da nicht alle Drohneneinsätze gefilmt und ins Netz gestellt werden.
Automatisierung
Darüber hinaus ist zu beobachten, dass immer mehr Automatisierung in die Steuerung der Drohnen Einzug findet, die den Einsatz selbst ungeschultem Personal zugänglich machen soll. Renommierte Hersteller von taktischen Drohnen und Loitering Munition bieten seit mehreren Jahren eine Steuerung der Systeme mittels weniger Klicks an. Schließlich müssen auch Soldaten ohne langwierige Ausbildung oder besondere Qualifikationen in der Lage sein, die Systeme im Gefecht nutzen zu können.
Seit nunmehr mehreren Monaten ist jedoch vermehrt zu vernehmen, dass auch „Garagenhersteller“ – insbesondere FPV-Drohnen werden oftmals durch zahlreiche Freiwillige oder Kleinstunternehmen gefertigt – ähnliche Funktionalitäten in ihren Drohnen integrieren. Insbesondere der Einsatz von schwer zu steuernden FPV-Drohnen hat Potenzial, durch solche „Flugassistenten“ signifikant vereinfacht zu werden.
Ein hoher Automatisierungsgrad gilt zudem als Grundvoraussetzung für den Einsatz größerer Drohnenschwärme, um beispielsweise die gegnerische Luftverteidigung zu Übersättigung. Ein rein durch Menschen gesteuerte, synchronisierte Attacke von einer dreistelligen Anzahl an Drohnen, so wie sie im Ukrainekrieg immer wieder vorkommt, ist ohne Automatisierung kaum bis gar nicht durchführbar.
Taktische Trends
Neben den aufgeführten technologischen Trends lassen sich in den letzten Monaten in der Ukraine auch mehrere taktische Trends der Drohnenkriegsführung beobachten.
Kombinierter Einsatz
Einer dieser Trends ist der kombinierte Einsatz von unterschiedlichen Drohnentypen. Ein Beispiel dafür ist der Einsatz von Langstrecken-Einwegdrohnen gegen Ziele tief in der Ukraine bzw. in Russland im Zusammenspiel mit Täuschdrohnen, die die gegnerische Luftverteidigung überlisten bzw. übersättigen sollen. Dem am 16. Oktober 2024 erschienen CNN-Bericht „Exclusive: Inside a secretive Ukrainian drone unit targeting Russian territory“ zufolge, der auf Basis eines Zuganges der CNN-Reporter zu einem Drohneneinsatzteam des ukrainischen Militärgeheimdienstes GUR erstellt wurde, wurden bei einem beobachteten Einsatz ukrainischer Drohnen gegen mehrere Ziele in Russland, darunter eine Munitionsdepot, über 100 Einwegdrohnen eingesetzt. Neben den primären Wirkdrohnen vom Typ AN-196 Liutyi – die bis zu 250 kg Nutzlast tragen kann – bestand rund 30 Prozent der eingesetzten Drohnenflotte aus Täuschdrohnen. Auch auf russischer Seite kann eine ähnliche Taktik beobachtet werden. So wurde im Juli 2024 erstmals der Einsatz von als Gerbera bezeichneten Drohnen dokumentiert. Diese Drohnen werden in Verbund mit Langstrecken-Einwegdrohnen des iranischen Typs Shahed-136 – in Russland als Geran-2 bezeichnet – gestartet und verfügen über keine Nutzlast. Ziel des Gerbera-Einsatzes ist offenbar, die ukrainische Flugabwehr zu täuschen und so Lücken für die Shahed-Drohnen zu schaffen.
Der kombinierte Einsatz ist auch im Fronteinsatz zu beobachten, hier aber in einer anderen Kombination. Bereits seit 2023 konnte beobachtet werden, dass taktische Aufklärungsdrohnen zur Zielaufklärung sowie zum sogenannten Battle Damage Assessment genutzt werden, während die Bekämpfung der Ziele durch FPV-Drohnen erfolgt. Jüngst ist zu vernehmen, dass die FPV-Drohnen – im Grunde umfunktionierte Renndrohnen, die mit einer Wirkmittelnutzlast aufgerüstet wurden – vermehrt durch sogenannte Strike-Drohnen ersetzt werden. Dabei handelt es sich um spezifisch für den Einsatzzweck der günstigen und gleichzeitig präzisen Punktzielbekämpfung entwickelte Einwegdrohnen.
Jagddrohnen
Taktische Aufklärungsdrohnen stellen für die Luftverteidigung beider Parteien eine Herausforderung dar. Ihre vergleichsweise geringe Größe verbunden mit der daraus einhergehenden geringen Radarsignatur – sowie teilweise auch eine nicht vorhandene oder geringe elektromagnetische Signatur (siehe Abschnitt Künstliche Intelligenz) – führt dazu, dass die Drohnen schwer aufklärbar sind. Selbst wenn die Drohnen am Himmel entdeckt werden, ist ihre Bekämpfung schwierig. Die leistungsfähigen Optiken der Drohnen erlauben es selbst leichten Drohnen mit einem Abfluggewicht von 10 bis 25 kg eine taktische Luftaufklärung aus einer Höhe von ein bis zwei km, was eine Bekämpfung mittels Flugabwehrkanonen fast unmöglich macht, wenn die Drohne nicht in unmittelbarer Nähe der Kanone fliegt. Gleichzeitig ist die Bekämpfung solcher Systeme mittels Flugabwehrraketen nicht auf Dauer praktizierbar. Moderne taktische Aufklärungsdrohnen westlicher Bauart mit einem Abfluggewicht von 10 bis 20 kg wie beispielsweise die Vector des deutschen Herstellers Quantum Systems oder die Puma des US-Herstellers AeroVironment kosten Medienberichten rund 200.000 bis 250.000 Euro pro Drohnensystem. Russische Systeme die für einen vergleichbaren Einsatzzweck genutzt werden, sollen weniger als die Hälfte kosten. Der aktuelle Preis für einen Stinger- Flugabwehrflugkörper liegt bei rund einer Million US-Dollar. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis erste günstige, drohnenbasierte Drohnenabwehrsysteme das Licht der Welt erblicken würden.
So kann in den letzten Monaten zunehmend der Einsatz von sogenannten Jagddrohnen, zurzeit jedoch fast ausschließlich auf ukrainischer Seite, als neues Drohnenabwehrmittel beobachtet werden. So gibt beispielsweise Wild Hornets, eine sich aus Spendengeldern finanzierende Organisation zur Herstellung von Drohnen, in einem Beitrag am 10. Oktober 2024 auf der Plattform X an, in den letzten drei Monaten 1.000 zu Jagddrohnen modifizierte FPV-Drohnen an die ukrainischen Streitkräfte übergeben zu haben. Des Weiteren wird behauptet, dass bereits 200 russische Aufklärungsdrohnen mit diesen Systemen im Flug zerstört werden konnten. „Nach bestätigten Berichten haben diese Drohnen 200 russische Aufklärungsdrohnen abgeschossen. Da jedoch nicht alle Aufnahmen von erfolgreichen Angriffen veröffentlicht werden, ist die tatsächliche Zahl der Treffer höher. Außerdem wurden noch nicht alle Abfangdrohnen eingesetzt – mehrere hundert warten noch auf ihren Einsatz“, heißt es in dem Beitrag. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben nicht, gleichwohl wird als Beweis ein Videozusammenschnitt veröffentlicht, der etliche erfolgreiche Abfangversuche zeigt.
Die Gruppe gibt weiter an, dass sich 1.000 weitere Jagddrohnen in Produktion befinden, die in den letzten drei Monaten kampfwertgesteigert wurden. Die Kommunikationsübertragung wurde verbessert, die Geschwindigkeit und die Flugzeit erhöht sowie die Produktion von Flugabwehrdrohnen für die Nacht hochgefahren. Zudem gibt Wild Hornets an, mit der Serienproduktion von Shahed-Abfangjägern übergegangen zu sein, das erste Los der „Hochgeschwindigkeits-Jagddrohnen“ befindet sich der Gruppe zufolge in der Vorbereitung.
Das Auftauchen dieser Jagddrohnen führt dazu, dass sich Hersteller von Aufklärungsdrohnen wiederum Gedanken machen, wie die eigenen Systeme gegen Abfangdrohnen geschützt werden können. Der in Bayern ansässige Hersteller Quantum Systems beispielsweise, welcher im Auftrag der Bundesregierung bis Mitte Oktober 2024 rund 350 Aufklärungsdrohnen vom Typ Vector an die ukrainischen Streitkräfte geliefert hat, hat einem Beitrag seines CEOs auf der Plattform LinkedIn vom 15. Oktober 2024 zufolge eine folienbasierte Nachrüstungsoption für die Vector-Drohnen in Vorbereitung, die die optische Aufklärung der Drohnen – viele Jagddrohnen arbeiten mit KI-Bildaufklärung – erschweren soll (siehe Titelbild). Merkmale der Tarnfolien sind ein „superleichtes Gewicht“, so dass die Flugeigenschaften der Drohne nicht verändert werden sowie verschiedene Farbschemata die je nach Saison und Geografie abgestimmt auf die Drohne aufgeklebt werden können. Den Aussagen von Quantum Systems zufolge wurde das Konzept bereits getestet und hat nachweislich die Aufklärung der Systeme erschwert.
Fazit
Der Ukraine-Krieg, genauso wie viele Kriege zuvor, dient als Beschleuniger für die Entwicklung militärischer Technologien. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich auch die Entwicklung der „relativ“ neuen Drohnenkriegsführung quasi überschlägt. Systeme und Einsatzkonzepte des Vorjahres sind im Folgejahr praktisch unbrauchbar.
Daher kann mit großer Gewissheit angenommen werden, dass das Ende der Entwicklung noch nicht erreicht wurde, wenn der Krieg auch im Folgejahr mit gleicher Intensität fortgeführt werden sollte. Ein Umstand, der jedem Planer und Rüster einer am Krieg nicht beteiligten Nation Schweißperlen auf die Stirn treibt. Einerseits sollte es heute mittlerweile jedem bewusst sein, dass Drohnen elementarer Bestandteil der modernen Kriegsführung geworden sind und es auch höchstwahrscheinlich bleiben werden. Somit besteht ein großer Bedarf, die eigenen Streitkräfte mit entsprechenden Mitteln auszurüsten. Gleichzeitig sorgt das rasante Entwicklungstempo der Drohnenkriegsführung dazu, dass jegliche eingeführte System schon morgen „veraltet“ sein könnte, egal wie schnell die Beschaffung läuft. Ein Dilemma aus dem bis dato kein zufriedenstellender Ausweg gefunden werden konnte.
Waldemar Geiger