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Ukraine-Krieg – Aufstieg und Niedergang der Drohnenkriegsführung?

Waldemar Geiger

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Der aktuelle in der Ukraine tobende Krieg hat viele Facetten, eine davon ist die zunehmende Rolle sowie das rasante Entwicklungstempo der Drohnenkriegsführung. Auch wenn der massenhafte Einsatz von Drohnen unterschiedlicher Ausprägung das Kriegswesen letztendlich nicht revolutioniert hat, haben die unbemannten Systeme dem Waffengang in der Ukraine ihren Stempel aufgedrückt. Für viele Armeen der Welt stellt sich daher zurecht die Frage, wie auf diese Entwicklung reagiert werden soll bzw. ob der massenhafte Drohneneinsatz die Zukunft der Kriegsführung darstellen wird.

Ohne einen tiefen Blick in die nichtvorhandene Kristallkugel lassen sich diese Fragen sicherlich nicht mit absoluter Eintrittswahrscheinlichkeit vorhersagen. Dennoch lassen sich auf Basis der Beobachtungen des aktuellen Kriegsverlaufes einige Ableitungen treffen.

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Vorausgestellt werde muss der Hinweis, dass jede Schlacht und jeder Krieg durch sehr spezifische Faktoren bestimmt wird. Am Ende unterliegen beide Seiten den Grenzen der eigenen zu dem Zeitpunkt vorhanden Fähigkeiten. Es gilt unter Experten als Konsens, dass beispielsweise ein Krieg zwischen Russland und der NATO vollkommen anders geführt würde, als dies derzeit in der Ukraine zu sehen ist. Es ist daher nicht ratsam, die aus der Ukraine gewonnen Erkenntnisse 1 zu 1 für allgemeingültig zu erklären. Die groben Entwicklungslinien – wie beispielsweise die Wichtigkeit einer bestimmten Technologie oder Truppengattung – sind dennoch von Belang.

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Bisherige Entwicklung der Drohnenkriegsführung

Die erste relevante Erkenntnis der Drohnenkriegsführung war bereits nach wenigen Wochen sichtbar.

„Niedergang“ der MALE-Drohnen

Vergleicht man beispielsweise den Krieg um Bergkarabach im Jahre 2020 und den Krieg in der Ukraine seit Anfang 2022 kann man feststellen, dass größere Kampfdrohnen der MALE-Klasse (Medium Altitude Long Endurance) – trotz des anfänglichen Hypes um die Bayraktar-Drohne – praktisch keine wesentliche Rolle spielen. So sind zwar in den ersten Kriegswochen Einsätze von MALE-Drohnen auf beiden Seiten dokumentiert, kurz danach sind diese gänzlich aus der Berichterstattung verschwunden.

Der Grund dafür ist einfach: die Flugabwehrfähigkeit der russischen und ukrainischen Streitkräfte. Im Gegensatz zu Armenien verfügten und verfügen sowohl die russischen als auch ukrainischen Streitkräfte über erhebliches Flugabwehrpotenzial. Beginnend mit schultergestützten MANPADS bis zu Langstreckenluftverteidigungssystemen. Die langsamen und hoch fliegenden Drohnen verfügen zudem über keine nennenswerten Selbstschutzsysteme und konnten daher einfach geortet und bekämpft werden.

De facto spielen solche Drohnen in der aktuellen Kriegslage keine tragende Rolle, was nicht zu dem Missverständnis verleiten sollte, dass diese generell keinen Platz im Arsenal moderner Streitkräfte haben. Als primäre Sensor- oder Wirkmittelträger in hoch intensiven Kriegen mit ausgeprägten Flugabwehrfähigkeiten wird man solche Systeme höchstwahrscheinlich nicht sehen.

Auf- und „Abstieg“ kommerzieller Drohnen

In einem zweiten Schritt war der Aufstieg kommerzieller Kleinstdrohnen im Ukraine-Krieg zu beobachten. In Ermangelung ausreichender militärischer Aufklärungsdrohnen haben insbesondere die ukrainischen Verbände zahlreiche Kleinstdrohnen – zumeist mit Kamerasystemen ausgestattete Kopterdrohnen – für Aufklärungszwecke bis auf die unterste taktische Ebene eingesetzt. Spätestens im Sommer 2022 folgten dann auch die russischen Streitkräfte.

Zudem waren erste Bemühungen der Bewaffnung solcher Drohnen erkennbar. Zunächst jedoch in der Rolle als leichte „Bomberdrohnen“. Dazu wurden solche Systeme mit einzelnen Handgranaten oder ähnlichen Wirkladungen versehen. Die Drohnen haben ihre „Nutzlast“ dann auf gepanzerte Fahrzeuge oder Schützenstellungen abgeworfen. Später wurden auch schwerere Bomberdrohnen, zumeist auf Basis von Agrardrohnen, mit größerer Nutzlast eingeführt. Solche Systeme konnten mehrere Effektoren gleichzeitig tragen und so mehrere Ziele hintereinander bekämpfen.

In einer nächsten Entwicklungsschleife wurde damit begonnen, mittels einer Videobrille von einem Piloten in Echtzeit gesteuerte Renndrohnen mit Panzerabwehrsprengköpfen zu bewaffnen. Solche sogenannten FPV-Drohnen – das FPV steht für „First Person View“ oder auf Deutsch „Ich-Perspektive“ – verfügen zwar über keine nennenswerte Aufklärungsleistung können aber im Verbund mit Aufklärungsdrohnen selbst Kampfpanzer bekämpfen. Dazu werden mittels Aufklärungsdrohnen ermittelte Ziele kurze Zeit später durch FPV-Drohnen angeflogen und zerstört.

Beide Seiten reagierten auf diese Entwicklung und führten unterschiedliche Systeme des elektronischen Kampfes (EloKa) – von handgehaltenen „Störer-Gewehren“ bis zu in der Fläche wirkenden leistungsstarken EloKa-Systemen – ein. Erste Auswirkungen dieser Maßnahmen konnten bereits 2023 beobachtet werden. Waren die militarisierten Zivildrohnen von Anfang an in vielen Fällen ein Hilfskonstrukt für nicht vorhandene Militärdrohnen, wurde der Einsatz solcher Systeme durch die Verbreitung von Mitteln der EloKa oftmals gänzlich gestoppt.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass die elektronische Kriegsführung im Ukraine-Krieg sehr heterogen ist. Es gibt Frontabschnitte und Zeiträume, in denen elektronische Kampf dermaßen leistungsstark betrieben wird, dass jeglicher Drohnenflug – egal ob von kommerzieller oder militärischer Drohne – unterbunden wird. Gleichwohl gibt es auch Teile der Front, wo die EloKa weniger wirkt und solche Systeme weiterhin eingesetzt werden. Zudem gibt es Unterschiede in der Art und Weise der elektronischen Kriegsführung, welche vom Stören des Navigationsempfangs bis hin zum Blockieren jeglicher Kommunikationssignale reichen kann.

Mit fortlaufender Kriegsdauer ist es zudem nicht ausgeschlossen, dass von beiden Kriegsparteien immer weitere und leistungsfähigere EloKa-Mittel eingeführt werden und die Drohnenabwehrfähigkeiten – dazu zählen neben Störsystemen auch kinetisch wirkende Waffen und der Einsatz von Abfangdrohnen – verstärkt werden. Eine solche Entwicklung würde der Nutzung von „einfachen“ Drohnen höchstwahrscheinlich den Rest geben. Kommerzielle Drohnen sind zwar günstig, aber auch vergleichsweise einfach aufzuklären und zu bekämpfen, wenn die dafür notwendigen Mittel in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen.

Träfe diese These ein, wäre der Bedarf für solche Drohnen dennoch vorhanden. So könnten solche Systeme beispielsweise weiterhin Aufgaben im rückwertigen Raum, dort wo nicht mit EloKa-Maßnahmen zu rechnen ist, übernehmen.

Militärische Drohnen

Für den militärischen Drohnenbetrieb speziell entwickelte Drohnen sind zwar deutlich teurer, aber auch leistungsfähiger. Die Entwicklung solcher Systeme hat in den letzten zwei Jahren einen deutlichen Schub erhalten.

Moderne Systeme verfügten bereits vor dem Ukraine-Krieg über eine leistungsfähige Sensorik und Hardware. Im Rahmen des Kriegseinsatzes im Ukraine-Krieg wurden jedoch einige Schwächen solcher Aufklärungsdrohen offenbart, die die Hersteller Schritt für Schritt auszumerzen versuchen. So wurde beispielsweise sehr schnell sichtbar, dass auch als „gehärtet“ angepriesene Aufklärungsdrohnen von etablierten Herstellern aus NATO-Ländern sehr schnell an ihre Grenzen gekommen sind und praktisch unnütz wurden, sobald sie in einem Einsatzraum mit russischen EloKa-Aktivitäten operieren sollten. Ohne eine gesicherten Navigationsempfang oder der Möglichkeit einer Datenverbindung zwischen Pilot und Drohne konnte auch die große Masse westlicher Aufklärungsdrohnen nicht eingesetzt werden. Dies führte dazu, dass Aufklärungsdrohnen noch weiter gehärtet wurden und neue Wege gesucht und vereinzelt auch gefunden wurden, Drohnen auch innerhalb eines Einsatzraumes mit umkämpftem elektronischem Spektrum zum Einsatz zu bringen. Die Navigation mittels Bildabgleich, ein höherer Autonomiegrad und der teilweise Verzicht auf die Echtzeitaufklärung spielen hierbei eine wichtige Rolle.

Zudem wurde schnell sichtbar, dass die reale Abnutzungsrate solcher Systeme – selbst wenn diese nicht abgeschossen werden – signifikant oberhalb jeglicher Erfahrungen westlicher Streitkräfte im Friedens- oder Stabilisierungseinsatzbetrieb liegt. Dies hat den Effekt, dass „größere“ Drohnen auf beiden Seiten im Rahmen der Aufklärung kaum eine Rolle mehr spielen. Zum Einsatz kommen praktisch nur noch Systeme mit einem Maximalgewicht von rund 25 kg. Diese bieten dem Vernehmen nach das beste „taktische Preis-Leistungs-Verhältnis“. Die Aufklärungsleistung – in puncto Reichweite, Stehzeit und verfügbarer Sensornutzlast – moderner Drohnen ist mittlerweile gut genug, um selbst Zieldaten zu generieren. Gleichzeitig ist der Preis niedrig genug, um solche Systeme auch über einen längeren Zeitraum in größeren Stückzahlen zu beschaffen, damit Verluste durch Abnutzung, Abschuss oder Bedienerfehler ausgeglichen werden können.

Mögliche Zukunft der Drohnenkriegsführung

Man muss sich sicherlich nicht weit aus dem Fenster lehnen, wenn man die Behauptung aufstellt, dass der anfängliche Hype um die Drohnenkriegsführung genauso wie jeder andere Hype um bestimmte Waffensysteme in der Historie der Kriegsführung über die Zeit nachlassen und sich auf einem „normales“ Niveau einpendeln wird. Allein der Umstand, dass der Drohneneinsatz im Ukraine-Krieg heute bereits deutliche schwieriger und komplizierter ist als noch vor wenigen Monaten gibt bereits eindeutige Hinweise darauf, dass sich die bekämpfenden Streitkräfte auf die Thematik einstellen und Maßnahmen etablieren, um die „Vorherrschaft“ der Drohnen einzudämmen.

Dabei muss bedacht werden, dass sich diese Entwicklung im Laufe eines Krieges vollzieht und zum größten Teil mittels Provisorien, Improvisation und sonstigen Schnelllösungen erreicht wird. Eine systematische Ausrichtung von Streitkräften auf einen Masseneinsatz von Drohnen des Feindes ist bis dato weder von den beiden Kriegsparteien noch von westlichen Streitkräften erfolgt.

Nichtsdestotrotz erarbeiten zahlreiche kluge Köpfe Konzepte und Anpassungen von Einsatztaktiken zur konsequenten Drohnenabwehr. Man stelle sich beispielsweise vor, dass Russland und die Ukraine zu Kriegsausbruch im Februar 2022 über ähnliche Drohnenabwehrfähigkeiten – kinetisch und nicht-kinetisch – verfügt hätten, wie sie es heute tun. Wäre in einem solche Szenario vorstellbar, dass kommerzielle Kleinstdrohnen – egal ob Aufklärungs- oder Wirksysteme – eine ähnlich tragende Rolle gespielt hätten, wie sie es tatsächlich taten, als beide Parteien praktisch schutzlos vor solchen Systemen waren? Vermutlich nicht.

Man stelle sich nun eine Situation in einigen Jahren vor, wenn Streitkräfte sich der Thematik konsequent angenommen und eine aus mehreren Schichten und Wirktypen – Rohrwaffen, Flugkörper, EloKa-Systeme, Abfangdrohnen, … – bestehende Drohnenabwehr aufgebaut haben. Man stelle sich weiterhin eine Situation vor, in der ein jedes Gefechtsfahrzeug und jedes taktische Element über eine integrierte Selbstverteidigungsfähigkeit gegen Drohnen im absoluten Nächstbereich verfügt. Selbst Drohnen mit geringer Signatur (visuell, Radarquerschnitt, akustisch und elektromagnetisch) hätten es schwer, gegen einen solchen Gegner zu operieren und wären einem ähnlichen Risiko ausgesetzt wie die MALE-Drohnen zu Beginn des Ukraine-Krieges. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis eines Drohneneinsatzes würde in einem solchen Fall immer unwirtschaftlicher werden. Drohnen würden dann höchstwahrscheinlich weiterhin eingesetzt werden und signifikant zum Erfolg beitragen, vermutlich aber in deutlich geringeren Stückzahlen als es heute der Fall ist.

Tritt so ein Fall ein, würde der Ukraine-Krieg den Peak der Drohnenkriegsführung bedeuten. Dann würde der aktuelle Krieg tatsächlich den Aufstieg und Niedergang der Drohnenkriegsführung kennzeichnen. Wobei der Niedergang nicht die gänzliche Bedeutungslosigkeit von Drohnen zur Folge hätte, sondern wie bereits beschrieben ein Einreihen in das „übliche“ und zu anderen Waffensystemen vergleichbare Bedeutungsniveau.

Damit diese Fall eintritt, braucht es aber auch Streitkräfte, die den Aufbau einer leistungsfähigen Drohnenabwehr in Angriff nehmen und diese konsequent auf allen Ebenen und in allen Bereichen implementieren.

Waldemar Geiger