Bis Ende der 80er Jahre verfügten die NATO-Partnerländer über umfangreiche Kenntnisse und Konzepte zum Aufbau von Sperren sowie zum Kanalisieren und Verzögern von gegnerischen Angriffen. Nach dem Abbau dieses Know-hows in den vergangenen Dekaden rückt es nun erneut in den Fokus der Planer. „Wir brauchen wieder Sperrfähigkeiten“, betonte Oberst Niels Janeke am Mittwoch am Rande des 8. Industry Days – einer Pionierfachmesse – in Ingolstadt. Janeke leitet das Military Engineering Centre of Excellence (MILENG COE) der NATO, das auf dem Gelände des Ausbildungszentrums Pioniere in der bayerischen Stadt angesiedelt ist und sich unter anderem um Doktrin und Ausbildung für das Bündnis kümmert. Im Rahmen eines Seminars diskutierten Soldaten aus den NATO-Staaten mehrere Tage über das Thema „Counter Mobility in Colletive Defense Land-Based Operations“.
Nach dem Ende des Kalten Krieges sei das Wissen um die Errichtung von Sperren nicht mehr benötigt worden, sagte Janeke. Aufgrund der veränderten Lage an der östlichen NATO-Grenze sind solche Kenntnisse aber wieder stark gefragt. „Und Sperren sind Teil der Vertrauenswürdigkeit unserer Abschreckung“, betonte der Pionier-Experte. Diese können seinen Worten zufolge bereits im Frieden vorbereitet werden und stellen keine Form der Aggression dar, da es sich um passive Maßnahmen handelt.
Viele Nationen greifen dabei auf alte und bewährte Technik zurück. So hat sich auch das deutsche Heer entschieden, das eingemottete Minenverlegesystem 85 mit der Mine DM 31 aus den Depots zu holen und aufzufrischen. Finnland habe sich mit den Niederlanden zu einem Projekt zum Thema Smart Defence zusammengetan, erläuterte Janeke. Dabei sollen unter anderem alte Minen mit intelligenten Multi-Sensor-Zündern versehen werden, die ein- und abgeschaltet werden können.
Janeke wies auch auf die US-Streitkräfte hin, die ihre alten Minensysteme nach aktuellen Standards modernisieren, damit diese den Vorgaben der Ottawa-Konvention entsprechen. Nach dieser Konvention sind reine Personenminen und solche, die nicht räumbar oder nicht selbstsichernd sind, verboten. Es gehe darum, dass Minen immer von Menschenhand und nicht automatisch aktiviert und deaktiviert werden. Damit solle eine so genannte Diskriminierung sichergestellt werden, wie es von der Politik verlangt werde.
Grundsätzlich würde auch an neuen Formen von Sperren gearbeitet, sagte der Pionier-Experte. Das gehe hin bis zu Cyber-Lösungen. Etwa wenn die Dieseleinspritzanlagen gegnerischer Panzer gestört würden. Wichtig sei die fernsteuerbare Abschaltung, die Unterscheidung zwischen Fahrzeugtypen sowie Freund und Feind. Auch die Wiederverwendbarkeit von Minen gewinnt laut Janeke an Bedeutung. Früher mussten seiner Aussage zufolge Minen wieder eingesammelt werden und im Werk mit neuen Batterien ausgestattet werden. Ein mitunter aufwendiges Verfahren, insbesondere wenn es sich um Batterie-Sonderanfertigungen handelt.
Der Einsatz lethaler und nicht-lethaler Wirkmittel sei ein weiteres wichtiges Thema, so Janeke. „Was natürlich immer versucht wird, ist ohne Explosivstoffe auszukommen.“ So sei der Einsatz der Kettensäge zum Fällen von Bäumen noch immer eine Option. Auch könne ein Pionierpanzer den Damm zu einer Brücke wegreißen und damit die Zufahrt blockieren. Eine solche Bausperre zerstöre nicht die wertvolle Infrastruktur. Dagegen seien im Kalten Krieg in Deutschland Brücken noch mit Sprengschächten versehen worden, um diese im Ernstfall mit mehreren hundert Kilogramm TNT zerstören zu können. Damals wurden laut Janeke noch große Kollateralschäden in bewohntem Gebiet akzeptiert, was heute nicht mehr der Fall sei.
Es müssten deshalb andere Möglichkeiten gefunden werden. Hier seien die NATO-Partner in der Pflicht, nach Lösungen zu suchen, sagte Janeke. Dabei brauche man jedoch die „Erfahrung von früher“. Und es sei auch eine Verpflichtung nach NATO-Vertrag, das eigene Territorium zur Verteidigung vorzubereiten. Während Deutschland über diese Fähigkeiten nicht mehr verfügt, verwies Janeke auf Finnland, das weiterhin zur Verteidigung ihres Hoheitsgebietes „in jeder Hinsicht“ vorbereitet sei. Auch die Länder des Baltikums, Polen, Slowenien, Ungarn oder Rumänien hätten auch außerhalb der NATO nationale Verteidigungspläne erarbeitet.
lah/7.12.2017