Verteidigungsminister Boris Pistorius hat bei seinen öffentlichen Auftritten in den vergangenen Wochen immer wieder die Beschaffung von neuen U-Booten der Klasse U212 CD als eine der Top-Prioritäten bei den bis Jahresende anstehenden 25-Mio-Vorlagen genannt.
Medienberichten zufolge liegen die Kosten für vier neue Boote bei rund 4,7 Milliarden Euro, was von Insidern bestätigt wird. Wobei in der Summe bereits Ersatzteilpakete und Training enthalten ist. Wie es heißt, wird kurz nach Bestellung eine Anzahlung von einer Milliarde Euro an Hersteller thyssenkrupp Marine Systems (tkMS) fällig. Das Geld soll unter anderem genutzt werden, um eine zweite Produktionslinie für Unterseeboote am Standort Wismar aufzubauen. Der Zulauf ist dann für die 30er Jahre geplant.
Der Kieler Marineschiffbauer hatte die Werft in Wismar vor wenigen Jahren aus der Konkursmasse des malaysischen Unternehmens Genting gekauft, das an diesem ostdeutschen Standort eigentlich Kreuzfahrtschiffe bauen wollte. Bereits damals hatte tkMS mit den Gewerkschaften den Aufbau einer zweiten Produktionslinie und den damit verbundenen mehreren Hundert Arbeitsplätzen diskutiert. Es fehlten bislang allerdings die Aufträge.
Neben den vier neuen U212 CD für Deutschland, könnten auf der Werft in Mecklenburg-Vorpommern auch zwei weitere norwegische Boote dieses Typs produziert werden. Denn das norwegische Parlament hatte bereits im Sommer die Beschaffung von zwei zusätzlichen Booten gebilligt. Für Beobachter in Norwegen gilt der Kauf von weiteren U212 CD damit als ausgemacht. Offenbar wurde von Anfang an über die Gesamtbeschaffung eines zweiten Loses von sechs Booten verhandelt: vier für die deutsche und zwei für die norwegische Marine. Im ersten Los, das vor wenigen Jahren bestellt wurde, sind dagegen vier Boote für Norwegen und zwei für Deutschland vorgesehen. Dabei sind alle Unterwasserschiffe baugleich – ein Novum in der deutschen Marinebeschaffung.
Wie es heißt, wird trotzdem für den Fall, dass Oslo keine weiteren Boote bei tkMS ordert, rund eine Viertelmilliarde Euro als Ausfallsicherheit auf den deutschen Kaufpreis aufgeschlagen – dieser würde bei einer Order aus Oslo jedoch nicht anfallen.
Das Besondere an dem Vertrag ist, dass die Milliarde Euro Vorauszahlung bei der Aufstellung des Haushalts 2024 gar nicht eingeplant war, sondern offenbar durch Einsparungen im Einzelplan 14 erreicht werden soll. Beobachter gehen deshalb davon aus, dass das für andere Rüstungsprojekte eingeplante Geld in diesem Jahr nicht abfließt – trotz des beschränkten Investitionsanteils im Verteidigungsbudget. Das dieser Mittelabfluss offenbar stockt, kann an Verzögerungen bei der Industrie oder aber an Planungsfehlern im Ministerium liegen.
Die eigentlichen Zahlungen an den Hersteller tkMS sollen dann erst ab dem Ende dieser Dekade starten. Dafür sind außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen, die nur zum Teil durch Einsparungen an anderer Stelle gedeckt sind. Hierbei gehen die Planer offensichtlich von einem steigenden Verteidigungsbudget aus, um die zusätzlichen Milliardensummen aufzubringen.
Begründet wird der – für viele überraschende – Einstieg in die Beschaffung von neuen U-Booten mit der erwarteten Anhebung von NATO-Planungszielen. Hört man sich in Berlin in Fachkreisen um, so soll die Zahl von Waffensystemen für Heer, Luftwaffe und offenbar auch Marine deutlich steigen. Wobei allerdings der größte Zuwachs bei den Landstreitkräften erwartet wird. Während die Deutsche Marine gegenwärtig sechs U-Boote im Bestand hat, dürfte sich die Zielgröße der Bundeswehr für diesen Schiffstyp fast verdoppeln. Wie es heißt, muss Deutschland gemäß den NATO-Fähigkeitszielen ab 2031 mindestens fünf einsatzbereite U-Boote vorhalten.
In der Parlamentsvorlage wird die Anschaffung der zusätzlichen U-Boote als „zeitlich unabweisbar“ und „sachlich unabweisbar“ bezeichnet, da die Bundeswehr andernfalls die neuen NATO-Anforderungen zum besseren Schutz der Nordflanke der Allianz nicht erfüllen könnte.
Wie es heißt, drängt das BMVg auf einen schnellen Vertragsschluss, damit Norwegens Parlament ein klares Signal erhält und den konkreten Kauf-Beschluss Anfang kommenden Jahres treffen kann. Nur so werde sichergestellt, dass der Bau der Boote rechtzeitig begonnen werden könne.
Sollten Berlin und Oslo eine weiteres Los Boote bestellen, würde dies für tkMS einen Auftragseingang von über sieben Milliarden Euro bedeuten und damit Kapazitäten über lange Zeit auslasten. Gleichzeitig würde die Position des Unternehmens beim angestrebten Spin-off vom Mutterkonzern thyssenkrupp verbessert.
Mit dem Kauf von deutschen U-Booten und dem gemeinsamen Betrieb mit der deutschen Marine signalisiert Norwegen, dass das skandinavische Land eine enge Sicherheitspartnerschaft mit Berlin anstrebt. Bei der kürzlich veröffentlichten Shortlist der Länder, mit denen das Königreich den gemeinsamen Kauf und Betrieb neuer Fregatten diskutieren will, findet sich neben den USA, Frankreich und Großbritannien auch Deutschland. Hier geht es offensichtlich um das Design der zukünftigen Fregatte des Typs F 127 von tkMS. Gemeinsam haben Norwegen und Deutschland überdies Kanada die militärische Kooperation in Marinefragen angeboten.
Auch auf Seiten der Rüstungsindustrie werden die Bande zwischen beiden Ländern immer enger. So betreiben der mehrheitlich in Staatbesitz befindliche Konzern Kongsberg und die tkMS-Tochter Atlas Elektronik gemeinsam das Joint Venture kta Naval Systems, das die Führungs- und Waffeneinsatzsysteme für die tkMS-U-Boote entwickelt.
Überdies arbeiten Kongsberg als Konsortialführer sowie MBDA Deutschland und Diehl Defence an der Entwicklung der Seezielflugkörpers Tyrfing, der vermutlich in die Kategorie einer „Deep Strike Precision Missile“ fallen wird. Offenbar soll in Zukunft die Rüstungskooperation weiter ausgebaut und gemeinsam ein neuer Schwergewichtstorpedo entwickelt werden, der dann in die Boote der Klasse U212 CD eingerüstet wird. Vermutlich wären auch hier wieder Atlas Elektronik und Kongsberg die Hauptakteure.
Profitieren würden deutsche Unternehmen davon, wenn die gemeinsame Flotte von einem Dutzend U212 CD in Zukunft – so wie geplant – mit neuen Waffensystemen wie dem Anti-Torpedo-Torpedo Seaspider oder dem Luftverteidigungssystem IDAS ausgestattet werden. Für die finale Entwicklung von IDAS ist eine 25-Mio-Vorlage für dieses Jahr vorgesehen.
Das gemeinsame Interesse Norwegens und Deutschlands auf militärischer Ebene zu kooperieren, dürfte nicht zuletzt auf den engen und strategischen Wirtschaftsbeziehungen fußen. So sind im Jahr 2022 rund 28 Prozent aller norwegischen Ausfuhren nach Deutschland, dem seinerzeit wichtigsten Exportmarkt, gegangen. Bei den Einfuhren steht Deutschland dagegen nur für 11,4 Prozent der Importe und damit nach Schweden und China an dritter Stelle.
Im Jahr 2023 exportierte Deutschland Waren im Wert von 9,1 Milliarden Euro in das skandinavische Land, importierte allerdings für 30,5 Milliarden Euro Güter von dort. Hauptimportgüter aus Norwegen sind Gas und Öl.
Im Jahr der russischen Invasion in die Ukraine 2022 hatte Deutschland sogar Waren für rund 63 Milliarden Euro und damit 225 Prozent mehr als im Vorjahr (19,4 Milliarden Euro) bezogen. Norwegen hat – also auch unter Einbeziehung der Preiseffekte in jenem Jahr – dazu beigetragen, dass die Lichter in Deutschland nicht ausgingen.
Im vergangenen Jahr deckte Deutschland laut Bundesnetzagentur 43 Prozent seines Gasbedarfs in Norwegen. Transportiert wird das Gas zum Endverbraucher via Pipelines.
Berücksichtigt man den Fakt, das Norwegens Öl- und Gasförderung offshore, also im Seegebiet rund um das Land stattfindet und dazu sehr große Anlagen benötigt werden, wird klar, welches Sicherheitsinteresse Berlin und Oslo verbindet.
Nun bleibt abzuwarten, ob die 25-Mio-Vorlage für die neuen U-Boote die Ausschüsse des Bundestags passiert. Schließlich hat die gegenwärtige Minderheitsregierung keine Mehrheit im Parlament und die Union hat offenbar noch einige Fragen und lässt sich bislang alle Optionen offen.
Lars Hoffmann