Der niederländischer Spezialist für Spezialkräftemobilität Defenture hat heute im Rahmen der Eurosatory in Paris erstmals den für leichte Kräfte konzipierten, Shoot&Scoot-fähigen 120-Mörserträger Viper vorgestellt. Das Fahrzeug kombiniert eine hochmobile 4×4-GRF-Radplattform mit einem pneumatisch ausfahrbarem 120-mm-Mörsersystem.
Erfahrungen aus dem Ukrainekrieg belegen deutlich, dass Mobilität maßgeblich zur Überlebensfähigkeit von Feuerunterstützungselementen beiträgt. Es herrscht Konsens, dass feindliche Artillerie- und Mörsersysteme eigenes Mörserfeuer innerhalb von wenigen Minuten erwidern können. Der statische Mörserkampf mit abgesessenen Mörsern aus einzelnen Feuerstellungen würde daher zweifelsfrei zum baldigen Verlust dieser Systeme führen. Die Befähigung zur mobil geführten Feuerunterstützung nach dem Shoot & Scoot-Grundsatz ist daher zur elementaren Forderung für moderne 120-mm-Mörsersysteme geworden.
Als oft genannter Richtwert vor der russischen Invasion in der Ukraine galt in diesem Zusammenhang eine Zeitspanne von etwa drei Minuten. Ab diesem Zeitpunkt drohen massive feindliche Gegenschläge, weil die Feuerstellung mittels UAV, Radar, oder anderen Mitteln aufgeklärt werden würde. Daher sollte eine Feuerstellung spätestens drei Minuten nach dem ersten Schuss verlassen worden sein. Die Erfahrungen in der Ukraine zeigen, dass die Zeitspanne sich je nach Lage sogar auf bis zu einer Minuten verkürzen kann.
Das ist mit abgesessen eingesetzten Waffensystemen nicht zu realisieren und erfordert zwingend die Integration der Mörser in das Fahrzeug. Genau diesen Ansatz verfolgt Defenture mit der Viper, wobei sich der niederländische Hersteller für den Weg der Teilintegration entschieden hat, bei dem die Mörserwaffenanlage zum Feuern auf den Boden abgelassen wird.
Das Prinzip von teilintegrierten Mörsersystemen ist nicht neu. So wurde der Ansatz beispielsweise in den 1960er Jahren genutzt, um den überschweren 2S4 Tulpan (Tulpe) Mörser der sowjetischen Streitkräfte zu entwickeln. Da beim Feuern des 240-mm-Mörsers Rückstoßkräfte von bis zu 400 Tonnen entstehen können, kommen selbst schwerere Kettenplattformen an die Belastungsgrenze. Daher wurde der Ansatz verfolgt, die Rückstoßkräfte über eine Bodenplatte direkt in den Boden abzuleiten. Ähnliche Ansätze erlauben den Verschuss von 120-mm-Mörserpatronen von leichten Fahrzeugen um die Rückstoßkräfte zu kompensieren, welche ohne Dämpfung über 100 Tonnen betragen können.
Waffenanlage der Viper
Die Waffenanlage der Viper besteht aus dem Mörser samt Bodenplatte sowie einer hydraulischen Hebevorrichtung und einer elektrischen Richteinheit. Das Systemgewicht – abhängig von der gewählten Waffenanlage – beträgt 650 bis 750 kg. Um die Rückstoßkraft beim Abfeuern zu minimieren, werden der 120-mm-Mörser und die dazugehörige Bodenplatte über das Heck der Plattform auf den Boden abgesenkt. Die Ableitung der Rückstoßkräfte in den Boden führt dazu, dass der Mörser ohne Strukturbelastung auf das Fahrzeugchassis genutzt werden kann. Dies führt zu einer deutlich geringeren Komplexität des Gesamtsystems (Verzicht auf Dämpfersysteme) und längeren Lebensdauer der Plattform (geringere Belastung).
Der Mörserrüstsatz, entwickelt und hergestellt durch die spanische Escribano Mechanical & Engineering, ist für die GRF-Plattform „maßgefertigt“ worden. Dies führt dazu, dass das Waffensystem mit jedem beliebigen GRF-Fahrzeug kompatibel ist. Der Rüstsatz, bestehend aus der hydraulischen Hebevorrichtung sowie den beiden „Seitenkästen“ auf der Ladefläche, kann auf Nutzerebene innerhalb von zwei bis drei Stunden auf jedes GRF-Chassis montiert werden. Schweißen oder sonstige Eingriffe in die Fahrzeugstruktur sind nicht notwendig.
Als Bewaffnung des Mörserträgers kommt ein gezogenes Mörserrohr 2R2M von Thales zum Einsatz. Die Viper kann 20 Patronen 120-mm-Mörsermunition als Kampfbeladung mitführen. Die Reichweite mit normaler Munition liegt bei 8.100 Metern, mit reichweitengesteigerter Munition (Raketenmotor) kann die Viper auf etwa Entfernung von rund 13 Kilometer wirken. Die Fahrzeugbesatzung besteht aus drei Soldaten: Kommandant, Fahrer/Ladeschütze sowie Richtschütze. Wirkungsfeuer kann innerhalb von 15 Sekunden nach Erreichen der Feuerstellung geschossen werden. Das Anheben der Waffenanlage dauert ebenfalls nur 15 Sekunden, so dass das Fahrzeug anschließend die Feuerstellung sofort verlassen kann. Die Schussfolge liegt bei bis zu einem Schuss pro 5 Sekunden.
Diese Konfiguration der gezeigten Viper ist scheinbar nicht zufällig gewählt und spezifisch auf den Bedarf der niederländischen Streitkräfte abgestimmt, welche sowohl das Fahrzeug als auch den Mörsertyp – jedoch in der gezogenen Variante – im Bestand haben und seit geraumer Zeit modernisieren wollen.
Nach Aussage von Defenture ist die Viper bezogen auf die Waffenanlage modular gestaltet, so dass auf Kundenwunsch jegliches 120-mm-Mörsersystem aufgenommen werden kann. Auch die Aufnahme von 81-mm-Systemen ist möglich.
In der gezeigten Variante der Viper wollte man nach Aussagen von Defenture bewusst eine rein europäische Lösung mit einer rein europäischen Lieferkette präsentieren. Abhängig von der Länge des Mörserrohres ist das Fahrzeug zudem samt Rüstsatz innenlastfähig in einem CH-47 bzw. CH-53 Transporthubschrauber.
Ablauf des Feuerkampfes:
- Nach Erhalt des Feuerkommandos muss das Fahrzeug eine Stellung grob entgegen der Schussrichtung beziehen.
- In einem nächsten Schritt wird der Mörser samt Bodenplatte durch die hydraulische Hebevorrichtung auf den Boden abgesenkt und durch die elektrische Richteinheit in Verbindung mit einem GPS- und Trägheitsnavigationssystem (Inertial Navigation System) auf das Ziel ausgerichtet. Auch eine Messsensorik zur Berücksichtigung des Wetters ist vorhanden. Dies erfolgt alles automatisiert. Gleichzeitig müssen die Soldaten vom Fahrzeug absitzen und die Patronen fürs Feuern vorbereiten.
- Das Laden des Mörsers erfolgt ebenfalls durch die Soldaten außerhalb des Fahrzeuges. Das Nachrichten der Waffenanlage nach dem Schuss erfolgt automatisch.
- Nach dem Abfeuern des letzten Schusses wird das System mittels der Hebevorrichtung zurück auf die Ladefläche gehievt und verzurrt. In diesem Zustand ist das Fahrzeug wieder marschfähig.
In Feuerposition verfügt das System über einen Wirksektor von etwa 120 Grad (60 Grad links und rechts der Grundrichtung). Die Zeitdauer zwischen Fahrzeughalt und erstem Schuss soll Defenture zufolge durchschnittlich 20 Sekunden betragen. Je nach Ausbildungsniveau des Trupps sollen aber auch 15 Sekunden erreichbar sein. Somit wäre es mit dem System und einem eingespielten Mörsertrupp möglich innerhalb von 45 Sekunden die Waffenanlage abzulassen, ein Feuerkommando mit drei Patronen zu schießen und wieder einen abmarschbereiten Zustand herzustellen.
Mobilitätsplattform der Viper
Als Plattform für die Viper dient die bewährte GRF-Plattform (Groundforce) von Defenture. Defenture hat den GRF nach dem Bedarf der Spezialkräfte von Heer und Marine der niederländischen Streitkräfte entwickelt, wo die Fahrzeuge als Vector-terreinwagen ab 2017 in die Truppe eingeführt worden sind. Neben den niederländischen Spezialkräften wurden die Fahrzeuge auch für die Ranger der 11. Luchtmobiele Brigade – ein Luftlande-Infanterieverband zur direkten Unterstützung von Spezialkräften – beschafft. Darüber hinaus haben sich die Spezialkräfte der Schweizer Armee und des Bundesheeres für die GRF-Plattform entschieden.
Der GRF gilt Herstellerangaben zufolge als Hochleistungsplattform in Bezug auf Wendigkeit, Geschwindigkeit, Traktion und Nutzlast. Zusammen mit einer hohen Bodenfreiheit für extreme Geländegängigkeit und einer speziellen 4-Rad-Lenkung ergibt sich ein hohes Maß an Mobilität und Sicherheit.
Das GRF ist auf einem Chassis mit ultrastarkem Zentralträger aufgebaut. Zusammen mit 160 kW-3,2L-Dieselmotor, Acht-Gang-Automatikgetriebe, Allradantrieb und -steuerung und Sitzen für vier oder fünf Personen bleibt das Fahrzeug beim Gesamtgewicht 4,6 Tonnen. Davon sind – je nach integriertem Schutz – bis zu 1,4 Tonnen als Nutzlast verfügbar.
Zur Nutzlast gehören u.a. die persönliche (Infanterie-)Ausrüstung der Besatzungen, Kommunikations- und Aufklärungsmittel, Waffen, weitere Missionsausstattungen und ggfs. zusätzliche Schutzelemente.
Die Waffenlafetten an den Überrollbügeln sind für Waffen in Kalibern von 5,56 mm bis 12,7 mm ausgelegt. Mit Außenabmessungen von 5,1 m x 1,8 m x 1,9 m kann das Fahrzeug in einem Hubschrauber (z.B. CH-47 Chinook) oder in einem ISO 20“-Container transportiert werden.
Technische Daten GRF Länge 5,1 Meter Breite 1,80 Meter Höhe 2,205 Meter bzw. 1,87 Meter mit eingeklappter Drehringlafette Steigfähigkeit 43,5 bis 46,5 Grad (abhängig von der Beladung) Bodenfreiheit 0,34 Meter Nutzlast 1,44 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht 4,6 Tonnen Leistung 160 Kilowatt Maximales Drehmoment 500 Nm Antriebsstrang permanenter 4×4-Allradantrieb Getriebe 8-Gang-Automatik mit manuellem Wählhebel Reichweite 800 Kilometer (Straße)
Waldemar Geiger