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Partnerfirmen haben finales Angebot eingereicht

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Im Vorhaben „Luftverteidigungssystem Nah- und Nächstbereichsschutz (LVS NNbS)“ haben die Partnerunternehmen Rheinmetall, Diehl und Hensoldt nach Abschluss der Verhandlungen mit der Auftraggeberseite den finalen Vertragsentwurf für die Entwicklung abgegeben. Wie Vertreter der drei Unternehmen bei einem Pressegespräch am Donnerstag vergangener Woche in Bonn erläuterten, bildet diese sogenannte „Best and Final Offer“ die Grundlage für die jetzt folgende Behandlung des Vorhabens in den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages. Die parlamentarische Genehmigung soll nach augenblicklichen Plänen spätestens in der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses in diesem Jahr erfolgen. Die ersten Entwicklungsmuster werden den Planungen zufolge in den Jahren 2026 und 2027 zulaufen, die Serienfertigung ist dann ab 2028 vorgesehen.

Vertragspartner des Bundes für den Entwicklungsauftrag ist die 2021 gegründete ARGE NNbS, zu der die Unternehmen Rheinmetall Electronics GmbH, Diehl Defence GmbH & Co. KG und Hensoldt Sensors GmbH gehören. Das Luftverteidigungssystem NNbS soll die derzeitige Fähigkeitslücke beim Schutz von Bodentruppen im Einsatz sowie bei der Absicherung von Gefechtsständen und Liegenschaften gegen Bedrohungen aus der Luft im Nah- und Nächstbereich schließen.

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Nach Angaben der drei Unternehmen war es von Beginn an das Ziel der ARGE, eine Lösung auf Basis von verfügbaren Komponenten möglichst risikoarm bereitstellen zu können. Nicht zuletzt im Ukraine-Krieg zeige sich täglich, welche Bedrohung Drohnen (UAS) und Loitering Munition, Cruise Missiles und Artillerieraketen für die eingesetzten Bodentruppen darstellen.

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Auf die Abwehr der genannten Bedrohungen sei das NNbS-Konzept ausgerichtet, wobei sich das System durch eine hohe Modularität und die Vernetzung der Komponenten des Systems auszeichne, heißt es in einer Mitteilung der ARGE. Es stelle die Anbindung an die integrierte Luftverteidigung und Flugkörperabwehr der NATO sicher und gestattet die zukünftige Einbindung der Systeme IRIS-T SLM und des Flakpanzers Skyranger 30, die der Truppe im Rahmen von Sofortbeschaffungen vorab zur Verfügung gestellt werden sollen.

Diese Durchgängigkeit erhöhe die Wirksamkeit der Luftverteidigung gegenüber Einzellösungen signifikant, heißt es in der Mitteilung weiter. Die Vernetzung der einzelnen Komponenten des Systems und die Anbindung anderer Elemente – sowohl truppengattungs- wie teilstreitkräfteübergreifend – seien richtungsweisend für moderne Waffensystemlösungen.  So sollen den Planungen zufolge die Wirkmittel der kurzen Reichweite, wie der Flugabwehrraketen- sowie Flakpanzer vom Heer betrieben werden, während die Systeme mittlerer Reichweite, also die Iris-T SLM, weiter in der Hoheit der Luftwaffe liegt.

Das System NNbS soll modular gestaltet werden mit Radarsensoren unterschiedlicher Reichweite, elektro-optischen Sensoren sowie Flugkörpern der kurzen und mittleren Reichweite. Später sollen die Fähigkeiten um die Abwehr von Mörsergranaten und Artillerieraketen erweitert werden.

Kosten in Milliardenhöhe

Sollte der Vertrag in diesem Jahr geschlossen werden, könnte die Entwicklung im kommenden Jahr starten. Beobachter gehen davon aus, dass die Kosten dafür bei etwa einer Milliarde Euro liegen dürften.  Als Herausforderung gelten dabei sowohl die enge zeitliche Taktung und die rund 4.000 zu erfüllenden Einzelforderungen. Eine Besonderheit stellt die Forderung für den Kurzstreckenbereich dar, sowohl aus der Fahrt aufzuklären als auch zu schießen. So sollen die für den neuen Flugabwehrraketenpanzer vorgesehenen Iris-T-SLS-Raketen auf dem Marsch gestartet werden. Auch die Führung soll während der Fahrt gewährleistet werden. Die Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg zeigen, dass der Mobilität eine besondere Bedeutung zukommt, um sich gegen feindliche Waffenwirkung zu schützen.

Neben den FlaRakPanzern auf Boxer-Basis – die Entscheidung für diese Variante und gegen ein Konzept auf dem Eagle-LKW wurde Ende vergangenen Jahres getroffen – wird NNbS perspektivisch auch einen neuen Feuerleitpanzer sowie die 30mm-Flakpanzer Skyranger von Rheinmetall auf Boxer-Fahrgestell erhalten. Wobei der Skyranger im Augenblick noch nicht Teil der Entwicklungsbeauftragung sein wird. Hier geht Rheinmetall von einer separaten Beauftragung von zunächst 19 Fahrzeugen im Rahmen einer Sofortinitiative aus, ähnlich wie diese für die Beschaffung von sechs Feuereinheiten Iris-T SLM bereits geschehen ist. Bei der Beauftragung im laufenden Jahr, von der ausgegangen wird, sollen die ersten Skyranger bereits 2025 zulaufen. Geplant ist gegenwärtig einen Skyranger als Prototyp, einen für die Ausbildung, einen für die WTD und dann 16 an die Truppe abzugeben. Logistisch bietet der Flakpanzer den Vorteil, dass er die gleiche Munition wie der Schützenpanzer Puma verschießt. Insider gehen davon aus, dass die 19 Exemplare den Nukleus für weitere Beschaffungen bilden werden.

Weitgehend identische Module

Wie es heißt, werden die drei Boxer-Varianten – Skyranger, FlaRak-Panzer sowie Feuerleitpanzer – über weitgehend identische Missionsmodule und Arbeitsplätze verfügen, um die logistische Versorgung und das Training für die Besatzungen einfacher zu gestalten. So wird in allen drei Fahrzeugen neben dem Fahrer- zwei weitere Arbeitsplätze eingerichtet. Da die Türme für FlaRak- und Flakpanzer unbemannt sind, können diese vergleichsweise einfach auf das Missionsmodul gesetzt werden. Gebaut werden wesentliche Komponenten des unbemannten Turms offenbar bei der Schweizer Tochter von Rheinmetall, bei der am Standort Oerlikon die Kompetenz für bodengebundene Luftverteidigung gebündelt ist. Die Wertschöpfung dort soll allerdings so gestaltet werden, dass keine Probleme beim späteren Export oder Einsatz in Kriegsgebieten aufgrund von Einschränkungen durch die schweizerische Jurisdiktion zu erwarten sind.

Beim FlaRakPanzer hat sich die ARGE nach eigenen Angaben darauf geeinigt, zunächst ein Fahrzeug mit vier Raketenlaunchern – zwei an jeder Turmseite – anzubieten. Grund dafür dürften die Abmessungen der Iris-T SLS sein, die bei rund drei Metern Länge und 90 kg Gewicht liegen. Als Zweitbewaffnung ist eine Granatmaschinenwaffe vorgesehen. Dennoch wird nicht ausgeschlossen, dass womöglich zwei weitere Starter integriert werden könnten oder alternativ Starter für eine kleinere Anti-Drone Missile Verwendung finden.

Bekanntlich hat MBDA mit der SADM (Small Anti Drone Missile) ein solches Konzept – auf Basis des Enforcer-Flugkörpers – bereits vorgestellt. Und auch Diehl plant mit einer so genannten Micro Missile. Von Letzterer soll bereits ein Prototyp existieren, mit dem im vergangenen Jahr Testschüsse absolviert wurden. Angestrebt wird offenbar, Teile aus anderen Produkten – wie Suchzünder aus der Vulcano-Munition – zu verwenden, um die Kosten für die Micro Missile zu drücken. Die Reichweite soll bei etwa 2,5 Kilometern liegen.

Eine solche Anti-Drone Missile könnte zur Bekämpfung von kleineren UAV eingesetzt werden, bei der sich der Einsatz einer Iris-T SLS aus Kostengründen nicht anbietet. Beobachter gehen davon aus, dass der Skyranger als erstes der beiden Flugabwehrfahrzeuge als Zweitbewaffnung zu seiner 30mm-Kanone eine Anti-Drone Missile erhalten wird. Da jedoch noch kein marktreifes Modell existiert, ist zunächst eine Bewaffnung mit dem Stinger-MANPADS vorgesehen. Ob in einer modernen Version als die bei der Bundeswehr eingeführten, ist augenblicklich offenbar noch unklar.

Der FlaRakPanzer wird dem Konzept zufolge nach Verschuss der Iris-T  im rückwärtigen Raum neu aufmunitioniert. Das Fahrzeug selbst wird neben den vier Iris-T in den Werfern keine weiteren Flugkörper tragen können. Während der Neubestückung mit Raketen soll der Panzer nach den gegenwärtigen Vorstellungen der ARGE von einem abgesessenen Stinger-Team gegen Bedrohungen aus der Luft geschützt werden. Ob es sich dabei um Personal aus dem Panzer oder den Logistik-Fahrzeugen handelt, ist noch nicht abschließend geklärt.

Auch MBDA mit an Bord

Obwohl der Flugkörperspezialist MBDA Deutschland nicht Bestandteil der ARGE ist, wird das Unternehmen wichtige Hardware-Komponenten für die Vernetzung von NNbS liefern.

Die beiden Flugabwehrpanzer sollen über ausreichend Sensorik verfügen, um ein eigenes Luftlagebild erzeugen zu können und selbständig Ziele zu bekämpfen. So werden sie AESA-Radare des Typs Spexer von Hensoldt erhalten, für den FlaRakPanzer insgesamt sechs. Die Zielidentifikation erfolgt über den IFF-Abfrager MSSR2000 oder über elektro-optische Zielverfolgung. Für den Selbstschutz ist ein MUSS-Sensorsystem vorgesehen.

Allerdings dürfte bei der Entwicklung großes Augenmerk darauf gelegt werden, dass auch eine Anbindung an das übergeordnete Luftlagebild sowie der Austausch von Daten zwischen den Flugabwehrpanzern sowie dem Feuerleitpanzer erfolgen kann – und das auch in der Fahrt. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass nicht jeder Boxer mit seiner eigenen aktiven Sensorik „strahlen“ muss und damit vom Gegner leicht zu identifizieren ist. Um den Datenfluss zu optimieren, wird Rohde & Schwarz entsprechend leistungsfähige Wellenformen für seine digitalen Funkgeräte entwickeln. Neben der Anbindung ans Luftlagebild der Luftwaffe mit Link 16 soll NNbS auch mit D-LBO des Heeres vernetzt werden.

Während die größten Entwicklungsleistungen bei NNbS auf den Bereich der kurzen Reichweite entfallen, werden im Bereich der mittleren Reichweite Funkgeräte des Typs SVFuA eingerüstet, die IT-Security sowie die Logistik verbessert und ein militärisches GPS integriert. Beim Mittelbereichsradar TRML-4D von Hensoldt ist unter anderem eine Vergrößerung des Zielkatalogs und eine verbesserte Verschlüsselung vorgesehen.

Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg

Beobachter gehen davon aus, dass in die Entwicklung – etwa beim Zielkatalog – die aktuellen Erfahrungen des Ukraine-Kriegs einfließen werden. Schließlich befinden sich dort mehrere Systeme des Typs Iris-T SLM bereits erfolgreich im Einsatz. Das Battle Management System für NNbS wird von Airbus Defence and Space mit IBMS bereitgestellt. Dieses ist dem Hersteller zufolge so offen konzipiert, dass es leicht zu erweitern ist. So sollen langfristig auch der FlaRak- und der Flak-Panzer an IBMS angebunden werden. Dazu müssen unter anderem die Waffenparameter in dem System abgebildet werden. IBMS ermöglicht auch die Einbindung in das übergeordnete Luftwaffen-Führungssystem SAMOC und damit in die NATO-Architektur.

Aus der Ukraine dürfte die deutsche Industrie auch erste Ergebnisse zur Aufgabenteilung zwischen Iris-T SLM und der kleinen Iris-T SLS bekommen. Dem Vernehmen nach sind die ersten Systeme mit Iris-T SLS dort bereits angekommen. Bekanntlich sind die von Schweden bezogenen Gitterstartgeräte auf Fahrzeuge des Typs Iveco integriert worden. Im praktischen Einsatz muss dort die Arbeitsteilung zwischen den beiden Lenkflugkörpern erprobt werden. Anders als bei NNbS verfügen die ukrainischen Iris-T-SLS-Starter jedoch über kein eigenes Radar, sondern müssen die Daten von TRML-4D der Iris-T SLM verwenden. Auch sind die Werfer nicht über IBMS angebunden.
lah/29.8.2023