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Neue Bedrohungen erfordern neue Waffen

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Spätestens seitdem Russland gewaltsam in Europa Grenzen verschiebt und seine Streitkräfte hochrüstet, haben sich die sicherheitspolitischen Parameter in Deutschland nachhaltig verändert. Der Druck auf die Bundeswehr ist damit gestiegen, ihre Ausrüstung und Taktik den neuen Bedrohungen auf dem Gefechtsfeld anzupassen. Wie diese Adaption des deutschen Heeres aussehen könnte, entwirft ein Thesenpapier, das vom Kommando Heer herausgeben wurde und das weit in die Zukunft schaut.

In dem Papier werden zahlreiche vorhandene oder zu erwartende Fähigkeitslücken benannt, die geschlossen werden müssen, wenn die Bundeswehr ihre Abschreckungsfähigkeit wiedererlangen will. Daraus leiten die Autoren Forderungen nach neuen Waffensystemen ab.

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Als neue Bedrohung werden Drohnen – so genannte UAV – unterschiedlicher Größen und unterschiedlicher Fähigkeiten gesehen. In naher Zukunft wird eine Bedrohung durch UAV-Schwärme angenommen, die zu einer Übersättigung der Abwehr führen können. „Die Freiheit zur eigenen Operationsführung in der Dimension Land erfordert einen wirksamen Schutz gegen herkömmliche, aber auch neue Bedrohungen  aus der Luft (z.B. Micro-UAV) vor allem im Nah- und Nächstbereich“, schreiben die Autoren. Diese Fähigkeit müsse mobil und die Truppe begleitend sichergestellt werden.

Industrie arbeitet an Lösungen

Offenbar hat die deutsche Industrie diese Bedürfnisse bereits antizipiert und arbeitet an technischen Lösungen. So bieten bereits mehrere Unternehmen Produkte an, mit denen die Steuerung von Drohnen gestört werden soll.  Sowohl MBDA als auch Rheinmetall entwickeln Laserwaffen, die auch zur Abwehr von Drohnen einsetzbar sind.

Interessante Ansätze verfolgen die Unternehmen TDW und Rheinmetall. Während TDW an einem Geschoss arbeitet, das mittels eines elektromagnetischen Impulses elektrische Komponenten dauerhaft zerstört, entwickelt Rheinmetall eine Mini-Revolverkanone mit Pistolenmunition, die plötzlich auftretende UAV mit einer Kadenz von 3.000 Schuss bekämpfen soll. Als Serienmodell soll das als Volley-Gun bezeichnete Waffensystem inklusive eines hohen Munitionsvorrates weniger als 100 kg wiegen. Somit wäre es als Sekundärbewaffnung von Kampffahrzeugen aber auch zum Selbstschutz von Lkws geeignet. Eine weitere Möglichkeit zur Drohnenbekämpfung bietet die Nutzung  der bereits eingeführten 40mm-Granatwerferwaffe mit ihrer programmierbaren Munition.

Um solche Abwehrwaffen effektiv einsetzen zu können, fordern die Studienautoren leistungsfähige Sensoren. Aufgrund der kurzen Reaktionszeiten, dürfte der Aufklärung der Drohnen und der Feuerleitung eine besondere Bedeutung zukommen, die womöglich nur teilautonom funktionieren kann.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung wird in dem Papier auch der Einsatz eigener (Mikro-) UAV gegen den Gegner gefordert. Es müssten darüber hinaus UAVs sowohl die für die Aufklärung als auch für die Täuschung des Gegners (Simulation von Transporthubschraubern) eingesetzt werden können.

Laut Thesenpapier muss eine gegnerische Kräftekonzentration schnell bekämpft werden. Es sei erforderlich, über „geeignete Aufklärungs- und Wirkmittel“ zu verfügen, um gegnerische Artillerie schnell zu zerschlagen. Außerdem müsse das Heer über Munition zur wirksamen Bekämpfung von Flächenzielen verfügen. Welche konkrete Munitionsart benötigt wird, lässt das Papier allerdings offen. Seit einiger Zeit verzichtet die Bundeswehr auf  so genannte Cluster-Munition. Den Autoren zufolge sollte die Bundeswehr in Zukunft über Mittel zur Abwehr von Artilleriefeuer, zum Beispiel durch kinetische oder elektromagnetische Wirkung verfügen. Ansatzweise wird eine solche Fähigkeit heute bereits durch das System Mantis abgebildet.

Neue Raketen im Gespräch

Die Autoren setzen auch für das Heer auf den verstärkten Einsatz unbemannter Land- und Luftsysteme (UMS) als manned-unmanned-teaming (MUM-T) sowie teilautonome UMS-Schwärme. So könne beispielsweise ein bemanntes mit mehreren unbemannten Teilsystemen verbunden werden, heißt es. Ein Beispiel dafür bietet das jüngst der Öffentlichkeit vorgestellte UGV von Rheinmetall –  ein kleines Radfahrzeug, das ferngesteuert wird oder einer Person folgt und Waffen oder Ausrüstung tragen kann.

Einen weiteren Schwerpunkt für das Heer der Zukunft  legen die Autoren auf die Nutzung von Wirkmitteln, die ohne direktes Richten (non line of sight oder NLOS) eingesetzt werden. Dabei könne es sich um Artillerie, Lenkraketen oder Wirk-UMS handeln. Durch den Einsatz solcher Systeme muss sich der Soldat nicht gegenüber dem Feind exponieren, was seine Überlebensfähigkeit deutlich erhöht. Während endphasengelenkte oder selbstsuchende Artilleriemunition bereits verfügbar ist, befinden sich grundsätzlich NLOS-fähige  Raketen des Typs Mells erst im Zulauf. Wobei diese Waffen im Augenblick noch für die Nutzung in direkter Sichtlinie vorgesehen sind.

Ein Impuls in Sachen NLOS könnte durch die von Frankreich und Deutschland beschlossene Beschaffung von neuen Luft-Boden-Raketen für den Kampfhubschrauber Tiger erfolgen. Hier soll der Flugkörperhersteller MBDA über eine Produktentwicklung nachdenken. Allerdings könnten  auch Diehl und Rafael aus Israel mit einer Spike-Version womöglich eine Alternative bieten.

Voraussetzung für den effektiven Einsatz der Waffensysteme ist jedoch die Einbindung in ein Sensor-Kommunikations-Netzwerk, das im Rahmen von Motako/Motiv entstehen soll. Diese Digitalisierung der Streitkräfte dürfte jedoch die größte Herausforderung darstellen und wesentlichen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des zukünftigen Heeres haben.
lah/20.10.2017