Im Zuge der Ausrichtung der Streitkräfte auf die Landes- und Bündnisverteidigung soll auch das Fähigkeitsprofil des Seebataillons der Deutschen Marine auf eine offensivere Gefechtsführung ausgerichtet werden – mit der höchsten Qualifikation „Maritimer Jagdkampf“.
Im Rahmen der jährlich stattfindenden Historisch-Taktischen Tagung der Marine hatte der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, seinen sogenannten Commanders Intent 2025 am 9. Januar vorgestellt. Die darin geäußerte Absicht des Marineinspekteurs ist es, die Marine, und damit auch das Seebataillon, weiter konsequent mit Fokus zur Landes- und Bündnisverteidigung aufzustellen. „Unsere Marineinfanteriekräfte sind auf maritimen Jagdkampf auszurichten“, heißt es dazu in dem Commanders Intent wörtlich. Weitere Details werden nicht genannt.
Auf Nachfrage von hartpunkt hat ein Sprecher der Deutschen Marine nun eine ausführlichere Erklärung geliefert: „Das Seebataillon der Marine wurde 2014 für den Einsatz im internationalen Krisenmanagement und zur Bündelung spezialisierter maritimer Fähigkeiten aufgestellt. Die Zeitenwende und eine damit einhergehende verteidigungspolitische Richtungsänderung aufgrund einer verschärften Bedrohungslage machen eine fähigkeitsbezogene Neubewertung des Verbandes, mit dem Ziel der klaren Ausrichtung auf die Landes- und Bündnisverteidigung, notwendig. Das Seebataillon soll als land- und seebewegliche Infanterie in Küstengewässern und im küstennahen Raum an Land zum Einsatz kommen. Weitere Auslöser für die Neubewertung waren die Zuweisung neuer Aufgaben aus dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und dem Kurs Marine 2035+ des Inspekteurs der Marine“, so der Sprecher gegenüber hartpunkt.
„Infanteristische Kräfte der Deutschen Marine leisten danach zukünftig einen Beitrag zu amphibischen Operationen und zum Schutz verteidigungswichtiger maritimer Infrastruktur im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung. Diese neugedachten Einsatzverfahren sind für die deutsche Marine, insbesondere für den Ostseeraum, von hoher Relevanz. Manöverelemente werden kleiner, flexibler und hochmobil. Hohe Bedeutung hat dabei die eigene taktische Mobilität auf dem Wasser. Die angestrebte höchste Qualifikation soll dabei der maritime Jagdkampf bilden. Der Jagdkampf ist ein besonderes Einsatzverfahren für infanteristische Kräfte. Dabei kommen meist kleinere und im Wesentlichen auf sich gestellte Einheiten zum Einsatz. Die bereits angeführte Mobilität auf dem Wasser steht dabei repräsentativ für die maritime Prägung. Das Seebataillon vollzieht mit dieser Neuausrichtung einen Wechsel, von der bisherigen eher defensiven Operationsführung mit Schutz- und Sicherungsaufgaben hin zur offensiven Gefechtsführung. Ziel ist der land- und seebasierte Einsatz von Marineinfanteriekräften als Beitrag zur Seekriegführung in Küstengewässern. Die Effekte bilden einen Beitrag zum Einsatz der Flotte und der Interoperabilität mit unseren Partnern“, erklärt der Sprecher weiter.
Jagdkampf
Der Jagdkampf stellt nach Verständnis der Bundeswehr eine besonderen infanteristische Gefechtshandlung dar. Dabei erfolgen kleinere, aufeinander und auf den Operationsplan der übergeordneten Führung abgestimmte Einsätze von Jagdkommandos in einem bestimmten Raum, um Feindkräfte aufzuklären, zu schwächen, zu stören, zu täuschen und zu binden. Der Jagdkampf kann im Rahmen jeder Operationsart – Angriff, Verteidigung, Verzögerung und auch Stabilisierung – geführt werden (gemäß jüngerer deutscher Doktrinen gilt Jagdkampf als eigenständige infanteristische Operationsart).
Im Jagdkampf eingesetzte Kräfte können tief hinter die feindlichen Linien eindringen und ein Mehrfaches ihrer eigenen Stärke binden. Kennzeichen des Jagdkampfes ist der rasche Wechsel zwischen Verbergen und überraschendem Zuschlagen – insbesondere in Form von Handstreichen und Hinterhalten.
Jagdkommandos können hinter den feindlichen Linien die eigene Operationsführung unterstützen, indem sie beispielsweise feindliche Nachschubwege stören oder bedeutende Ziele wie Gefechtsstände ausschalten. Im eigenen Hinterland können Jagdkommandos zum Schutz von Räumen beitragen. Hierbei können sie beispielsweise gegnerische Spezialkräfte oder Sabotagetrupps aufklären und bekämpfen.
Gelände und Wetter begünstigen den Jagdkampf. Sie können dem Feind Sicht und Bewegung erschweren, während sie den eigenen Kräften wiederum überraschendes Zupacken und schnelles Lösen vom Feind erleichtern. Waldgebiete und bergiges Gelände bieten die günstigsten Voraussetzungen. Bebautes Gelände ist weniger gut geeignet.
Träger des Jagdkampfes sind die Jagdkommandos. Deren Zusammensetzung ergibt sich vor allem aus den zu erfüllenden Aufträgen. Allerdings sind Qualität von Führern und Truppe meist wichtiger als die Zahl der eingesetzten Soldaten.
Dass der Jagdkampf durchaus Teil einer größeren Strategie zur Landes- und Bündnisverteidigung bilden kann, ist bei weitem keine Neuerung. Es sei nur an die 1960er Jahre erinnert, insbesondere an die Spannocchi-Doktrin des Österreichischen Bundesheeres und die Heeresstruktur 3 der Bundeswehr.
General Emil Spannocchi und weitere Offiziere entwickelten – teils parallel – zu Beginn der heißen Phase des Kalten Krieges eine Strategie der Raumverteidigung. Diese sah unter anderem vor, Verzögerungsgefechte zu führen und eigenen Raum preiszugeben. Jagdkommandos sollten dann den Kampf gegen den vorgestoßenen Gegner mit Mitteln des Kleinkriegs fortführen. Vor diesem sicherheitspolitischen Hintergrund erfolgte 1963 im Bundesheer der erste Jagdkommando-Grundkurs – die Keimzelle der heutigen Spezialkräfte der Alpenrepublik, die sich seither freilich deutlich zu einem modernen Tier-1-Instrument weiterentwickelt haben.
Etwa im gleichen Zeitraum setzte das Deutsche Heer im Rahmen der Heeresstruktur 3 das „Jägerkonzept“ um. Um den Kampf in panzerungünstigem Gelände führen zu können, gliederten die Großverbände im hessischen Bergland (2. Panzergrenadierdivision) und im Bayerischen Wald (4. Panzergrenadierdivision) zu panzerabwehrstarken Jägerdivisionen um, die abgegebenen Panzer kamen in die auf Korpsebene angesiedelten Panzerregimenter I und II. Auch in der Schweiz gab es in dieser Zeit Überlegungen, wie infanteristische Verbände gegen mechanisierte Gegner erfolgreich kämpfen könnten – maßgeblich vorangetrieben durch Oberstbrigadier Erich Brandenberger. Diese dürften die österreichischen und deutschen Planungen ebenfalls beeinflusst haben.
Maritimer Jagdkampf
Kombiniert man die Erklärung des Marinesprechers und die Grundsätze des Jagdkampfes, können zumindest grobe Rückschlüsse auf eine mögliche Ausprägung des maritimen Jagdkampfes gezogen werden.
Der Hinweis auf die Ostsee und die eigene taktische Mobilität auf dem Wasser deuten darauf hin, dass die derzeit in Beschaffung befindlichen Kampfboote einen wesentlichen Beitrag bei der Verbringung maritimer Jagdkommandos erbringen werden.
Der Gesamtbedarf des Seebataillons liegt den Aussagen des aktuellen Kommandeurs des Verbandes in einem kürzlich erfolgten Interview mit den Kieler Nachrichten zufolge bei 40 Kampfbooten. In einem ersten Schritt werden aber nur 15 marktverfügbare Boote – davon vier fest und Rest als Option – beschafft, mögliche Anbieter wurden Ende März 2024 zur Abgabe sogenannter indikativer Angebote aufgefordert, hartpunkt berichtete. Ursprüngliche Absicht war es, noch in 2024 zum Vertragsschluss zu kommen. Das Ziel konnte jedoch aufgrund von Verzögerungen im Vorhaben nicht gehalten werden. Wie es aus gut unterrichteten Kreisen heißt, sollen die Verhandlung mit der Industrie nun Mitte Februar 2025 beginnen. Ein Vertragsschluss wäre dann nach Billigung einer entsprechenden 25-Mio-Vorlage – abhängig von der Dauer der Regierungsbildung und Verabschiedung des Haushaltes für das Jahr 2025 – im Sommer oder Herbst dieses Jahres möglich.
Mittels der Kampfboote – ein Kampfboot kann rund 20 voll ausgerüstete Marineinfanteristen aufnehmen – könnten Jagdkommandos des Seebataillons in küstennahe Operationsräume einsickern und dort feindliche Nachschubwege stören oder Ziele von hoher Bedeutung angreifen. Die Grundsätze des Jagdkampfes selbst dürften sich nicht von dem der Heeresinfanterie unterscheiden, die wesentlichen Unterschiede des maritimen Jagdkampfes des Seebataillons dürften vielmehr in der Verbringungsart (taktische Mobilität auf dem Wasser) und dem Einsatzgebiet (Küste) liegen.
Waldemar Geiger und Jan-Phillipp Weisswange (Abschnitt Jagdkampf)