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Kritik an Ausbildungskonzept mit Mehrzweckhubschraubern

Der Bundesrechnungshof sieht den Plan der Bundeswehr kritisch, durch die Nutzung von neuen Mehrzweckhubschraubern fehlende Flugstunden bei den Besatzungen von anderen Helikoptermustern wie dem Tiger oder dem NH90 zu kompensieren. „Das BMVg hat nicht sichergestellt, dass es mit dem Kauf von Mehrzweckhubschraubern die Ausbildungslücke auf Einsatzhubschraubern nutzbringend und wirtschaftlich schließen kann“, kommentieren die Autoren des Rechnungshofes in ihren im Dezember veröffentlichten „Bemerkungen 2020 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes“ das Vorhaben des Ministeriums.

Den weiteren Angaben zufolge will das Verteidigungsministerium für den Kauf und Betrieb von bis zu 60 Mehrzweckhubschraubern etwa zwei Milliarden Euro ausgeben und diese bis 2042 betreiben. „20 von diesen möchte es in der Grundausbildung einsetzen. 40 Hubschrauber sollen Anteile von Waffensystemausbildung und Inübunghaltung bei den Teilstreitkräften übernehmen“, heißt es in dem Papier. Dem Vernehmen nach geht es um die Beschaffung des H145M von Airbus Helicopters, der bereits bei der Bundeswehr im Einsatz ist. Das Helikopter-Muster zeichnet sich bislang durch eine hohe Verfügbarkeit aus. Außerdem soll die Maschine deutlich billiger in Beschaffung und Unterhaltung sein als beispielsweise der Kampfhubschrauber Tiger. Die neuen Helikopter sollen offenbar in den Jahren 2024 bis 2027 ausgeliefert werden.

Neues Konzept für fliegerische Ausbildung

Auf Basis der Milliardenbeschaffung solle ein neues Modell für die Hubschrauberpilotenausbildung umgesetzt werden, schreiben die Autoren des Berichts. Es sieht vor, Ausbildungsanteile von Einsatzhubschraubern auf Mehrzweckhubschrauber zu verlegen. Mit diesen plant die Bundeswehr, künftig die Grundausbildung sicherzustellen und die fehlenden Flugstunden auf Einsatzhubschraubern auszugleichen sowie den Umstieg von der Grundausbildung auf den Einsatzhubschrauber zu erleichtern.

 

 

Der  Bundesrechnungshof sieht bei Hubschraubern des Typs NH90 eine beschränkte Verfügbarkeit aufgrund ihrer technischen Komplexität und des damit verbundenen Wartungsaufwandes. Foto: lah

Der Bundesrechnungshof empfiehlt jedoch zunächst eine Prüfung, ob mit den geplanten Mehrzweckhubschraubern ein ausreichender Beitrag geleistet werden kann, um fliegerische Fähigkeiten auf den Einsatzhubschraubern aufzubauen und zu erhalten. „Keinesfalls sollten Mehrzweckhubschrauber beschafft werden, die hierfür nur wenig Nutzen bieten“, warnen die Finanzexperten. Außerdem habe das BMVg den Bedarf an Mehrzweckhubschraubern schlüssig herzuleiten, fordert der Rechnungshof. „Zudem sollte das BMVg prüfen, ob das neue Ausbildungsmodell wirtschaftlich ist.“

Laut Rechnungshof haben die Teilstreitkräfte ihren Bedarf an Mehrzweckhubschraubern allerdings nur überschlägig ermittelt und unterschiedlich begründet: „Sie haben nicht näher untersucht, welche Anteile der jeweiligen Waffensystemausbildung und Inübunghaltung Mehrzweckhubschrauber übernehmen können. Entsprechende Ausbildungskonzepte liegen noch nicht vor.“

Teilstreitkräfte müssen entscheiden

Außerdem habe das Luftfahrtamt der Bundeswehr (LufABw) die Anrechenbarkeit von Ausbildungsanteilen auf dem Mehrzweckhubschrauber noch zu genehmigen, schreiben die Autoren des Papiers.

Nach Angaben des Luftfahrtamtes trifft diese Aussage jedoch nur eingeschränkt zu. Denn die Behörde sei für den allgemein fliegerischen Anteil zuständig. Die Verantwortung für taktische und waffensystemspezifische Ausbildungen beziehungsweise den Erhalt dieser Fähigkeiten obliege dagegen den Teilstreitkräften.

Das Luftfahramt billigt nach eigenen Angaben die Ausbildungskonzepte für den Ersterwerb einer Musterberechtigung. Dies betreffe sowohl den Einsatzhubschrauber als auch einen möglichen Mehrzweckhubschrauber. „Der Erhalt dieser grundsätzlichen Musterberechtigungen ist in den Regelungen des LufABw eindeutig festgelegt und bedarf keiner weiteren Genehmigung seitens LufABw“, teilte das Amt dazu weiter mit.

Die beabsichtigte Verlagerung von taktischen Ausbildungsinhalten vom Einsatzhubschrauber auf einen Mehrzweckhubschrauber müsse dagegen durch die Teilstreitkräfte festgelegt werden und liege nicht in der Zuständigkeit des Luftfahrtamtes der Bundeswehr.

Dienstpläne noch nicht untersucht

In ihren Betrachtungen bemängeln die Prüfer des Bundesrechnungshofes überdies, dass die Teilstreitkräfte nicht untersucht hätten, ob und wie sich der Ausbau und Erhalt fliegerischer Fähigkeiten auf zwei unterschiedlichen Hubschraubertypen mit den Dienstplänen der Pilotinnen und Piloten vereinbaren lässt. „Da sich die Ausbildungsinhalte bei den einzelnen Einsatzhubschraubern deutlich unterscheiden, sind die Anforderungen an einen Mehrzweckhubschrauber vielfältig“, folgert der Rechnungshof.

Ausbildung beginnt mit zivilen Hubschraubern

Die Bundeswehr bildet laut Rechnungshof ihre Hubschrauberpilotinnen und -piloten zunächst zentral auf einfachen zivilen Hubschraubern aus. Nach dieser Grundausbildung wechseln sie in die Verbände ihrer Teilstreitkraft. Dort absolvieren sie eine so genannte Waffensystemausbildung auf ihrem jeweiligen Einsatzhubschrauber.

Nach erfolgreichem Abschluss erhalten sie laut Rechnungshof den Status „Combat Ready“. Damit sind sie auf ihrem Einsatzhubschrauber voll einsatzbereit. Um diesen Status zu erlangen und zu erhalten, müssten sie jährlich eine bestimmte Anzahl an Flugstunden auf ihrem Einsatzhubschrauber nachweisen, die aber vielfach nicht erreicht würden.

„Viele angehende Pilotinnen und Piloten konnten dadurch ihre Ausbildung nach der Grundausbildung nicht fortsetzen. Um zu vermeiden, dass sie ihre gerade erst erlangten fliegerischen Fähigkeiten und damit die Pilotenlizenz verlieren, mietete die Bundeswehr zusätzlich zivile Hubschrauber an“, stellen die Autoren des Berichts fest.

Auf diesen einfachen Hubschraubern sollten die Pilotinnen und Piloten bis zum Beginn ihrer Waffensystemausbildung geschult werden. Die Bundeswehr nenne dieses Verfahren „Professionalisierung“. Trotz dieser Maßnahme erreichten viele Pilotinnen und Piloten nicht das Ausbildungsziel „Combat Ready“ auf ihrem Einsatzhubschrauber, wie aus dem Papier hervorgeht.

Dies habe insbesondere daran gelegen, dass die bei der „Professionalisierung“ absolvierten Flugstunden nicht auf die Waffensystemausbildung angerechnet werden konnten. Beim Heer warteten demnach im Mai 2019 mehr als zwei Ausbildungsjahrgänge auf ihre Waffensystemausbildung. „In den letzten Jahren mussten angehende Pilotinnen und Piloten regelmäßig ihre Ausbildung endgültig abbrechen, weil Flugstunden auf den Einsatzhubschraubern fehlten“, zieht der Rechnungshof eine ernüchternde Bilanz.

Heer, Luftwaffe und Marine nutzen verschiedene Einsatzhubschrauber. Diese haben unterschiedliche Aufgaben, wie Transport von Personal und Material, Aufklärung oder Kampf. Die Einsatzhubschrauber unterscheiden sich daher erheblich in ihrer Größe und ihren Fähigkeiten. So müssen beispielsweise Hubschrauber der Marine über See fliegen und von Schiffen aus operieren.

Beispiel Heer

Die Bundeswehr beschaffte den Angaben zufolge seit dem Jahr 2005 mit dem Kampfhubschrauber Tiger und dem Transporthubschrauber NH90 zwei Einsatzhubschrauber für das Heer und plante den Flugbetrieb mit jeweils 200 Flugstunden jährlich pro Helikopter. Damit wollte sie Einsatzaufgaben, die Pilotenausbildung nach der Grundausbildung sowie Training gewährleisten. „Tatsächlich konnte die Bundeswehr die neuen Einsatzhubschrauber nicht wie geplant nutzen.“

Dies lag nach Angaben des Rechnungshofes an ihrer Störanfälligkeit, häufigen Wartungen und umfangreichen technischen Anpassungen. „Im Jahr 2019 leisteten sowohl Tiger als auch NH90 deutlich weniger Flugstunden als benötigt.“ Die Bundeswehr bemühe sich, die Verfügbarkeit dieser Hubschrauber zu verbessern. Trotzdem rechne sie damit, die Tiger jeweils höchstens bis zu 150 Flugstunden jährlich und die NH90 jeweils lediglich bis zu 120 Flugstunden jährlich nutzen zu können. „Damit fehlen insbesondere Flugstunden für Ausbildung und Inübunghaltung der Hubschrauberbesatzungen.“

Die Bundeswehr führt zurzeit mit dem Sea Lion einen neuen Marinehubschrauber aus dem NH90-Programm ein.  Zudem beabsichtige das BMVg, ältere Bordhubschrauber durch den Kauf weiterer Hubschrauber NH90  – den Sea Tiger – zu ersetzen. „Die technische Komplexität und der Wartungsaufwand der neuen Marinehubschrauber sind ähnlich hoch wie bei den NH90 des Heeres“, prognostizieren die Rechnungsprüfer.  Bei der Marine sei absehbar, dass die neuen Hubschrauber aus dem NH90-Programm nicht ausreichend Stunden fliegen können, um damit neben den Einsatzaufgaben auch die Waffensystemausbildung und die Inübunghaltung vollständig sicherzustellen.

Auch Luftwaffe betroffen

Die Bundeswehr betreibt seit fast 50 Jahren den mittleren Transporthubschrauber CH-53. „Auch dieser Einsatzhubschrauber erreicht aufgrund seines Alters, notwendigen Modernisierungen und einer sehr hohen Störanfälligkeit bei weitem nicht die geforderten jährlichen 200 Flugstunden.“  Der Beschaffungsprozess für ein Nachfolgemuster wurde allerdings vor wenigen Monaten abgebrochen. Die Luftwaffe setzte die Waffensystemausbildung auf dem Transporthubschrauber CH-53 wegen fehlender Flugstunden zeitweise aus, wie aus dem Papier hervorgeht.  „Auch hier hatte sich eine Bugwelle an Pilotinnen und Piloten aufgebaut, für die nicht ausreichend Ausbildungskapazitäten bereit standen.“

Maßnahmen des BMVg

Nach Angaben des Bundesrechnungshofes hat das BMVg eingeräumt, dass in der „Professionalisierung“ geleistete Flugstunden auf einfachen zivilen Hubschraubern kaum für die Waffensystemausbildung hätten angerechnet werden können. Dies habe an der hierfür fehlenden Eignung der Hubschrauber und zu wenig angebotenen Flugstunden gelegen. Im neuen Ausbildungsmodell werde dies verbessert, indem mit den Mehrzweckhubschraubern auch militärische Fähigkeiten ausgebildet und mehr Flugstunden bereitgestellt würden.

Das BMVg habe auch zugestanden, dass es noch nicht näher untersucht habe, welche Anteile von Waffensystemausbildung und Inübunghaltung auf Mehrzweckhubschraubern geleistet werden könnten. Allerdings habe das Ministerium angekündigt, ausstehende Untersuchungen bis zur Entscheidung über die Beschaffung von Mehrzweckhubschraubern nachzuholen. Es geht den Angaben des Bundesrechnungshofes zufolge aufgrund der Erfahrungen im Betrieb von Hubschraubern jedoch davon aus, dass ein Mehrzweckhubschrauber für Teile der Waffensystemausbildung eingesetzt werden kann.

Der Bundesrechnungshof unterstreicht in dem Papier seine Forderung an das BMVg, das neue Ausbildungsmodell nur dann umzusetzen, wenn ausreichend Flugstunden von Einsatzhubschraubern auf Mehrzweckhubschrauber verlegt und auf die Waffensystemausbildung angerechnet werden können. Erst anschließend könne das Ministerium den Bedarf an Mehrzweckhubschraubern ermitteln.

Außerdem erwartet der Bundesrechnungshof, dass das Verteidigungsministerium „schnellstmöglich sämtliche Handlungsoptionen untersucht“, mit denen es der Ausbildungslücke auf den Einsatzhubschraubern begegnen kann, um die Situation der Hubschrauberbesatzungen zu verbessern. „Ausbildungsmöglichkeiten in Simulatoren hat es dabei ebenso wie den Kauf weiterer Einsatzhubschrauber mit zu berücksichtigen.“

Eile sei auch deshalb geboten, weil das Ergebnis der Untersuchungen den Bedarf an weiteren Marinehubschraubern und an schweren Transporthubschraubern für die Luftwaffe beeinflusse. Hinsichtlich der Marinehubschrauber dürfte diese Aussage allerdings mittlerweile überholt sein. Denn das Ministerium wird 31 Sea Tiger als Ersatz für 22 Sea Lynx erwerben.

lah/12/22.12.2020

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