Viele europäische Streitkräfte weisen große Lücken bei der Luftverteidigung auf, darunter auch die Bundeswehr. Vor dem Hintergrund der akuten russischen Bedrohung hat Deutschland deshalb im vergangenen Jahr die European Sky Shield Initiative (ESSI) ins Leben gerufen, in deren Rahmen gemeinsam mit anderen Nationen Waffensysteme zur Abwehr von Bedrohungen aus der Luft beschafft werden sollen.
Mit dem kürzlichen Beitritt von Schweden und Dänemark sind es mittlerweile 17 Nationen, die die entsprechende Technik gemeinsam kaufen, nutzen und warten wollen. Teil des Projektes ist das deutsche „Sofortprogramm Iris-T SLM“, also die kurzfristige Beschaffung des gleichnamigen Luftverteidigungssystems. Hier hat der Generalunternehmer Diehl Defence dem Vernehmen nach mittlerweile ein Angebot für drei Systeme dieses modernen Luftverteidigungssystems als Festbestellung sowie drei weitere als Option dem Bundeswehr-Beschaffungsamt BAAINBw übermittelt. Die Partner sollen auch schon in die Verhandlungen eingestiegen sein. Wie viele Systeme letztendlich geordert werden, dürfte auch davon abhängen, welche weiteren ESSI-Nationen sich an der Beschaffung beteiligen. Gut informierten Kreisen zufolge soll es bereits ernsthafte Interessenten geben. Wie es heißt, müssten sich diese möglichst bis Mitte des kommenden Quartals für eine Teilnahme entscheiden, um beim Sofortprogramm berücksichtigt zu werden. Angestrebt wird, die Systeme bis 2025 auszuliefern.
Ein wesentliches Argument für den Kauf der Iris-T SLM dürfte der erfolgreiche Einsatz in der Ukraine sein. Die dorthin gelieferte Iris-T SLM soll der Industrie zufolge bisher eine Abschussquote von 100 Prozent erreicht haben. Ein erstaunlicher Wert, der allerdings aus Militärkreisen bestätigt wird. Welche Staaten ein Interesse haben könnten, gilt als gut gehütetes Geheimnis. Allerdings dürften alle die in Frage kommen, die bislang über kein anderes System in dieser Reichweitenkategorie verfügen. Eine Reihe von ESSI-Staaten haben bereits das norwegisch-amerikanische NASAMS-Produkt im Bestand oder wollen es erwerben.
Im Rahmen der ESSI soll auch ein Flak-Panzer für die Bundeswehr eingeführt werden. Damit würde die Heeresflugabwehrtruppe eine Renaissance erleben, da der Nächstbereichsschutz in Zukunft wieder in der Verantwortung der Landstreitkräfte liegen wird. Das Besondere an dem Konzept ist, dass es sich nicht um ein Komplett-System wie den Flakpanzer Gepard handeln soll, bei dem ein massiver Turm mit 35-mm-Zwillingskanonen mit einem Leopard-Fahrgestell verheiratet wurde. Vielmehr soll der vergleichsweise leichte Skyranger-Turm von Rheinmetall mit 30-mm-Kanone zum Einsatz kommen. Dieser kann dann auf unterschiedliche Trägerfahrzeuge montiert werden, etwa auf den Radpanzer Boxer für die Bundeswehr oder den Schützenpanzer Lynx für die ungarischen Streitkräfte. Das Konzept soll in zahlreichen Staaten auf Interesse stoßen.
Zusätzlich soll der zukünftige Flak-Panzer sogenannte MANPADS erhalten, mit denen Bedrohungen außerhalb der Reichweite der Kanone bekämpft werden können. Gut informierten Kreisen zufolge hat die Bundeswehr noch kein System ausgewählt. In Frage kommen könnten womöglich die Flugabwehrraketen Stinger, Mistral oder Starstreak. Während die Bundeswehr die Stinger als Fliegerfaust 2 im Bestand hat, ist diese deutsche Variante aufgrund ihres Gefechtskopfs nicht ideal zur Bekämpfung von Drohnen geeignet. Für die Mistral würde sprechen, dass sie bereits von Ungarn genutzt wird und damit auch für eine Skyranger-Lösung gesetzt sein dürfte. Auch andere europäische Staaten nutzen dieses Produkt.
Teil von ESSI ist überdies die Beschaffung des israelischen Raketenabwehrsystems Arrow 3 für die Bundeswehr, für das im Sondervermögen 3 Milliarden Euro eingeplant sind. Hier sollen die Vorbereitungen im geplanten Rahmen verlaufen, mit dem Ziel, im Jahr 2025 das erste System verfügbar zu haben.
lah/1.3.2023