Beim Luftverteidigungssystem Nah- und Nächstbereichsschutz (NNbS), mit dem in Zukunft vor allem die mobilen Verbände der Landstreitkräfte geschützt werden sollen, sind für das Teilprojekt 1 zunächst nur die beiden Lenkflugkörper Iris-T SLM sowie Iris-T SLS vorgesehen. Damit sind allerdings nur Flugziele ab einer bestimmten Größe sinnvoll und kosteneffizient zu bekämpfen.
Die Fähigkeiten zur Abwehr kleinerer Drohnen sollten dagegen erst im Teilprojekt 3 von NNbS und damit in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts – womöglich durch Lösungen mit Kanone oder Laser – aufgebaut werden. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs, bei dem Drohnen als Waffenträger, Aufklärungssensoren oder Loitering Munition eine zentrale Rolle spielen, würde die Weiterverfolgung dieses Ansatzes die deutschen Heereskräfte in den nächsten Jahren schutzlos gegenüber diesen Bedrohungen zurücklassen.
Nachdem die vorgezogene Beschaffung von drei Systemen Iris-T SLM im Rahmen eines gleichnamigen Sonderprogramms mit einer angestrebten Anfangsbefähigung im Jahr 2024 oder 2025 von der Bundeswehr vorangetrieben wird, gibt es gegenwärtig offenbar auch Bestrebungen, einen leistungsfähigen Flugabwehrkanonenpanzer im gleichen Zeitraum einzuführen. Ebenfalls mittels eines Sofortprogramms.
Beide Systeme könnten vorgezogen eingeführt werden und zu einem späteren Zeitpunkt in das Gesamtsystem NNbS integriert werden, so die Vorstellungen. Während die Luftwaffe die Iris-T-SLM-Systeme betreiben würde, müsste das Heer vermutlich die Flak-Panzer bemannen. Diese Arbeitsteilung, die sich zunächst auf die abgesetzt eingesetzte Iris-T SLM und die auf den Begleitschutz ausgelegte Iris-T SLS bezog, wurde bereits vor geraumer Zeit zwischen den Inspekteuren von Heer und Luftwaffe vereinbart, muss aber dem Vernehmen nach noch vom Generalinspekteur gebilligt werden.
IOC bis 2025
Dass eine Initial Operating Capability für Iris-T SLM möglichst bis 2025 erreicht werden soll, dürfte kein Zufall sein. Denn Deutschland hat der NATO zu diesem Zeitpunkt die Einsatzfähigkeit einer funktionierenden Panzerdivision zugesagt. Allerdings ist das Heer nur in wenigen Bereichen so „blank“ wie bei der Luftverteidigung. Hier muss also dringend nachgesteuert werden. Drei Systeme wären deshalb den Planungen zufolge erforderlich, um die Brigaden dieser Division und die Divisionstruppen vor Bedrohungen aus der Luft – wie Starrflügler oder Marschflugkörper – zu schützen.
Was fehlt, ist allerdings der Schutz der sich bewegenden Verbände gegen Bedrohungen aus dem Nahbereich, etwa durch Drohnen. Dafür ist die Fähigkeit zum „counter UAS“ erforderlich, was Flak-Panzer leisten könnten, die die mechanisierten Truppen auf dem Marsch begleiten. Dem Vernehmen nach wird dabei daran gedacht, dass ein Flakpanzer neben seiner Kanone auch Boden-Luft-Flugkörper mitführen soll, um Ziele außerhalb der Reichweite seiner Rohrwaffe zu bekämpfen – typischerweise Drohnen, die selbst Waffen tragen.
Diese Anforderungen deuten in Summe darauf hin, dass nur ein 30mm-Turm in Frage kommt, um auch noch Lenkflugkörper tragen zu können. Ein 35mm-Turm wäre wohl zu schwer. Zumindest wenn der Turm auf einem Radpanzer wie den Boxer montiert werden soll. Und das scheint ein Ziel der Bundeswehr zu sein. Denn im Rahmen der European Sky Shield Initiative (ESSI) stimmen sich die deutschen Planer mit den an ESSI beteiligten Nationen über gemeinsame Beschaffungen ab, um Kosten zu sparen und Synergien zu heben. Ein Turm, der leicht und einfach genug ist, um sowohl in Boxer, Piranha oder Patria-Fahrzeuge integriert zu werden, würde international deutlich an Attraktivität gewinnen. Aber auch eine Montage auf einem Kettenfahrgestell wäre denkbar. So soll Ungarn Überlegungen anstellen, einen solchen Turm auf dem Lynx einzusetzen. Wie es heißt, gab es in diesem Zusammenhang auch bereits einen Austausch zwischen Ungarn und Deutschland auf Amtsebene.
Skyranger als deutsche Option
Das einzige deutsche Unternehmen mit einer umfassenden Expertise bei Flugabwehrkanonen dürfte der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern sein. Bereits vor einigen Jahren hatte das Unternehmen seinen Flak-Panzer Skyranger auf Boxer-Fahrgestell mit einer 35mm-Kanone im scharfen Schuss in der Schweiz vorgestellt, wo am Rheinmetall-Standort Zürich auch wesentliches Know-how für diese Technologie gebündelt ist.
Im Rahmen der internationalen Luftfahrtschau ILA in Berlin im vergangenen Sommer hatte Rheinmetall dann erneut einen Radpanzer Boxer mit einem Skyranger-Turm ausgestattet, der neben einer 30mm-Schnellfeuerkanone mit einem integrierten Flugabwehrraketen-Starter bewaffnet war. Insider gehen davon aus, dass eine Turm-Konfiguration für den deutschen Kunden auf rund 3,5 Tonnen kommen dürfte. Leicht genug auch für andere Trägerfahrzeuge.
Der in Berlin ausgestellte Skyranger 30 mit seinem unbemannten Turm verfügte über eine Oerlikon Revolver-Kanone des Typs KCE-ABM für 30mmX173 Airburst Munition, die eine Kadenz von 1.200 Schuss pro Minute aufweist. Überdies waren vier VSHORAD-Flugkörper integriert sowie ein 3D-AESA-Aufklärungsradar mit einer Abdeckung von 360 Grad. Laut Hersteller hat die Rohrwaffe eine Reichweite bis zu 3.000 Meter, die Flugkörper bis 7.000 Meter. Die Kombination von Kanone und Flugkörper bringt überdies den Vorteil mit sich, dass die sogenannte Totzone des Flugkörpers, in der er nach dem Launch nicht „scharf“ ist, von der Rohrwaffe abgedeckt wird.
Da im Rahmen von NNbS als Radar für das Trägerfahrzeug der Kurzstrecken-Rakete Iris-T SLS ein Produkt von Hensoldt vorgesehen ist, liegt es nahe, dieses Spexer-Radar auch auf einem zukünftigen Flak-Panzer einzusetzen. Denn neben dem logistischen Vorteil von gleichen Komponenten hat der Sensor Fachkreisen zufolge bereits nachgewiesen, dass er auch in der Bewegung des Fahrzeugs Ziele detektieren kann. Eine wichtige Voraussetzung für NNbS, wo der Schuss aus der Bewegung gefordert wird. Wie es von Insidern heißt, steht bei NNbS übrigens in Kürze die Entscheidung an, ob als Trägerfahrzeug für die Iris-T SLS der Boxer mit einer höheren Schutzklasse und einer Sekundärbewaffnung oder der Eagle 6X6 ausgewählt wird.
Erforderlich ist sowohl für den Flugabwehrraketenpanzer oder -LKW, als auch einen potenziellen Flakpanzer neben der Einbindung in das Luftlagesystem der Luftwaffe die Anbindung an das zukünftige Heeres-Kommunikationssystem D-LBO, was offenbar auf Herstellerseite auch bereits berücksichtigt wird.
Air-Burst-Munition mit Vorteilen
Während die der aufgelösten Heeresflugabwehr entstammenden Flakpanzer Gepard – zumindest den sozialen Medien zufolge – sehr erfolgreich in der Ukraine eingesetzt werden, entsprechen seine 35mm-Kanonen nicht mehr dem Stand der Technik. Denn sie sind nicht in der Lage, sogenannte Air Burst Munition (ABM) zu verschießen. Dagegen kann die aktuelle 30mm-ABM-Technologie von Rheinmetall dem Unternehmen zufolge das Projektil beim Rohraustritt so programmieren, dass es nach einer voraus berechneten Strecke detoniert und dabei eine große Zahl von Subprojektilen aus Wolfram freisetzt, die quasi ein schnell fliegende Wolke bilden, die auch kleine Drohnen außer Gefecht setzen kann.
Eine Salve von 18 Schuss, von denen jeder 200 Gramm Subprojektile enthält, erzeugt so ein Salvengewicht von 3,6 Kilogramm. Tödlich für eine Drohne. Da die einzelnen Patronen trotz modernster Fertigung mitunter leicht unterschiedliche Treibladungsmengen aufweisen, unterscheiden sich auch ihre Mündungsgeschwindigkeiten entsprechend. Würden alle Projektile so programmiert, also ob sie die gleiche theoretische Mündungsgeschwindigkeit aufweisen, könnte sich dann erhebliche Abweichungen beim gewünschten Detonationspunkt ergeben. Um dies zu vermeiden, hat Rheinmetall nach eigenen Angaben eine Technik entwickelt, mit der an der Rohrmündung zunächst die tatsächliche Geschwindigkeit gemessen wird und erst danach die Programmierung erfolgt. Das erhöht die Präzision erheblich.
Welche Lenkflugkörper ein zukünftiger Flakpanzer mitführen wird, ist offenbar noch offen. Rheinmetall hat in der Vergangenheit Skyranger 30 mit vier zusätzlichen MANPADS des Typs Mistral gezeigt. Mistral-Hersteller MBDA denkt aber auch an die Weiterentwicklung des beim Heer in Einführung befindlichen Flugkörpers Enforcer nach. Mit dieser „Small Anti Drone Missile“ sollen auf eine Distanz von bis zu 5 Kilometern insbesondere kleine Drohnen bekämpft werden. Vorgestellt wurde der LFK erstmals auf der ILA in Berlin vor wenigen Monaten. An einem Flugkörper mit vergleichbarer Reichweite arbeitet dem Vernehmen nach auch Diehl Defence. Eine solche „Micro Missile“ soll einen Suchkopf ähnlich wie bei Artillerie-Munition verwenden und im Unterschallbereich fliegen. Auch hier ist die Entwicklung jedoch noch nicht abgeschlossen.
Zunächst aber muss die Bundeswehr die Fertigentwicklung eines Flakpanzers beauftragen, bevor man sich über eine dazugehörige Boden-Luft-Rakete den Kopf zerbrechen kann. Die Erkenntnis, dass ein solches Waffensystem dringend benötigt wird, macht Hoffnung. Jetzt bedarf es jedoch der Umsetzung – eine Disziplin in der Deutschland allerdings nur drittklassig ist.
lah/24.11.2022