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Erste Eckpunkte für deutsch-niederländisches Vorhaben TEN

Ende Juni haben sich die Niederlande und Deutschland auf eine Zusammenführung der bislang separat laufenden Digitalisierungsprojekte ihrer Landstreitkräfte geeinigt. Damit wurde die Digitalisierung landbasierter Operationen (D-LBO) in Deutschland und das niederländische Projekt Foxtrot zum Vorhaben Tactical Edge Networking (TEN) verschmolzen. Offenbar haben sich die Partner  mittlerweile auf erste Rahmensetzungen  für das weitere gemeinsame Vorgehen geeinigt.

Für das so genannte Spiral 1 ergibt sich gut informierten Kreisen zufolge  aus organisatorischen und zeitlichen Abhängigkeiten, dass von den im Spiral enthaltenen „Building Blocks“ – das sind Funkgerätefamilie, Battle Management System (BMS) und Core – Deutschland und die Niederlande zunächst nur die digitale Funkgerätefamilie gemeinsam beschaffen werden.

Die Bezeichnung Spiral ist von „Spiral Development“ – einem iterativen Software-Entwicklungsmodell ähnlich einer Spirale – abgeleitet und bezeichnet offenbar einen Entwicklungszyklus. Wie auf einer AFCEA-Veranstaltung Anfang September erläutert wurde, soll als taktischer Kern von TEN eine Software –  auch als Middleware oder  Core bezeichnet – als offener Standard das „Betriebssystem“ bilden. Daran können andere Programme wie ein BMS angehängt werden. Dieser Core, der in staatlichem Eigentum bleiben soll, muss jedoch noch entwickelt werden.

Niederlande bleiben zunächst bei Elias

Die Entscheidung der Niederländer, im Spiral 1 zunächst bei ihrem bewährten BMS Elias  zu bleiben, welches keinen Core benötigt, hat dem Vernehmen nach zur Entscheidung geführt, zunächst nur die Funktechnik gemeinsam zu beschaffen. Experten zufolge sollen mit diesem Vorgehen jedoch keine Abstriche an dem grundsätzlichen Ansatz von TEN verbunden sein. Denn die Kernforderung der uneingeschränkten Konnektivität sei auch in der Kombination der Führungssoftware Sitaware HQ und Frontline sowie Core auf deutscher Seite und Elias auf niederländischer Seite aufgrund einer gemeinsamen Funkgerätefamilie gewährleistet.

 

 

 

Der Plan Heer sieht die Ausstattung der Division 2027 – mitunter auch als „SEM-Division“ bezeichnet – mit bereits existenter Kommunikationstechnik vor. Die entlang dem unteren Pfeil zu entwickelnden beiden Heeres-Divisionen sollen dagegen in enger Abstimmung mit den Niederlanden moderne Digitaltechnik erhalten. Quelle Grafik: Deutsches Heer

Wie es aus gut informierten Kreisen heißt, werden im Rahmen von TEN grundsätzlich alle Building Blocks von beiden Nationen gemeinsam entschieden und dann entweder getrennt oder gegebenenfalls auch gemeinsam beschafft. Das soll die größtmögliche Flexibilität sicherstellen.

Sitaware für das Heer vorgesehen

Wie bereits berichtet, wird die Bundeswehr die Software  Sitaware des dänischen Herstellers Systematic als BMS für die Ausstattung der deutschen VJTF-Brigade im Jahr 2023 einführen. Erst kürzlich hat der Haushaltsausschuss darüber hinaus die Beschaffung von fehlender Hardware – darunter bis zu 2.200 ergänzende Führungsausstattungen – für rund 116 Mio EUR für diese Einheit gebilligt. In einem ersten Schritt werden unter anderem Anzeige- und Verarbeitungsgeräte, Servereinheiten sowie die notwendige Stromversorgung beschafft. Damit soll trotz der Weiternutzung analoger SEM-Funkgeräte eine begrenzte Übertragung von Daten ermöglicht werden.

Die 10. Panzerdivision – zu der die für die VJTF vorgesehene Panzergrenadierbrigade 37 gehört – soll dann offenbar sukzessive bis 2027 genauso wie diese Brigade ausgestattet werden, um eine Basis-Digitalisierung zu erreichen. Bei diesem Vorgehen,  das Beobachtern zufolge in rein deutscher Verantwortung erfolgt,  wird wie beschrieben auf bereits eingeführte Technik – SEM-Funkgeräte, Server und Bildschirme – gesetzt, die allerdings zum Teil nachbeschafft werden muss.  Denn nur ein kleiner Teil der heutigen Bundeswehr-Fahrzeuge befindet sich auf dem gleichen technischen Ausstattungsstand. Als BMS für diese Division ist – wie für die VJTF-Brigade – Sitaware vorgesehen. Wie aus Industriekreisen zu hören ist, will die Bundeswehr eine Generallizenz für die Software ankaufen, wodurch unbegrenzt viele Nutzer damit ausgestattet werden dürften.

Während die 10. Panzerdivision mit weitgehend analoger Technik ausgestattet wird, sollen die beiden anderen Divisionen des deutschen Heeres bis 2032 neueste Digitaltechnik erhalten. Dabei wird dem Vernehmen nach Sitaware als BMS voraussichtlich auch für das erste deutsche Kräftedispositiv der digitalen Division –  im „Spiral 1“  D-LBO –  genutzt.   Offenbar sollen die ersten beiden digitalen Kräftedispositive aus Teilen der Panzerlehrbrigade 9 gebildet werden.

Insider gehen davon aus, dass damit keine  Festlegung für das zukünftige Battle Management System der Kräftedispositive 3 und 4 und damit für das Spiral 2 verbunden ist. Denn das Spiral Development soll es nach den Vorstellungen des Heeres ermöglichen,  in jedem neuen Zyklus wieder das jeweils beste Produkt zu nutzen. Anbieter können sich so in  jedem Spiral mit einem neuen oder verbesserten Produkt präsentieren.

Nutzungsdauerverlängerung SEM

Industriekreisen zufolge untersucht das Bundeswehr-Beschaffungsamt BAAINBw gegenwärtig, wie die SEM-Funkgerätefamilie, trotz eigentlich erreichter Obsoleszenz durch eine Nutzungsdauerverlängerung weitere Jahre im Einsatz gehalten werden kann, bevor die mit SEM-Technik ausgestatteten Verbände in den Rollout von D-LBO kommen. Die Kernidee dabei ist dem Vernehmen nach ein „Fit to form“-Ansatz auf der bestehenden SEM-Konfiguration und Grundplatte, um aufwändige Muster- und Systemintegrationen zu vermeiden. Die gesuchte Lösung soll schnell und  einfach zu rüsten sowie möglichst günstig sein. Bei dieser Untersuchung dürfte Thales als Lieferant der bisherigen Funkgeräte eine wichtige Rolle zukommen.

Die Erfahrungen aus dem Ukraine-Konflikt, bei dem ukrainische Verbände kurz nach ihrer Aufklärung durch Drohnen mittels weitreichender Artillerie – mitunter sogar von russischem Territorium aus – vernichtet wurden, hat sich auch auf das Denken der Bundeswehr-Planer ausgewirkt. So gelten Gefechtsstände in einem modernen  Gefechtsszenario als besonders gefährdet und müssen deshalb möglichst mobil konzipiert werden.

Wie es aus Kreisen des Heeres heißt, ermöglicht die  Einbeziehung der vorgeschobenen Gefechtsstände der Panzerlehrbrigade 9  sowie der 1. Panzerdivision in das Spiral 1 deren Ausstattung mit Building Blocks der D-LBO. Dabei soll laut Planungen ein so genanntes Mesh-Netzwerk aufgebaut werden, das  ein kollaboratives Arbeiten ohne Auf- und Abbauzeiten –  im Ausnahmefall sogar während der Fahrt – ermöglicht. Im Spiral 2 soll dann noch eine andere in den Thesenpapieren des Heeres geforderte Fähigkeit umgesetzt werden: Die direkte Verknüpfung von „Sensor to Shooter“.

Nachdem der damalige Chef des Amtes für Heeresentwicklung, Generalmajor Reinhard Wolski, Anfang 2018 den Aufbau eines Systemzentrums Digitalisierung Land angekündigt hat, scheinen die Planungen immer konkreter zu werden. Im Fokus steht dabei der Standort Munster, an dem die notwendigen Elemente zum Umgang mit D-LBO und Digitalisierung entstehen sollen. Dazu gehören unter anderem die entsprechenden Einführungsorganisationen (EFO), die Anteile Betriebsmanagement, die so genannte Zelle Informationssicherheit sowie die Test- und Versuchsstrukturen mit Stab und Testverband.

Systemzentrum Digitalisierung

All diese Elemente sollen offensichtlich unter dem Dach des Streitkräfte-gemeinsamen Systemzentrums Digitalisierung Land zusammengeführt werden. Dieses Zentrum soll den Vorstellungen des Heeres zufolge  mit modernster Infrastruktur sowie IT arbeiten. Dabei wird auch daran gedacht,  bestimmte Komponenten  – wie  etwa den Trainingsbereich –  für  Kräfte der Polizei zu öffnen.  Auch für die Industrie dürften sich Möglichkeiten der Kooperation ergeben.
lah/21.11.2019