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Drohnenwall – populistische Debatte endgültig auch in der Verteidigung angekommen

Waldemar Geiger

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Eines der wesentlichen Merkmale populistischer Debatten ist es, vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme zu offerieren. Der aktuell in der öffentlichen Diskussion thematisierte „Drohnenwall“ ist genauso ein populistischer Begriff, der den europäischen Nationen eine „einfache“ und „günstige“ Lösung gegen einen möglichen Einfall Russlands an der NATO-Ostflanke suggeriert.

Ein massenhafter Einsatz von günstigen aber technologisch hochentwickelten Aufklärungs- und Strike-Drohnen – umgangssprachlich auch als Kamikaze-Drohnen bezeichnet – soll es den Europäern möglichmachen, die NATO-Ostflanke ohne den Einsatz einer Vielzahl von Großverbänden sichern zu können und Russland vor einer möglichen Aggression im Baltikum abschrecken. Soweit die Theorie und das Verkaufsargument, der damit befassten und vergleichsweise jungen Wehrindustrie.

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Das unternehmerische Anpreisen der „Drohnenwall“-Fähigkeit ist nachzuvollziehen, schließlich ist es das Ziel eines jeden Unternehmens, Produkte auf den Markt zu bringen und diese zu verkaufen. Problematisch ist in diesem Zusammenhang eher die politische Reaktion. So wird die Industrie-Behauptung unreflektiert übernommen und weitergetragen. Damit besteht die Gefahr, dass das Drohnenwall verfängt und Realität wird, nicht weil er eine effektive Lösung für das militärische Problem an der Ostflanke bietet, sondern weil er eine Antwort auf viele innenpolitische Probleme darstellt. Im Gegensatz zu der oft getätigten Behauptung sind Drohnen nicht „die“ Zukunft, sondern nur ein „wichtiger Bestandteil“ der Zukunft.

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Die Lücke im Drohnenwall

Um eines gleich vorwegzuschicken: Die Drohnenkriegsführung hat sich in den letzten drei Jahren enorm weiterentwickelt und Systeme hervorgebracht, die leistungsfähig und vergleichsweise günstig zugleich sind. Die Hersteller – viele davon Start-ups – haben enorme Anstrengungen unternommen, um neue Technologien wie beispielsweise KI-basierte Fähigkeiten im Bereich der GNSS-unabhängigen Navigation, der Ziel-Endanflug-Steuerung und Zielaufklärung in die Systeme zu integrieren und die Drohnen so gegen Gegenmaßnahmen zu härten. Gleichwohl darf nicht unterschlagen werden, dass auch die mit der Herstellung von Drohnenabwehrsystemen befassten Unternehmen nicht schlafen und mindestens ebensolche Anstrengungen für die Entwicklung und Herstellung von massentauglichen Abwehrsystemen – einige davon sogar Drohnengestützt – unternommen haben, wenn auch mit einem gewissen Zeitverzug. Was heute ein probates Mittel für eine Bandbreite von militärischen Problemen darstellt, kann morgen gänzlich untauglich sein.

Mögen Drohnen in der Ukraine omnipräsent sein, sind sie gleichwohl nicht allmächtig, was sich anhand einiger weniger Beispiele veranschaulichen lässt. Das propagierte „gläserne Gefechtsfeld“, welches mittels des Masseneinsatzes von Aufklärungsdrohnen aufgebaut wird und faktisch jegliche Bewegung auf dem Gefechtsfeld sofort offenbart, hat weder russische noch ukrainische Überraschungsmomente – wie beispielsweise die Kurs-Offensive – verhindern können. Auch der Umstand, dass Russland – als derzeit einzige Kriegspartei, die stetig und mit viel Mühe Offensivoperationen verfolgt – auch im Jahr 2025 immer noch darauf angewiesen ist, ukrainische Stellungen dadurch aufzuklären, indem Trupp für Trupp eigene Soldaten ins ukrainischen Abwehrfeuer gejagt werden, sollte einem verdeutlichen, dass der Einsatz von Drohnen auch an Grenzen stößt und beide Kriegsparteien ein signifikant schlechteres Lagebild haben, als allgemein angenommen und von einzelnen Verfechtern der Drohnenkriegsführung propagiert wird.

Man darf den Erfolg der Drohnen dabei nicht verkennen. Denn sie werden mittlerweile auf beiden Seiten für einen Großteil der Verluste an Soldaten und Material verantwortlich gemacht – eine Beschreibung, die seit mehr als 100 Jahren noch bis vor Kurzem der Artillerie zugesprochen wurde. Interessant in diesem Zusammenhang ist jedoch die Tatsache, dass immer wieder Aussagen von ukrainischen Kommandeuren veröffentlicht werden, die mehr Artillerie fordern und nicht noch mehr Drohnen. Ob der Erfolg der Drohnen durch ihre überlegene Leistungsfähigkeit zu erklären ist, oder durch das Fehlen von adäquaten artilleristischen Fähigkeiten begründet wird, ist noch nicht abschließend geklärt. Die singuläre Betrachtung des Ukrainekrieges reicht dafür jedoch nicht aus, was wohl auch dazu führt, dass de facto alle NATO-Streitkräfte in erheblichem Maße in den Ausbau der Artillerie investieren, die nicht nur „mehr“ Feuer ins Ziel bringt. Sie wirkt auch schneller, da Artilleriegranaten und -raketen um ein Vielfaches schneller fliegen als propellergetriebene Drohnen. Ein Umstand, der seine Vorteile insbesondere im Rahmen eines dynamisch geführten Gefechtes voll entfalten kann.

Es darf zudem nicht vernachlässigt werden, dass der Einsatz von Drohnen physikalische Grenzen aufweist. Schlechte Sichtbedingungen (Nebel und tiefhängende Wolken) sowie starke Winde und extreme Kälte können den Drohneneinsatz signifikant einschränken bis gänzlich unterbinden. Wenn man bedenkt, dass solche Umweltbedingungen zunehmen, je weiter man nach Osten und Norden geht, kann man sich auch mit wenig Phantasie vorstellen, welche „Lücken“ ein potenzieller Drohnenwall aufweisen wird. Diese Lücken sind auch nicht mittels eines weiteren technologischen Fortschritts zu lösen. Die Physik lässt sich bis zu einem bestimmten Punkt umgehen (was zwangsläufig in höherer Komplexität und höheren Kosten endet), aber nicht gänzlich ausschalten. Wie gefährlich „Technologiegläubigkeit“ ist, konnte die Weltöffentlichkeit am 7. Oktober 2023 in Israel quasi live mitverfolgen.

Es liegt in der Natur des erfolgreichen Streitkräfteeinsatzes, dass man genau dann und dort angreift, wo der Gegner seine Schwächen hat. Nicht umsonst finden Angriffe zumeist bei schlechtem Wetter und zu Uhrzeiten statt, zu  denen sich jeder am liebsten in den eigenen vier Wänden unter der Decke verkriecht. Genau dieses Prinzip kann auch auf den Drohnenwall an der NATO-Ostflanke übertragen werden. Ein einziger Tag, an dem die Drohnen nicht fliegen können, reicht aus, um den Wall zum Einsturz zu bringen. Denn ein Angriff, wann und ob er auch immer stattfindet, würde genau an diesem Tag erfolgen. Die baltischen Nationen, die sowohl die eigene Topographie, das eigene Wetter als auch Russland besser kennen als wir in Deutschland, wissen das ganz genau. Diese Staaten verfolgen auch die Entwicklungen in der Ukraine mit Argusaugen und sehen sehr wohl welche Vorteile – aber auch Nachteile – die Drohnenkriegsführung bietet. Gleichwohl steigen diese Nationen aus internationalen Abkommen aus bzw. kündigen den Ausstieg an, die den Einsatz von Antipersonenminen oder Streumunition ächten. Denn Estland, Lettland und Litauen wissen ganz genau, dass Russland nur einen einzigen Tag oder eine einzige Nacht genügen würde, um signifikante Landstriche im Baltikum erobern zu können und diese im Anschluss mittels der eigenen Nuklearwaffen zu verteidigen. Genau aus diesem Grund pochen diese Nationen auf eine starke Präsenz regulärer NATO-Truppen vor Ort, da die „klassischen“ Kriegsmittel die einzige Lösung sind, die jederzeit und überall eingesetzt werden kann, auch wenn sie teuer und personalintensiv sind. Eine Einschätzung, die so nicht nur von den Militärs und Nachrichtendiensten der osteuropäischen Länder geteilt wird, sondern auch von den jeweiligen Bevölkerungen und politischen Entscheidungsträgern.

Politische Sehnsucht nach dem Drohnenwall

In Westeuropa im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen sieht die Lage deutlich anders aus. In unserer politischen Landschaft besteht eine regelrechte Sehnsucht nach dem Drohnenwall. Denn der Drohnenwall verspricht günstig zu sein – ob er es am Ende sein würde, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das eingesparte Geld könnte man dann für Vorhaben nutzen, die innenpolitisch dringlicher erscheinen.

Der Drohnenwall verspricht einen hohen Automatisierungsgrad, der eine breitflächige Abschreckung mit wenig Personal verspricht. Quasi eine Lösung für das „politisch verordnete“ Personalproblem der Bundeswehr – Stichwort Aussetzung der Wehrpflicht. Ein Problem, welches sich ohne den Einsatz von sehr viel politischem Kapital und nicht ohne enorme gesellschaftliche Widerstände lösen lässt.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Idee des Drohnenwalls auf politisches Interesse stößt, auch wenn die Bundeswehr selbst die dahinterliegende Technologie mit der gebotenen Portion an Skepsis begegnet, weil man die Stärken und Schwächen sehr gut kennt und auch aus der Vergangenheit sehr gut weiß, dass nicht alles, was versprochen wird, auch eingehalten wird.

Der Drohnenwall als wichtiger Teil der Zukunft

Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass der Einsatz von Drohnen zur Aufklärung und Wirkung gefechtsentscheidend sein kann. Die Entwicklung der Drohnenkriegsführung und der dazugehörigen Drohnenabwehr zeigt aber auch, dass Drohnen allein keine Kriege entscheiden. Am Ende wird Grund und Boden immer noch durch die klassische Kampftruppe genommen und gehalten.

Der Krieg zeigt zudem, dass die Entwicklung der Drohnenkriegsführung ein anhaltender Prozess ist. Bei weitem nicht alle angepriesenen Fähigkeiten liefern auch ab dem ersten Einsatz die vormals angepriesene Leistung. Die Idee, die NATO-Ostflanke in Zukunft mittels eines Drohnenwalls weitgehend unbemannt und ohne den Einsatz von „klassischen“ Kräften und Mitteln verteidigen zu können, ist daher mehr als riskant. Unsere Verbündeten im Osten haben dies begriffen und auch wir sollten es begreifen. Drohen bieten sehr viel Potenzial und daher sollten wir erhebliche Anstrengungen und Investitionen in die entsprechenden Technologien zum Einsatz und zur Abwehr von Drohnen fließen lassen, ohne dabei die altbewährten Fähigkeiten und Mittel zu vernachlässigen. Der Drohnenwall kann und sollte ein wichtiger Teil der Zukunft werden, aber nicht auf Kosten von Panzer- und Infanteriebrigaden. Drohnen sind eine wichtige Ergänzung und kein Ersatz für Artillerie, Panzer und Co. Ebenso nicht zu vernachlässigen sind Maßnahmen zu Steigerung der Personalstärke in den Streitkräfte, denn auch hier sind Drohnen nicht das passende Mittel um das „selektive“ Personalproblem der Bundeswehr zu lösen, wie an anderer Stelle bereits ausführlich erläutert wurde.

Waldemar Geiger