Die Schwierigkeiten der Bundeswehr bei der Personalgewinnung führen dazu, dass derzeit mehrere Optionen diskutiert werden, wie die angesichts der demographischen Entwicklung klaffende Personallücke geschlossen werden kann. Neben der Diskussion um die Einführung einer Wehr- oder Dienstpflicht, der Möglichkeit, Ausländern den Dienst in der Bundeswehr zu ermöglichen, wird auch immer wieder auf das Potenzial von Technologien wie Automatisierung, unbemannten Systemen und Künstlicher Intelligenz verwiesen. Diese könnten die Bundeswehr in die Lage versetzen, den an sie gestellten Auftrag zukünftig auch mit weniger Personal zu erfüllen.
Das aktuelle Beispiel dafür sind die Anmerkungen des Generalinspekteurs Carsten Breuer im Welt-Interview vom 10. Februar 2024. Auf die Frage, ob es angesichts neuer Aufgaben für die Bundeswehr, als Beispiel werden die Aufstellung von Verbänden zur Raketenabwehr und zum Nah- und Nächstbereichsschutz sowie der Litauenbrigade erwähnt, auch mehr Personal bedarf, verweist der oberste Soldat der Bundeswehr darauf, dass es ihm zu einfach sei, bei der Bewältigung neuer Aufgaben automatisch nach mehr Personal zu fordern. „Diesen Automatismus können wir uns nicht mehr leisten. Unbestritten gibt es technische Entwicklungen wie zum Beispiel unbemannte Systeme, mit denen wir effektiver sein können – und das müssen wir mit einer realistischen Sicht auf den Arbeitskräftemarkt verbinden“, so der Generalinspekteur.
Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. Besonders in den deutschen Streitkräften ist diese Analyse weit verbreitet. Beispielsweise der Inspekteur des Heeres erklärte in einem Interview (erschienen in der November-Ausgabe 2022 der Fachzeitschrift Europäische Sicherheit & Technik), dass das Heer im Rahmen seiner Zukunftsplanungen – Zeithorizont 15 Jahre und mehr – Personaleinsparungen mittels technologischen Innovationsgewinnen erzielen wollte. Gleichzeitig weist der Heereschef darauf hin, dass dies zu optimistisch war. „Nun hat uns die Realität unseren langfristigen Entwicklungsplan zerschossen und mehr Kräfte müssen schneller und besser aufgestellt werden“, so Mais damals.
Problemlöser oder Problemkatalysator
Kritiker dieser Denkschule – wonach unbemannte Systeme ein valider Lösungsweg für Personalprobleme moderner Streitkräfte sein könnten – weisen seit geraumer Zeit darauf hin, dass Automatisierung und Einführung unbemannter Systeme nicht automatisch zu Personaleinsparungen führen.
So beschreibt der britische Militärforscher Jack Waitling vom Royal United Services Institute in einem erst vor wenigen Tagen veröffentlichten „War on the Rocks“-Beitrag, dass seine Forschungsreisen an die Ukrainefront Gegenteiliges offenbart haben. Waitling eröffnet seinen Artikel mit einem Situationsbericht einer ukrainischen Aufklärungsmission, welche mittels einer Drohne gemeistert wurde. Seinen Schilderungen nach musste sich ein Fahrzeugkonvoi sowie acht Personen in Frontnähe bewegen, um die Drohnenmission erfüllen zu können. Anstatt eines Spähtrupps zu Fuß, welche vermutlich durch eine Infanteriegruppe oder eine leichte Spähgruppe der Aufklärungstruppe gestellt würde, setze sich die Drohnentruppe aus einem Drohnenpiloten, einem Kommunikationsspezialisten, einem Techniker sowie einem Sicherungselement zusammen.
An dem Beispiel wird deutlich, dass der Einsatz unbemannter Systeme zwar dazu dienen kann, um Personal vor Gefahren zu schützen. Schließlich mussten die „Aufklärer“ sich nicht hinter feindliche Linien begeben – es reichte auch die unmittelbare Nähe zur Front, damit der Auftrag erfüllt werden konnte. Gleichzeitig zeigt das Beispiel aber, dass kein Personal eingespart werden konnte. Denn auch die Drohnenaufklärung erforderte eine ähnliche Gruppenstärke, allerdings mit dem großen Unterschied, dass mehr „Spezialisten“ benötigt werden. Und genau hier liegt die große Schwachstelle in den Überlegungen, dass technologische Innovationen Personalprobleme moderner Streitkräfte lösen könnten. Es besteht ein reelles Risiko, dass die Personalprobleme mittels fortschreitender Automatisierung und Einführung von unbemannten Systemen noch weiter vergrößert werden.
Am Beispiel der Bundeswehr sieht man nämlich, dass sie nicht an einem generellen, sondern an einem selektivem Personalproblem leidet. Es fehlt zumeist Personal in spezifischen Verwendungsreihen, insbesondere da, wo technische Expertise notwendig ist. Also genau an den Stellen, wo auch auf dem freien Markt großer Fachkräftemangel herrscht. Das Risiko ist daher gegeben, dass man die Lücke mittels eines höheren Technisierungsgrades der Streitkräfte nicht beheben, sondern eher verschärfen würde. Was hilft es den Streitkräften, wenn ein modernes Artilleriesystem von zwei anstatt fünf Soldaten gesteuert werden kann, wenn genau das Personal wegfällt, welches für die Verrichtung vergleichsweise „einfacher“ Tätigkeiten – beispielsweise als Munitions- und Ladeschütze – benötigt wurde, während gleichzeitig Personal gewonnen werden müsste, was in der Lage ist, den Ladeautomaten zu warten und instand zu setzen?
Gleichzeitig ist überhaupt nicht gesichert, ob Personal in „kriegstauglichen“ Streitkräften überhaupt eingespart werden kann. Wer soll beispielsweise die Haubitze im Einsatzraum sichern, tarnen sowie den technischen Dienst während der Benutzung durchführen (bspw. Rohre reinigen).
Die große Herausforderung der Personaleinsparung mittels Automatisierung oder Ersatz durch unbemannte Systeme liegt in der Tatsache begründet, dass Soldaten – ganz besonders in Gefechtshandlungen – multiple Aufgaben bewältigen müssen. Es reicht daher nicht aus, einen Ladeschützen mittels eines Ladeautomaten auszutauschen oder eine Spähgruppe durch eine Aufklärungsdrohne. Eine Untersuchung des U.S. Marine Corps kam bereits 2018 zu dem Schluss, dass unbemannte Systeme die Kampfstärke der Marineinfanteristen steigern können und daher empfohlen, jede Infanteriegruppe der Ledernacken um einen Systembediener zu ergänzen. Die Betonung liegt auf ergänzen und nicht zu ersetzen, denn gerade am Kampf direkt beteiligte Truppen – egal welcher Teilstreitkraft oder Truppengattung – benötigen jeden einzelnen Soldaten.
Mehr nicht weniger
Diese Erkenntnis ist sicherlich keine Neuigkeit. Viele westliche Streitkräfte, darunter auch die Bundeswehr, haben im Anschluss an die Krim-Annexion in unterschiedlichen Strategiepapieren analysiert, dass man unter dem Mangel an Masse (lack of mass) leidet, weil die Truppe nach Ende des Kalten Krieges deutlich reduziert wurde. Diese Analyse berücksichtigend, wäre es aus zwei Gründen fatal Truppenstärkereduktionen mittels technologischer Innovationsfortschritte erzielen oder begründen zu wollen.
Der erste Grund liegt in der unzureichenden Technologiereife. Es werden sicherlich noch Jahre vergehen, bis unbemannte Systeme tatsächlich in der Lage sind, Soldaten auch unter unterschiedlichen Kriegsbedingungen eins zu eins zu ersetzen. Der Mensch ist ein Generalist, während Technik zumeist nur einen spezifisch definierten Einsatzzweck erfüllen kann.
Der zweite Grund liegt in der jetzt schon zu geringen Masse vieler westlicher Streitkräfte. Hier wäre es sinnvoller, in der Technologie begründete Effizienz- und Produktivitätsgewinne in den Aufbau der fehlenden Masse zu stecken und nicht um Personallücken in anderen Fähigkeiten zu stopfen oder für Personaleinsparungen zu nutzen.
Die niederländischen Streitkräfte beispielsweise gehen davon aus, dass auch in Zukunft zwei Drittel der Kampfpanzersysteme durch Soldaten gesteuert werden und das dritte Drittel von unbemannten Systemen gestellt werden wird – dies geht aus einer Antwort des niederländischen Verteidigungsministeriums auf eine Parlamentsanfrage hervor, bei der es um die mögliche Aufstellung eines neuen Panzerbataillons geht.
Geht man von dieser Hypothese aus und verbindet diese mit der Analyse der fehlenden Masse, wäre es doch für die Bundeswehr ein logischer Schluss, die technologische Innovationen für den Aufwuchs der deutschen Panzertruppe zu nutzen, anstatt das „einsparfähige“ Personal für die Aufstellung neuer oder aufgegebener Fähigkeit – zum Beispiel Flugabwehr – einzusetzen. Schließlich ist der Bedarf an beiden Stellen gegeben.
Abwerfen von unnötigem Ballast
Es ist grundsätzlich nachvollziehbar, dass sich die Streitkräfte die Welt nicht so schnitzen können, wie es für die Verrichtung des Auftrages notwendig wäre. Dennoch können militärische Bedarfe nicht ignoriert werden, wenn eine bestimmte Bedrohungsanalyse als gegeben angenommen wird. Wenn die politische Führung zu dem Schluss kommt, dass ein Angriff auf NATO-Territorium in absehbarer Zeit nicht ausgeschlossen werden kann, dann müssen die Streitkräfte in die Lage versetzt werden, eben dieser Bedrohung erfolgreich begegnen zu können. Viel besser wäre es sogar, die Streitkräfte derart kampfkräftig aufzustellen, dass alleine deren abschreckende Wirkung einen potenziellen Waffengang des Gegners verhindert.
Dies entlastet die Bundeswehr sicherlich nicht vor einer Binnenanalyse mit dem Ziel, Aufgaben und Vorgänge zu identifizieren, welche mittlerweile nicht mehr gebraucht werden, um so Personalreserven freizusetzen. Insbesondere die unzähligen Stäbe und Kommandos der Bundeswehr sind dafür berühmt und berüchtigt jede Menge „Papier schwarz zu machen“, welches kurze Zeit später in der Papiertonne verschwindet. Auch die Truppe wurde in den letzten dreißig Jahren mit unzähligen Verwaltungsaufgaben zusätzlich belastet, so dass Kommandeure, Chefs und Zugführer mehr Zeit am Schreibtisch, als bei den eigenen Männern und Frauen verbringen. Hier würde eine kritische Überprüfung mit anschließender Entschlackung wahre Personalfreisetzungswunder vollbringen.
Ein Fokus auf diese Problemlösung würde die Streitkräfte einen deutlichen Schritt nach vorne bringen. Viel mehr als die Einführung unbemannter Systeme, zumal deren Einsatz durch überbordende Auflagen kaum praktikabel ist.
Waldemar Geiger