Nach Einschätzung des deutschen Heeres werden zukünftig ein immer transparenteres Gefechtsfeld, die Digitalisierung der Streitkräfte sowie die begrenzte Verfügbarkeit von Soldaten und Material Bodentruppen dazu zwingen, ihre Kampfweise umzustellen. Wie Generalleutnant Frank Leidenberger vergangene Woche auf der Messe DSEI in London deutlich machte, geht das Kommando Heer davon aus, dass in Zukunft mehr Entscheidungen von Soldaten im direkten Gegner-Kontakt getroffen werden sollten.
Jeder Soldat werde nach Einschätzung des Heeres zukünftig nicht nur ein Schütze sein, sondern auch als Sensorträger fungieren, sagte Leidenberger in seiner Rede. Der digitale Fortschritt mache es möglich, Waffen mit plattformgebundenen elektro-optischen Sensoren zu koppeln sowie alle im Einsatz stehen Soldaten miteinander und den weiteren Führungsebenen zu vernetzen. Benötigt werde dafür ein leistungsfähiges Battle-Management-System. Dabei würden beispielsweise von Drohnen gewonnene Informationen mit Daten anderer Sensoren verschmolzen und dann vom Hauptquartier bis zu den einzelnen Soldaten weitergeleitet, sagte Leidenberger. „Damit wird das Situationsbewusstsein verändert.“ Im Idealfall kann nach seiner Einschätzung der Soldat an der Front eine Rakete zur Bekämpfung eines gegnerischen Panzers anfordern, ohne sich selbst zu exponieren.
Indirektes Feuer wird immer präziser
Der Trend gehe zu immer präziserem Feuer über immer längere Distanzen, erläuterte der General. In Gefechten hoher Intensität – wie das Beispiel Ukraine zeige – werde indirektes Feuer eine entscheidende Rolle spielen, prognostizierte er. In der Ostukraine hatten russische Artillerieeinheiten unter Nutzung von Aufklärungsdrohnen große ukrainische Truppenansammlungen vernichtet.
Die Digitalisierung und damit der Übergang vom Sprechfunk zur Datenübertragung werde die Art der Kampfführung verändern, sagte Leidenberger. In der Vergangenheit sei nach der Sammlung aller verfügbaren Informationen und deren Konsolidierung auf der Kommandoebene immer die Schlüsselfrage gewesen: „Wann setze ich meine Reserven ein?“ Wenn man in Zukunft jedoch aufgrund der hohen Sensordichte und des besseren Battle Managements mit hohem Detailgrad wisse, wo sich die eigenen und gegnerischen Kräfte befinden und man über Möglichkeiten zu Präzisionsschlägen verfüge, „warum dann warten, um die Reserve einzusetzen und nicht sofort die Ziele bekämpfen?“, fragte Leidenberger. Aus diesem Grund denke man darüber nach, wie mehr Verantwortung nach unten übertragen werden könne.
Die Stärkung der Einheiten an der direkten Frontlinie bringe nicht nur für die hochintensive Gefechtsführung, sondern auch für Operationen wie in Afghanistan und Mali Vorteile, betonte Leidenberger. Die dafür benötigte Technologie werde immer leichter verfügbar. Und das Heer ermutige die Industrie, hier weiter voranzuschreiten. Der General hat dabei offenbar die Vorhaben Motako und Motiv im Blick, in deren Rahmen das deutsche Heer in den kommenden Jahren digitalisiert werden soll.
Zwei bis drei Generalunternehmen denkbar
Für das Jahr 2032 plant die Bundeswehr mit drei voll ausgestatteten Divisionen und zehn Brigaden. Um die Digitalisierung der Landstreitkräfte bis dahin abzuschließen, diskutiere man mit großen deutschen Unternehmen einen neuen Ansatz, der an die Beschaffungsorganisation der Marine angelehnt sei. Ähnlich wie bei der Marine überlege man, eine ganze Brigade quasi „in die Werft“ zu legen, um sie mit der digitalen Ausrüstung auszustatten. Dies müsse dann alle zehn Jahre wiederholt werden, um sie auf den neuesten Stand zu bringen. Während also neun Brigaden personell voll ausgestattet seien, werde eine zehnte Brigade modernisiert. Danach starte sie in die Trainingsphase – ähnlich wie ein Schiff nach dem Werftaufenthalt. „Das ist natürlich ein weites Feld für die Kooperation der Industrie mit dem Militär“, sagte Leidenberger. Er denkt dabei an die Übertragung von bestimmten Verantwortlichkeiten an Generalunternehmer, so wie eine Werft für die Marine die Integration von Schiffskomponenten koordiniert.
Für das Vorhaben Motako würde sich Leidenberger zwei oder sogar drei Generalunternehmen wünschen: „Wir denken, dass es vielleicht ganz schlau ist, nicht nur eine Quelle zu haben.“ Ein Problem sieht er jedoch in den gegenwärtigen Rüstungsstrukturen in Deutschland, die zum Teil getrennte Beschaffungsmodi für militärische Teilbereiche vorsehen. So müssten beispielsweise die Sanitätsfahrzeuge für ein Panzergrenadierbataillon die gleiche Mobilität und definitiv die gleichen Funksysteme haben, was im Augenblick nicht unbedingt gewährleistet sei. „Wir wissen, dass wir zusammen arbeiten müssen, aber wir müssen eigentlich auch zusammen rüsten“, forderte der General.
Um das Projekt Digitalisierung voranzubringen soll laut Leidenberger die deutsche Beteiligung an der NATO-Speerspitze oder VJTF in den Jahren 2023 und 2027 genutzt werden. Um 2026 oder 2027 soll dann die erste Heeres-Division vollständig digitalisiert sein. In Kürze werde ein Kampftruppenbataillon ausgewählt, um die neuen Technologien zu testen und für Forschung und Weiterentwicklung zur Verfügung zu stehen, kündigte Leidenberger an.
lah/18.9.2017