Drohnen sind ein wichtiger Bestandteil der modernen Kriegsführung geworden. Sie leisten bereits jetzt einen unschätzbaren Beitrag im Rahmen der Aufklärung und Wirkung in den Kriegen und Konflikten der jüngsten Zeit.
Allzu oft werden die vergleichsweise günstigen und dadurch in Masse herstell- und nutzbaren Systeme zudem auch als Allheilmittel für jegliches militärische Problem – vom Personalmangel bis hin zu hohen Kosten von Waffen – der Gegenwart und Zukunft angepriesen. Dass dem nicht so ist, zeigt der Blick auf den Faktor Zeit.
Die moderne Taktiklehre lehrt uns, dass das Gefecht maßgeblich durch die Faktoren Kräfte, Raum und Zeit bestimmt wird. In die Laiensprache übersetzt bedeutet dies beispielsweise, dass für jeglichen Effekt auf dem Gefechtsfeld – egal ob die Aufklärung eines Ziels oder dessen Bekämpfung – irgendjemand oder irgendetwas (Kräfte) zum Ziel „gehen“ muss (Überwindung eines Raumes), um dort dann Dinge tun zu können. Dies passiert nicht in Echtzeit, sondern bedarf einer gewissen Zeit.
An den folgenden Beispielen der Bekämpfung eines im Vorfeld aufgeklärten Ziels wird deutlich, wie sich der Faktor Zeit auswirkt. Zur Verdeutlichung wird davon ausgegangen, dass dem militärischen Führer jeweils alle aufgeführten Wirkmittel zur Verfügung stehen.
Wird beispielsweise ein lohnendes Ziel (Beispiel 1) durch eine Aufklärungsdrohne in 10 km Entfernung zur Front aufgeklärt, kann das Ziel aufgrund der Entfernung mittels einer FPV-Drohne, einer Artillerierakete oder einer Artilleriegranate bekämpft werden. Jeglicher Waffeneinsatz erfordert eine gewisse Vorbereitungszeit, so muss der Einsatz koordiniert und freigegeben werden, zudem muss das Waffensystem in Stellung gebracht werden. Dies würde bei den Artilleriesystemen – wenn nicht vorgeplant – einige Minuten dauern. Dafür wäre das Feuer aufgrund der hohen Fluggeschwindigkeiten der Granaten und Raketen innerhalb von etwa einer Minute nach Abfeuern im Ziel, egal ob das Artilleriesystem direkt an der Front positioniert wäre oder 10 km dahinter. Die Drohne bräuchte für das Zurücklegen der 10 km bei einer durchschnittlichen Fluggeschwindigkeit von 100 km/h genau 6 Minuten. Alles in allem würde die Zielbekämpfung bei dieser Entfernung mit allen drei Systemen ungefähr die gleiche Zeit in Anspruch nehmen. Ist das Ziel jedoch 20 km (Beispiel 1B) entfernt, verdoppelt sich die Bekämpfungszeit mit der Drohne, wobei sie bei der Artillerie in etwa gleichbleibt.
Ist das Ziel (Beispiel 2) hingegen 100 km entfernt, kann dieses nicht mehr mit Rohrartillerie bekämpft werden. Als Mittel wären jetzt nur noch entsprechende Einweg-Kampfdrohnen – mit einer Marschgeschwindigkeit zwischen etwa 100 und 200 km/h – sowie Raketenartilleriesysteme mit der entsprechenden Reichweite und Marschflugkörper nutzbar. Alle drei Waffensystemarten müssen für den Einsatz vorbereitet werden, diese Zeit kann abhängig von der jeweiligen Lage sehr variieren und ist pauschal nur schwer zu berechnen. Die Zeit für das Zurücklegen der Flugstrecke ist hingegen vergleichsweise leicht zu kalkulieren. Die Artillerierakete bräuchte für die 100 km je nach Typ rund 2 bis 3 Minuten (die ATACMS braucht für 300 km rund 5 Minuten), die Drohne 30 bis 60 Minuten und der Marschflugkörper bei einer durchschnittlichen Marschgeschwindigkeit von 900 km/h rund 7 Minuten. Anhand der Tabelle sieht man, dass die Zeitdifferenzen mit zunehmender Entfernung zunehmen.
In dem Schlussbeispiel beträgt die Entfernung zum Ziel 2.000 km, was dazu führt, dass das Ziel (Beispiel 3) nur noch durch entsprechende reichweitenstarke Systeme wie Langstrecken-Einweg-Kampfdrohnen, Marschflugkörper, ballistische Mittelstreckenraketen und zukünftig Hyperschallflugkörper bekämpft werden kann. Die Drohnen – 200 bis 300 km/h schnell – bräuchten für die Strecke rund 7 bis 10 Stunden, der Marschflugkörper rund 2,2 Stunden und die Mittelstreckenraken und Hyperschallwaffen in etwa 10 Minuten, da diese Waffensysteme Fluggeschwindigkeiten von mehreren Kilometern pro Sekunde aufweisen.
Die Bedeutung der Zeit
Wie wichtig der Faktor Zeit tatsächlich ist, wird deutlich, wenn man nicht nur von abstrakten Beispielzielen spricht, sondern sich handfesten Zielbeispiele vor Augen führt. Ist das Ziel im Beispiel 1B eine Lagerstätte für Munition, eine Relaisstation oder ein Tanklager ist es sicherlich weniger problematisch, ob das Ziel 6 Minuten früher oder später bekämpft wird. Ist es hingegen ein feindliches Artilleriesystem in Feuerstellung sieht die Lage deutlich anders aus, da es die 6 Minuten für einen Ausweichen aus der Feuerstellung oder für das Schießen von Feueraufträgen nutzen könnte, die die eigenen Kräfte gefährden können.
Ähnliches gilt für das zweite Beispiel. Ob eine feindliche Führungs- bzw. Logistikeinrichtung unmittelbar oder in einer halben Stunde bekämpft wird, ist weniger entscheidend als aufgeklärte Hubschrauber, die gerade auf einem vorgeschobenen Versorgungsposten für Treibstoff und Munition (Forward Arming and Refueling Point – FARP) gelandet sind. Ähnliches gilt für einen Versorgungszug oder eine Marschkolonne, die einen kurzen technischen Halt durchführen. Das Zeitfenster für die Bekämpfung solcher Ziele beträgt oftmals nur wenige Minuten, Drohnen wären hier viel zu langsam.
Vergleichsweise langsam fliegende Drohnen sind hier oftmals doppelt im Nachteil. Sie sind aufgrund der vergleichsweise geringen Fluggeschwindigkeit zu langsam, um zeitkritische Ziele bekämpfen zu können. Die lange Flugdauer über feindlichem Gebiet macht sich auch anfälliger für feindliche Abwehrmaßnahmen. Je länger ein System in der Luft ist, desto mehr Zeit hat der Gegner, das System aufzuklären und eine Bekämpfung einzuleiten oder das potenzielle Ziel gegen den Angriff zu schützen.
Zusammenfassung
Als generelle Faustformel lässt sich also zusammenfassen, dass mit zunehmender Entfernung und Zeitsensitivität die Wirksamkeit und Effektivität von langsamen Wirkmitteln (bspw. Drohnen) abnimmt und die von schnelleren Wirkmitteln (Raketen) zunimmt.
Die daraus folgende Konsequenz lautet also, dass moderne Streitkräfte weiterhin nicht darum herumkommen werden, einen breiten Wirkmittelmix vorzuhalten, um die komplette Zielkategorie effektiv bekämpfen zu können. Kostengünstige Drohnen sind in diesem Zusammenhang eine wertvolle Ergänzung für bestehende Wirkmittel, jedoch kein Allheilmittel oder. Ersatz.
Waldemar Geiger