Die Welt wird von Krisen und Konflikten erschüttert, von denen viele die Bundesrepublik Deutschland betreffen. Deutschland engagiert sich in der Folge auch militärisch in zahlreichen Auslandsmissionen. Die russische Invasion in der Ukraine, die Aktivitäten der Huthi-Milizen im Roten Meer sowie die Konflikte im Nahen Osten haben allesamt Einsätze der Bundeswehr nach sich gezogen. Dies hat dazu geführt, dass die ohnehin stark beanspruchte und über die Jahre hinweg unterfinanzierte Truppe noch weiter belastet wurde, ohne dass an anderer Stelle eine spürbare Entlastung gefolgt wäre.
Gegenwärtig sind alle Teilstreitkräfte der Bundeswehr mehr als genug mit Verpflichtungen jeglicher Art ausgelastet. Um die von der Politik gestellten Aufträge trotzdem erfüllen zu können, muss einiges an „Helden- und Materialklau“ betrieben (Aufstellung der Litauen-Brigade) oder Kreativität bewiesen werden (Entsendung des Forschungsschiffs Planet zur NATO-Unterstützungsmission in die Ägäis).
Genau diese beiden Engagements zeigen, wie abstrus die Situation eigentlich ist. Während der Bundesverteidigungsminister, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes sowie die militärische Führung der Bundeswehr unermüdlich vor der russischen Bedrohung warnen und ab Ende des Jahrzehnts eine mögliche Eskalation der aktuell ausschließlich hybrid geführten Angriffe auf die Bundesrepublik Deutschland und verbündete NATO-Staaten für möglich halten – eine Analyse die im Übrigen auch durch viele Verbündete genau so oder ähnlich kommuniziert wird – werden immer noch Marineschiffe in die Ägäis entsandt, um dort faktisch Streitschlichter zwischen zwei NATO-Staaten „zu spielen“. Ähnliches gilt für weitere Missionen im Mittelmeer, die über das letzte Jahrzehnt hinweg unzählige Schiffe auf möglichen Waffenschmuggel kontrolliert haben, ohne dass ein einziges Waffensystem gefunden wurde. Und doch sieht man, dass es sowohl in Libyen, im Libanon oder selbst im Gaza-Streifen an allem, bloß nicht an Waffen mangelt.
Den mit den Aufträgen betrauten Soldatinnen und Soldaten kann man in diesem Zusammenhang keine Schuld zusprechen. Die Mandate solcher Missionen sind offensichtlich so angelegt und die Fähigkeiten so zusammengestellt, dass de facto nichts gefunden werden kann. Trotz der geringen Erfolgsbilanz solcher Einsätze – nicht nur auf deutscher Seite – wird die Truppe weiterhin damit gebunden.
Sicherlich kann man politisch argumentieren, dass man auch heute noch die sicherheitspolitischen Entwicklungen jenseits Osteuropas weiterhin im Auge behalten muss und sich nicht ausschließlich mit der Landes- und Bündnisverteidigung befassen darf. Es stimmt auch, dass Deutschland vitale Sicherheitsinteressen in der Mittelmeerregion hat. Gleichzeitig kann man nicht von der Hand weisen, dass die Fähigkeiten der Bundeswehr heute nicht ausreichen, um alle diese Aufträge gleichzeitig auszuführen.
Am Beispiel der Marine sieht man dies besonders plakativ. Die kleinste Flotte der Bundeswehrgeschichte soll in der Ostsee abschrecken, einen Beitrag zur Sicherung der kritischen Infrastruktur in Nord- und Ostsee leisten, bei einem möglichen Kriegsausbruch überlebenswichtige Seewege im Nordatlantik freihalten und gleichzeitig Aufklärungsfähigkeiten, Schiffe und Führungspersonal für Einsätze im Mittelmeerraum und im Rotem Meer abstellen. Hier und da sollen Marineschiffe dann noch deutsche Sicherheitsinteressen im Indo-Pazifik repräsentieren. Dafür stehen der Bundeswehr derzeit elf Fregatten – von denen sich nicht jede für jede Mission eignet – und fünf Korvetten als Überwasserkampfschiffe zur Verfügung. Daneben wären da noch sechs U-Boote und zwei alte Seefernaufklärer vom Typ P-3C Orion. So viel zur Theorie. In der Praxis müssen Schiffe, Boote und Flugzeuge gewartet, modernisiert und die Besatzungen ausgebildet und beübt werden. Resultierend daraus sind in der Praxis nur ein Drittel der Fähigkeiten für die Einsätze verfügbar, der Rest ist im Dock oder in der Ausbildung gebunden. Ähnliche Rechnungen können auch für Heer und Luftwaffe aufgestellt werden. Neben Personal und Waffen ist auch dort der Mangel an Munition genauso gegeben wie in der Marine.
Dieser Zustand – breite Auftragslage bei ungenügender Anzahl an Mitteln – wurde über die letzten Jahrzehnte unzählige Male aufgeschrieben und in unterschiedlichen Debatten vorgetragen, geändert hat sich trotzdem nichts. Es wurden die Fähigkeiten der Bundeswehr nicht auf das Maß hochgefahren, dass alle Aufträge adäquat bewältigt werden können, ohne dass eine Überlastung droht. Gleichzeitig wurden Auslandseinsätze nur dann beendet, wenn der jeweilige Staat (bspw. Afghanistan, Niger und Mali) de facto keine westlichen Truppen mehr auf dem eigenen Territorium haben wollte.
Mit dem Zerfall der Ampelkoalition und einer anschließenden Bildung einer neuen Regierung – welche sich vermutlich anders zusammensetzen wird, als die vorherigen – bietet sich nun die Gelegenheit für eine Neujustierung der verteidigungspolitischen Prioritäten. Wenn Deutschland es ernst meint mit der Landes- und Bündnisverteidigung, dann muss sich das auch in der Ausstattung, Ausbildung und Übung der Bundeswehr entsprechend wiederfinden. Soll die Truppe darüber hinaus auch noch einen signifikanten Beitrag zur weltweiten Krisenbewältigung leisten, muss auch dies mit entsprechenden Mitteln und Fähigkeiten hinterlegt werden. Bis zur Aufstellung und Ausrüstung einer solchen Truppe wird jedoch eine gewisse Zeit vergehen. Wie viel genau, liegt am Umsetzungswillen von Politik und Gesellschaft.
In der Zwischenzeit wäre es ratsam, der Truppe die Möglichkeit zum Fokus auf den Kernauftrag zu geben. Wenn die Analyse, dass Russland zum Ende des Jahrzehnts zu einem Angriff aufs NATO-Territorium fähig sein könnte, kann der Kernauftrag nur in der Landes- und Bündnisverteidigung liegen, für die gesamte Bundeswehr. Alles andere muss sich dem unterordnen, bis der entsprechende Aufwuchs erfolgt ist.
Waldemar Geiger